Weltweit tragen Frauen die grösste Bürde der unbezahlten Haus- und Pflegearbeit, in Entwicklungsländern ungleich mehr als in Industriestaaten. Diese Belastung verhindert, dass Frauen wirtschaftlich «rentable» Arbeit leisten und dafür wertgeschätzt werden. Zudem schwächt und verhindert sie ihre politische Partizipation. Wirksame Entwicklungsarbeit muss unbezahlte Care-Arbeit viel stärker berücksichtigen.
Die Anerkennung, Reduktion und Umverteilung von Care-Arbeit, der unbezahlten Haus- und Pflegearbeit, ist eine wichtige Forderung des Frauenstreiks in der Schweiz vom 14. Juni. Es ist keine Schweiz-spezifische Forderung, sondern international ein wichtiges Anliegen, das zurzeit überwiegend von Frauen eingefordert wird. Denn sie sind es, die diese Arbeit unbezahlt leisten: Gemäss Schätzung des Beratungsunternehmens McKinsey & Company übernehmen Frauen weltweit drei Viertel der unbezahlten Haus- und Pflegearbeit. Deren Wert entspricht jährlich 10 Billionen US-Dollar oder rund 13 Prozent des weltweiten Bruttonationaleinkommens. Die Uno geht sogar von bis zu 39 Prozent aus. Dabei gilt, wie die OECD feststellt: Je ärmer ein Land, desto ungleicher die Verteilung der Last.
Das Problem ist, dass unpaid care work – so der Fachbegriff – keine offizielle volkswirtschaftliche Messgrösse ist und deshalb verlässliche Statistiken fehlen, weshalb sie im Rahmen politischer und wirtschaftlicher Prozesse marginalisiert und ignoriert wird.
Frauen in Entwicklungsländern besonders betroffen
Unpaid care work steht für die Betreuung und Pflege von Familien, Kindern, älteren oder pflegebedürftigen Menschen ebenso wie für die dazugehörenden Hausarbeiten: Kochen, Wasser, Holz und Tierfutter holen, Waschen, Putzen usw. Dort, wo Frauen stundenlang gehen müssen, um sauberes Wasser oder Holz zum Kochen zu holen, wo es keine Gesundheitsversorgung gibt und die soziale Absicherung fehlt, sind der Aufwand sowie die damit einhergehenden Risiken wie häusliche Gewalt oder natürliche Gefahren besonders gross.
Aufgrund fehlender Zeit, aber auch weil die Care-Arbeit mehrheitlich im Privaten stattfindet, sind Frauen vielerorts vom wirtschaftlichen und auch vom politischen Leben ausgeschlossen. Das verstärkt und verfestigt Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Und es zementiert das Gesellschaftsbild des «männlichen Ernährers», der in der Öffentlichkeit tätig ist, und der «weiblichen Betreuerin», die in die Privatsphäre gehört.
Als Folge sind Frauen vielfach von Entwicklungsprozessen ausgeschlossen. Dies betrifft gemäss der Internationalen Arbeitsorganisation 41 Prozent oder über 600 Millionen aller erwerbsfähigen Frauen. Dem will die Uno-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung entgegenwirken.
Ihr Ziel 5.4: «Unbezahlte Pflege- und Hausarbeit durch die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen und Infrastrukturen, Sozialschutzmassnahmen und die Förderung geteilter Verantwortung innerhalb des Haushalts und der Familie entsprechend den nationalen Gegebenheiten anerkennen und wertschätzen.» Denn die unbezahlte Care-Arbeit bildet nicht nur das Rückgrat der Familie, sondern sie trägt massgeblich zum Funktionieren von Volkswirtschaften und zum Wohlbefinden aller Menschen bei. Sie muss deshalb zu einer fixen Kenngrösse werden. Und vor allem muss sie in Entwicklungspläne einbezogen werden. Doch wie lässt sich dies erreichen?
Entwicklungsorganisationen im Dilemma
Viele Entwicklungsakteure stehen vor einem Dilemma. Sie setzen in ihren Projekten darauf, Frauen zu stärken: Frauen sollen sich vermehrt an gesellschaftlichen Diskussionen beteiligen und Verantwortung übernehmen, sei es in lokalen Entwicklungskomitees, Bauern-Kooperativen oder Eltern- und Schulräten, um nur einige Beispiele zu nennen. Meist sind diese zusätzlichen Aufgaben ebenfalls unbezahlt.
Wird der Aufwand entschädigt oder ist die Aufgabe prestigeträchtig, drängen sich oft Männer dafür auf. Die Folge: Mit den Entwicklungsprojekten, die berechtigterweise Frauen mehr Mitgestaltungsmacht und Mitbestimmung geben möchten, steigt der unbezahlte Zeitaufwand. Das geht auf Kosten der wirtschaftlichen und politischen Teilhabe von Frauen.
Wie können Staat und Gesellschaft dazu beitragen, dass die Bürde der unbezahlten Arbeit gemindert werden kann? Die Antwort steckt in vier englischen «R»:
- Recognize (anerkennen): Unpaid care work muss anerkannt und eine wirtschaftliche Kenngrösse werden. Es geht nicht um die Monetarisierung oder Festlegung von Gehältern. Es braucht einfache Zahlen zu Menge, Aufwand und Aufteilung («Zeitbudgets»), die in nationale Statistiken einfliessen. Bisher geschieht dies viel zu wenig.
- Reduce (reduzieren): Unpaid care work muss reduziert werden, damit Zeit und Energie für andere Aktivitäten frei werden. Schon nur eine saubere Wasserquelle im Dorf oder energiesparende Kochgelegenheiten verringern den Zeitaufwand für Frauen. Erreicht wird dies oft durch technologische Verbesserungen und die Bereitstellung von Infrastruktur.
- Redistribute (umverteilen): Unpaid care work muss umverteilt werden. Nicht nur Männer sollen ihren Teil wahrnehmen, auch Staat und Privatwirtschaft können ihren Beitrag leisten, indem sie bedarfsgerechte Dienstleistungen bereitstellen, seien es externe Kinderbetreuung, Gesundheitsdienste, Altersheime oder Grundschulbildung.
- Representation (sichtbarmachen): Unpaid care work muss auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens gegenwärtig sein. Nur so werden die Bedürfnisse von Frauen an Dienstleistungen oder Infrastrukturen zur Unterstützung von Pflegeaufgaben sichtbar und berücksichtigt. Gerade die wirtschaftliche Repräsentation, also die Möglichkeit, einer rentablen Tätigkeit nachzugehen, ermöglicht es Frauen, auch politisch ihre Stimme zu erheben.
Mit Zeit-Tagebüchern zu mehr Belastungsgerechtigkeit
Frauen und Männer sollen gleichberechtigt entscheiden können, wie sie über ihre Zeit verfügen. Deshalb setzt Helvetas in ihren Projekten vielfach «Zeit-Tagebücher» ein, um festzustellen, wie viel unbezahlte Arbeit Frauen leisten und ob und wann sie Zeit für Projektaktivitäten haben. Zum einen stärkt dies ihre Verhandlungsposition, zum anderen zeigt es Lösungsansätze auf, die allen zuträglich sind. So werden Kurse auf Zeiten gelegt, die Frauen eine Beteiligung ermöglichen, oder Hütedienste organisiert, damit sie sich weiterbilden können.
Angesichts der höheren Lebenserwartung und der steigenden Bevölkerungszahlen wird Pflegearbeit weiter zunehmen. Doch Frauen können und dürfen nicht Lückenbüsserinnen sein für Aufgaben, die Gesellschaft, Staat und Wirtschaft wahrzunehmen haben. Die durch die Care-Arbeit gegebene strukturelle Benachteiligung von Frauen ist nicht nur eine Menschenrechtsfrage. Sie ist vor allem eine Herausforderung für eine weltweite menschliche und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Unpaid care work geht uns alle an.