Erneuerbare Energien oder Elektromobilität verlangen nach Aluminium. Dafür braucht es Bauxit. Die Kehrseite dieser Zukunftstechnologien: Der Bauxitabbau ist umweltschädlich und verursacht hohe soziale Kosten in Schwellen- und Entwicklungsländern. Das Recycling von Aluminium allein ist keine Alternative.
Seit über 40 Jahren sammeln Schweizer Haushalte Aluminium. Waren es erst Joghurt-Deckel und Lebensmittel-Tuben, folgten später Getränkedosen und Kaffeekapseln. 2001 feierte die IGORA-Genossenschaft für Aluminium-Recycling die Schweizer Bevölkerung als Weltmeisterin: Sie hatte freiwillig insgesamt 2400 Tonnen Alu gesammelt. Heute recycelt die Schweiz jährlich 12'700 Tonnen Alu-Getränkedosen. Menschen in Ländern, die im grossen Stil Bauxit abbauen, helfen solche Recycling-Erfolgsgeschichten nicht. Denn die Nachfrage nach Aluminium ist unvermindert hoch, und sie geht einher mit Umweltschäden und sozialen Kosten.
Aluminium aus dem Globalen Süden
Ob Fahr- und Flugzeuge, Fahrräder, elektrische Leitungen, Elektronik, Windräder, Verpackungen und Behälter, Optik, Lichttechnik, Fotovoltaik, Kosmetik oder Medikamente – Aluminium ist überall drin. Und Zukunftstechnologien wie Elektromobilität oder erneuerbare Energien heizen die Nachfrage an: Aluminium ist somit eine Voraussetzung und Achillesferse für Nachhaltigkeit und Klimaschutz in einem.
Unterschieden wird nach Primär-Aluminium aus Bauxit und Sekundär-Aluminium aus Aluminiumschrott. Wobei letzterer derzeit nur ein Drittel der weltweiten Nachfrage liefern kann. Noch immer dominiert neues Aluminium: Für eine Tonne braucht es etwa vier Tonnen getrocknetes Bauxit. Die Produktion von Aluminium ist sehr energieaufwendig und rechnet sich nur, wenn sehr viel sehr günstiger Strom zur Verfügung steht. Dafür werden zum Beispiel in Brasilien riesige Wasserkraftwerke wie der Belo Monte-Staudamm errichtet. Das Recycling hingegen verbraucht nur fünf Prozent der Energie, die zur Gewinnung von neuem Aluminium benötigt wird. Allerdings entstehen bei der Aufbereitung von Aluminiumschrott pro Tonne 300 bis 500 Kilogramm Salzschlacke, die mit Dioxinen und Metallen verunreinigt ist und ihrerseits aufwändig recycelt werden muss.
2021 wurden weltweit insgesamt 390 Millionen Tonnen Bauxit gefördert. Davon steuerte Australien 28 Prozent bei, gefolgt von China und Guinea (je 22%), Brasilien (8%), Indien (6%) und Indonesien (5%). Angesichts der weltweiten Reserven von rund 32 Milliarden Tonnen werden dem Bauxitabbau auch künftig keine Grenzen gesetzt sein: Dabei verfügt Guinea mit 23 Prozent über die grössten Reserven, gefolgt von Vietnam (18%), Australien (16%), Brasilien (8%), Jamaika (6%) und Indonesien (4%).
2021 wurden weltweit 68 Millionen Tonnen Primär-Aluminium hergestellt: 57 Prozent in China, dazu in Indien (6%), Russland und Kanada (je 5%), den Vereinigten Arabischen Emiraten (4%) sowie Australien, Bahrain und Norwegen (je 2%). Von der Wertschöpfung – es geht um eine Wertsteigerung um rund das Fünffache – profitieren Länder wie Guinea, Brasilien und Indonesien nicht. Die indirekten Kosten hingegen fallen bei ihnen an.
Rotschlamm im Regenwald und Landraub
Die Bauxitgewinnung ist mit schwerwiegenden ökologischen Risiken verbunden. Der Abbau des rötlichen Erzes erfolgt meist im Tagebau. Bei der Lösung des Aluminiumoxids aus Bauxit entsteht als unlöslicher, giftiger Rückstand Rotschlamm, der wegen der äusserst ätzenden Natronlauge insbesondere für Wasserökosysteme sehr gefährlich ist. Zudem enthalten die beim Abbau abgetragenen Erdschichten oft Schwermetalle wie Arsen, Quecksilber, Cadmium, radioaktives Uran und Thorium.
Um solche Umweltbelastungen zu mindern, wird Rotschlamm gewaschen und möglichst von der Natronlauge befreit. Da seine Nutzung unwirtschaftlich ist, wird der allergrösste Teil der jährlich anfallenden 150 Millionen Tonnen in Deponien entsorgt und mit Sand und Erde abgedeckt. Deponien und Abbauflächen werden nach Möglichkeit rekultiviert: aufgeforstet, landwirtschaftlich erschlossen oder als Erholungs- oder Gewerbegebiet instand gestellt. Nur zwei Prozent des Rotschlamms werden wiederverwendet, vor allem für Baustoffe.
Die grössten Bauxittagebaugebiete befinden sich im Tropengürtel, wo dafür – wie in Guinea, Jamaika, Indien und Brasilien – Regenwald abgeholzt wird. Der Rotschlamm wird dabei oft unsachgemäss entsorgt oder in Flüsse und Seen geleitet, wie 2018 in Brasilien. Ältere Deponien sind meist nicht zuverlässig abgedichtet, weshalb bei kräftigen Regenfällen Rotschlamm versickert und das Grundwasser mit Natronlauge vergiftet. Sie nachträglich abzudichten, ist schwierig, da meist Seen oder alte Tagebaue und Gruben als Deponien genutzt wurden.
So liegt Brasiliens wichtigste Bauxitmine Porto Trombetas, die 70 Prozent der brasilianischen Produktion liefert, mitten im Amazonas-Regenwald im Bundesstaat Pará. Pro Jahr werden für die seit 1979 ausgebeutete Mine durchschnittlich 100 Hektar Wald gerodet. Der nahe gelegene See Lago Batata verschlammte wegen der Abwasser vor 20 Jahren so stark, dass sein Ökosystem abstarb. Das Wasser des angrenzenden Rio Sapone kann seitdem nicht mehr als Trinkwasser genutzt werden. Aber auch in Europa sind die Gefahren nicht gebannt: Im Oktober 2010 kam es im ungarischen Kolontár zu einer Umweltkatastrophe, als beim Dammbruch eines Deponiebeckens zwischen 600’000 und 1,1 Millionen Kubikmeter Rotschlamm austraten.
Zu den Umweltschäden kommen soziale Kosten hinzu. In Guinea beispielsweise haben Bergbauunternehmen in den vergangenen Jahrzehnten von Kleinbauernfamilien bewirtschaftetes Ackerland ohne angemessene Entschädigung enteignet. Die betroffenen Familien wurden gezwungen, anderswo Nahrungsmittel anzubauen. Für viele Frauen bedeutete es den Verlust ihrer Einnahmequelle. Durch die Enteignungen verloren betroffene Familien auch den Zugang zu Wasser. Zudem zerstört der Bergbau die Pflanzen- und Tierwelt und hat den Wasserstand und die Wasserqualität in den örtlichen Flüssen, Bächen und Brunnen verringert. Und nicht zuletzt gefährden die Feinstaubemissionen der Bauxitwerke die Gesundheit der Bevölkerung und können Lungenkrankheiten auslösen; die im Regenwasser gelösten Staubpartikel des Bauxits haben eine neurotoxische Wirkung.
Das Bemühen um Nachhaltigkeit
Im Wissen um die vielfältigen Risiken wird weltweit an Alternativen für eine nachhaltige Bewirtschaftung von Bauxit und Aluminium gearbeitet, denn ein Verbot der Bauxitgewinnung ist keine Lösung: Zu sehr sind viele Schwellen- und Entwicklungsländer wirtschaftlich davon abhängig. Vorreiter ist Jamaika, das bereits vor 45 Jahren das Jamaica Bauxite Institute, eine Organisation zur Überwachung der Bauxit-Industrie und zum Schutz der Interessen der Regierung, gründete. Seither entwickelt das Institut unter anderem umweltschonende Investitionsvorgaben für Erweiterungen und Erneuerungen von Anlagen. Gleichzeitig werden ehemalige Bauxitgruben rekultiviert.
Auch international engagiert sich die Aluminiumbranche seit Jahren für eine nachhaltige Gewinnung und Nutzung von Bauxit und Aluminium. Dabei fokussiert das 1972 gegründete International Aluminium Institute (IAI) vor allem auf technische Lösungen. Und der europäische Dachverband European Aluminium, zu deren Mitgliedern auch der Schweizer Aluminium-Branchenverband zählt, legte 2019 ihre «Vision 2050 für strategisches, kohlenstoffarmes und wettbewerbsfähiges Aluminium» vor. Darin setzt er mit Blick auf das Pariser Klimaabkommen ganz auf die Kreislaufwirtschaft, sprich auf mehr recyceltes Aluminium, um bis 2050 die Treibhausgasemissionen um 880 auf 1500 Tonnen CO2 zu senken.
Allerdings müssen die Branchen-Bemühungen markant verstärkt werden, denn die Nachfrage nach Aluminium wird zunehmen. Angesichts der Umweltschäden und sozialen Kosten für die Bevölkerung und die Staaten muss deshalb auch die Wiederverwertung weiter intensiviert werden: Der Rohstoff ist viel zu wertvoll, um als Wegwerfprodukt verschwendet zu werden. Weil aber auch beim Recycling Schadstoffe anfallen, muss weiter an Lösungen gearbeitet werden. Nichtsdestotrotz: Das Recycling entspricht dem Ziel 12.2 der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, «bis 2030 die nachhaltige Bewirtschaftung und effiziente Nutzung der natürlichen Ressourcen zu erreichen». Wenn zusätzlich die Wertschöpfung nachhaltig ausgestaltet und in die Abbauländer verschoben wird, kann Aluminium tatsächlich zu einem Hoffnungsträger für eine klimafreundliche nachhaltige Entwicklung werden.