Die Schweiz belegt im Uno-Weltglücksbericht Rang sechs, am glücklichsten fühlen sich die Menschen in Finnland. Doch haftet dem Bericht ein Makel an: Er ignoriert den ökologischen Fussabdruck und damit das Glückspotential künftiger Generationen. Das führt politisch über kurz oder lang in die Sackgasse. Doch es gibt Alternativen, wie sie Bhutan oder Neuseeland ausloten. Der Frage nach dem nachhaltigen Glück geht auch die neue Helvetas-Ausstellung GLOBAL HAPPINESS nach.
Jedes Jahr fragt die Uno Menschen aus über 150 Ländern nach ihrem subjektiven Wohlbefinden und veröffentlicht die Ergebnisse in ihrem Weltglücksbericht. Von Beginn an rangierten die Industriestaaten – insbesondere die skandinavischen Länder – zuoberst auf der Rangliste. Laut dem diesjährigen Bericht sind die Menschen in Finnland am glücklichsten und zufriedensten, die Schweiz belegt Rang sechs. Ganz am Schluss der Rangliste befinden sich Krisen- und Konfliktländer wie Afghanistan, die Zentralafrikanische Republik und der Südsudan.
Die Expertinnen und Experten des Weltglücksberichts gehen davon aus, dass Menschen ihr subjektives Wohlbefinden aufgrund folgender Faktoren unterschiedlich wahrnehmen: das Bruttonationaleinkommen pro Kopf eines Landes, die Anzahl gesunder Lebensjahre, die Qualität der Gesundheitsversorgung und der eigenen sozialen Netzwerke, das Gefühl, frei die eigenen Lebensentscheidungen treffen zu können, die Grosszügigkeit der Menschen rundherum, das Vertrauen in Staat und Wirtschaft sowie das Ausmass der Korruption in einem Land. Die sich daraus ergebende Bewertung ist jedoch mit Vorsicht zu geniessen, da der Zugang zur Natur und insbesondere der ökologische Fussabdruck unberücksichtigt bleiben.
Glücksfaktor «ökologischer Fussabdruck»
Der genannte Weltglücksbericht, der seit 2012 jedes Jahr am Weltglückstag am 20. März veröffentlicht wird, lässt somit wichtige Aspekte aussen vor und blendet die Anforderungen an eine nachhaltige Entwicklung, wie sie die Uno-Agenda 2030 fordert, aus. Zu Recht kritisiert daher die englische New Economic Foundation (NEF), dass diejenigen Länder, die beim Bericht auf den vordersten Plätzen liegen, einen zu grossen ökologischen Fussabdruck haben. Ein solches Verständnis von Glück sei nicht nachhaltig, sondern gehe auf Kosten der Umwelt. Daher hat die NEF den eigenen Happy Planet Index entwickelt, der den ökologischen Fussabdruck mit einrechnet. Das führt dazu, dass in der Ausgabe von 2016 – die nächste Ausgabe erscheint im Laufe dieses Jahres – Costa Rica auf Platz 1 liegt, die Schweiz hingegen auf Platz 24 und Finnland gar nur auf Platz 37. Neben Costa Rica schneiden auch andere lateinamerikanische Länder wie Mexiko oder Kolumbien deutlich besser ab als viele Industrienationen: Sie leben auf ökologisch kleinerem Fuss und erreichen trotzdem eine relativ hohe Lebenszufriedenheit.
Gesucht sind somit Wege, die zu Glück und Wohlbefinden aller Menschen in einem Land beitragen, ohne gleichzeitig die Umwelt übermässig zu belasten. Wirtschaftswachstum allein, das noch immer als wichtigster Fortschrittsindikator gesehen wird, kann nicht die Lösung sein, weil ein angekurbelter Konsum aller meistens nicht ökologisch verträglich ist. Zudem machen mehr Geld und Besitz ab einem gewissen Betrag in der Regel nicht glücklicher.
Bhutans Bruttonationalglück
Was also kann ein Staat tun, um nachhaltiges Wohlbefinden zu fördern? Er muss die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Entwicklung schaffen, damit es der Bevölkerung, der Wirtschaft und der Natur gut gehen kann. Bhutan geht hier andere Wege: Das Land misst seinen Fortschritt nicht nur anhand des Bruttonationaleinkommens, sondern auch anhand des Bruttonationalglücks. Dabei gewichtet die Regierung in ihren politischen Entscheidungen vier Faktoren gleichwertig: die Auswirkungen auf die Ökologie, eine qualitativ gute Regierungsführung, eine nachhaltige und faire sozio-ökonomische Entwicklung sowie die Bewahrung und Förderung von Kultur. Regelmässig macht sie Umfragen, um zu erfahren, wie zufrieden die Menschen im Land sind. Deren Zufriedenheit steigt langsam, aber stetig: Bhutan ist immer noch ein armes Land. Aber während es im aktuellen Uno-Weltglücksbericht auf Platz 95 liegt, nimmt es im Happy Planet Index 2016 bereits Platz 56 ein.
Auch einzelne westliche Nationen haben begonnen, Glück und Zufriedenheit ihrer Bevölkerung mehr zu gewichten. Dieses Jahr stellt Neuseeland sein erstes Wellbeing Budget vor, das nicht nur die finanziellen Auswirkungen politischer Entscheide misst, sondern auch die sozialen, kulturellen und ökologischen. Premierministerin Jacinda Ardern ist überzeugt, so das Leben für alle Menschen in ihrem Land verbessern zu können, weil nicht nur Geld der ausschlaggebende Faktor für ein gutes Leben ist
Hausaufgaben der Schweizer Politik
Die Schweizer Politik hingegen hinkt in dieser Hinsicht hinten drein. Wenn das Parlament ein Gesetz berät, prüft es die finanziellen Konsequenzen und die Konsequenzen im internationalen Recht. Die Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Bevölkerung sind kein Thema – oder wenn, dann nur in materieller Hinsicht. Manchmal wird auch die Vereinbarkeit mit den Uno-Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) geprüft. Die Schweiz hätte jedoch gute Voraussetzungen, um ebenfalls Vorreiterin zu sein und das Wohlbefinden ihre Bürgerinnen und Bürger ins Zentrum des politischen Handelns zu rücken. Sie hat ein stabiles politisches System mit einer aktiven Zivilgesellschaft, eine intakte Natur, eine starke Wirtschaft und ist kleinräumig genug für wegweisende Experimente.
Hinweis: Glück und Nachhaltigkeit stehen auch im Zentrum der neuen Helvetas-Ausstellung GLOBAL HAPPINESS, die Mitte Mai im Naturama Aarau eröffnet wurde. Informationen dazu unter www.globalhappiness.ch