Corona hat auch vor Afrika nicht haltgemacht. Doch bisher ist der Kontinent einigermassen glimpflich durch die Pandemie gekommen. Das ist auch dem entschlossenen Vorgehen der Afrikanischen Union zu verdanken, die von Anfang an eine kontinentale Strategie verfolgte. Coronapolitik «made in Africa», vielleicht schon bald auch mit eigenen Impfstoffen.
Bis heute sind laut WHO-Angaben weltweit über 494 Millionen Menschen an Covid-19 erkrankt. Offiziell sind 6,2 Millionen Menschen im Zusammenhang mit dem Virus gestorben. 430 Millionen Menschen sind genesen (Stand 06.04.2022). Allerdings ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen: Laut Berechnungen von Fachleuten war die tatsächliche Anzahl der durch Corona verursachten Todesfälle im Zeitraum 2020-2021 mit 18 Millionen wohl mindestens drei Mal so hoch.
Zu wenig Impfdosen
Mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine rückte Corona in Europa in kürzester Zeit in den medialen Hintergrund. Angesichts der Kriegsgräuel, humanitären Not und riesigen Fluchtbewegungen verloren die Auswirkungen der Pandemie an Aufmerksamkeit. Doch die Infektionszahlen in den meisten westlichen Staaten sind wegen der Omikron-Varianten weiterhin hoch. Allerdings kommt es dank der hohen Impfraten zu weniger schweren Krankheitsverläufen und Spitaleinweisungen.
Während die Pandemie in reichen Ländern daher zumindest vorübergehend ihren Schrecken verloren hat, ist die Situation in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern weiterhin Grund zu Besorgnis. Eine Entspannung ist vorerst nicht in Sicht, da es weiterhin zu wenig Impfdosen gibt. Zudem stellen Impfkampagnen mit dem spärlich verfügbaren Impfstoff in Ländern mit schwacher logistischer und gesundheitlicher Infrastruktur eine grosse Herausforderung dar.
Die im April 2020 ins Leben gerufene Impfstoffverteilplattform COVAX konnte bis anhin ihrem Anspruch, den weltweiten Zugang zu Impfstoffen sicherzustellen, in keiner Weise gerecht werden. Lange Zeit hatten die COVAX-Verantwortlichen Mühe, überhaupt genügend Impfstoffe zu beschaffen. Erst Mitte Januar 2022 vermeldeten sie, eine Milliarde Impfdosen an 144 Länder und Regionen ausgeliefert zu haben, mittlerweile sind es rund 1,4 Milliarden Dosen (Stand: 06.04.2022). Zum Vergleich: Bis heute wurden weltweit 11,34 Milliarden Impfdosen verabreicht. 64,6 Prozent der Weltbevölkerung erhielten mindestes eine Dosis, zu einem grossen Teil in den Industrie- und Schwellenländern. In den Ländern mit niedrigem Einkommen waren es gerade einmal 14,7 Prozent der Bevölkerung.
Afrika in der Coronakrise
Laut Africa CDC (Africa Centres for Desease Control and Prevention), 2017 von der Afrikanischen Union (AU) gegründet, um die Gesundheitseinrichtungen ihrer Mitgliedstaaten zu stärken, sind in Afrika aktuell gut 15 Prozent der Bevölkerung vollständig gegen das Virus geimpft. Zwei Drittel der 722 Millionen verfügbaren Impfdosen wurden bisher verabreicht – mit immensen Unterschieden bei den Impfquoten: So ist die Bevölkerung in Marokko, Tunesien, Ägypten, Südafrika, Mosambik oder Ruanda zu über 30 Prozent vollständig geimpft (teilweise auch weit darüber), während im Sudan, Südsudan, in Nigeria, Kamerun, Madagaskar oder Tansania weniger als fünf Prozent, in Tschad, Burundi, Eritrea und der Demokratischen Republik Kongo sogar weniger als ein Prozent der Bevölkerung geimpft ist. Trotz dieser geringen Impfquoten ist der Kontinent bisher einigermassen glimpflich durch die Pandemie gekommen – dank seiner Erfahrungen mit früheren Epidemien und des tiefen Durchschnittsalters von 18 Jahren: 40 Prozent der 1,37 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohner Afrikas sind unter 15 Jahre, nur 4 Prozent über 64 Jahre alt.
Mit der Omikron-Variante stiegen aber auch in vielen afrikanischen Ländern die Fallzahlen wieder an. Doch stellen Gesundheitsorganisationen fest, dass die meisten afrikanischen Länder mit jeder Welle schneller und effektiver reagieren konnten. So sagte Dr. Matshidiso Moeti, die WHO-Regionaldirektorin für Afrika: «Trotz aller Hindernisse, inklusive der grossen Ungleichheit bei der Verteilung der Impfstoffe, sind wir COVID-19 mit Resilienz und Entschlossenheit begegnet. Sehr geholfen hat uns dabei Afrikas langjährige Erfahrung im Umgang mit Epidemien». Afrika stehe am Übergang in eine endemische Phase und gehe in einen Zustand über, in dem man mit dem Virus koexistiere. Jetzt gelte es, das Leben mit dem Virus zu organisieren. «Wir haben den COVID-19-Sturm gemeistert. Aber es hat uns viel gekostet: Wir haben mehr als 242’000 Menschenleben verloren und unsere Volkswirtschaften haben schweren Schaden erlitten.» Offiziell hat Africa CDC bislang 251'000 Todesopfer registriert, die Dunkelziffer wird allerdings auf bis zu 2,8 Millionen geschätzt.
Der panafrikanische Ansatz der AU
Dass die Pandemie nicht aus dem Ruder gelaufen ist und noch dramatischere Folgen zeitigte, ist auch dem frühzeitigen und entschlossenen Handeln der Afrikanischen Union (AU) zu verdanken. Im Westen bediente sich der politische und mediale Diskurs meist gerne der üblichen Bilder von «Afrika» als Hilfsempfänger, das mit der Situation kaum fertig wird. Doch in Tat und Wahrheit ging die AU von Anfang an entschlossen vor und informierte die Regierungen ihrer Mitgliedstaaten und die Bevölkerung frühzeitig. Sie teilte Fachwissen und koordinierte die Massnahmen, um auf die Ausbreitung des Virus reagieren zu können. Dabei spielten die Erfahrungen bei der erfolgreichen Bekämpfung von Ebola, aber auch die Anpassungsfähigkeit der Bevölkerung eine wichtige Rolle.
Dem nationalistischen Rückfall der Industriestaaten (Stichwort Impfnationalismus) stand somit von Pandemiebeginn an der panafrikanische Ansatz der AU mit ihren Institutionen gegenüber – trotz anfänglichem Widerstand einzelner Mitgliedstaaten, die zunächst eigene Wege gingen oder Corona schlicht negierten. Kaum wusste die Union vom Coronavirus, begann Africa CDC eng mit der WHO und ihren Regionalzentren zusammenzuarbeiten. Unter AU-Führung einigten sich die Gesundheitsministerien bereits im Februar 2020 auf eine kontinentale Strategie, um rasch und vorbereitet auf die wahrscheinliche Ausbreitung des Virus in Afrika reagieren zu können. Dazu wurde eine Africa Task Force for Coronavirus eingesetzt. Im März 2020 erörterten die Finanzministerien wahrscheinliche fiskalische Folgen der Pandemie und Möglichkeiten zu deren Bewältigung. Ende März beschloss das AU-Büro die Einrichtung eines afrikanischen Coronavirus-Fonds. Und seither kommen Gesundheitsfachleute aus dem ganzen Kontinent in regelmässigen Webinaren zusammen. Afrika wurde in der Pandemie zu einer «Insel des Internationalismus».
Mit Blick auf die Lücken bei den Impfdosen, gründete die AU Ende 2020 den African Vaccine Acquisition Trust (AVAT), um neben der COVAX-Initiative weitere Impfdosen zu sichern, damit das Ziel einer Immunisierung von 60 Prozent der afrikanischen Bevölkerung erreicht werden kann. AVAT wird dabei auch von UNICEF unterstützt, deren Direktorin Henrietta Fore festhielt: «Der Zugang zu COVID-19-Impfstoffen ist ungerecht und unfair, wobei die Menschen in Afrika die Hauptlast dieser Ungleichheit tragen. Das darf nicht so bleiben.»
Gleichzeitig war die unbefriedigende Versorgungssituation wie ein Weckruf: Um bei künftigen Epidemien von Lieferungen aus dem Ausland unabhängig zu werden, beschlossen die AU und Africa CDC Anfang März 2022 einen Aktionsplan für die 2019 gegründete PAVM (Partnership for African Vaccine Manufacturing), mit dem das Potenzial Afrikas für die Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen erschlossen werden soll. Eine führende Rolle hat dabei die African Vaccine Manufacturing Initiative (AVMI) übernommen, aufbauend auf ihrer Erfahrung und ihrem Fachwissen aus mehr als zehn Jahren Engagement für die lokale Impfstoffherstellung. Denn gegenwärtig wird weniger als ein Prozent der auf dem Kontinent verabreichten Impfstoffe vor Ort hergestellt, was für die Gesundheitssysteme in Afrika eine grosse Belastung darstellt und ihre Fähigkeit einschränkt, rasch auf Pandemien und andere Gesundheitskrisen zu reagieren. Das Ziel sind Impfstoffe «made in Africa».
Sollte dies gelingen, könnte die Weigerung grosser Pharmakonzerne, den Patentschutz für Coronaimpfstoffe (vorübergehend) aufzuheben, langsam ins Leere laufen. Schon jetzt nimmt der Druck vieler Länder auf die Pharmabranche stetig zu. Es ist an der Zeit, dass auch die Schweiz ihre Blockadehaltung endlich aufgibt und sich dem Vorstoss Südafrikas und Indiens vom 2. Oktober 2020 bei der WTO anschliesst, das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) während der Coronapandemie zu suspendieren. So wie es über 100 Staaten tun, darunter zahlreiche europäische. Schliesslich muss auch die Schweiz daran interessiert sein, dass künftig Pandemien rascher und effektiver überwunden werden können.