Projekt PAEFE in Benin  | © Stephane Brabant

In die Zukunft investieren

Argumente für eine starke Internationale Zusammenarbeit der Schweiz
VON: Patrik Berlinger - 01. Dezember 2024
© Stephane Brabant

Internationale Zusammenarbeit bedeutet humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, wirtschaftliche und multilaterale Kooperation sowie internationaler Klimaschutz und die Förderung von Frieden und Menschenrechten. Oder in einem Wort: Stabilität – in einer Welt, die aus den Fugen gerät. Für die kommenden vier Jahre hat der Bundesrat dafür 11,27 Milliarden Franken vorgesehen, mit Abstrichen. 

Immerhin, der im Sommer 2024 durchgewunkene 2-Milliarden-Kürzungs-Kahlschlag der bürgerlichen Mehrheit gilt mittlerweile als unbedachter «Hüftschuss». So stellte sich der Ständerat bei den Beratungen zur Strategie der Internationalen Zusammenarbeit 2025-2028 im September wieder hinter die 11,27 Milliarden für die «Auslandshilfe»

Dennoch: Beinahe 15 Prozent der gesamten Entwicklungsgelder will der Bundesrat allein für die Ukraine reservieren. Kritik üben NGOs nicht an der Wiederaufbauhilfe selbst, aber daran, dass die Mittel aus dem Topf der Internationalen Zusammenarbeit (IZA) geholt werden. Damit verlieren Menschen im Süden lebensverändernde Unterstützung, weil dafür Geld fehlen wird.  

Und weil eine Mehrheit im Parlament die Armee stark und rasch ausbauen will, drohen in der Wintersession Kürzungen von bis zu einer Milliarde Franken

Wenn über die «Ukrainehilfe» hinaus weitere Kürzungen von einer Milliarde durchkommen, stehen für die Internationale Zusammenarbeit insgesamt ein Viertel weniger Mittel zur Verfügung – 25 Prozent weniger auf einen Schlag. Die Schweiz müsste sich aus Schwerpunktländern zurückziehen. Partnerschaft und Verlässlichkeit sehen anders aus. 

Folgen für ärmere Länder: weniger Not- und Katastrophenhilfe, weniger Unterstützung bei Gesundheit und Hungerbekämpfung, weniger Klimaschutz und Anpassung an zunehmende Überschwemmungen und Dürren. Mädchen, die nicht in die Schule können. Und mehr junge Menschen in Afrika, die kein Auskommen finden und sich deshalb auf den Weg machen. 

In diesem Beitrag liefert Helvetas Fakten und Argumente für eine starke und ambitionierte Internationale Zusammenarbeit (IZA). In der Wintersession kann das Parlament in die Zukunft investieren.

Behauptung: Die Welt wandelt sich zum Besseren – wir haben die Herausforderungen im Griff. 

Das stimmt leider nicht. Zwar wurden in den vergangenen Jahrzehnten grosse Fortschritte erzielt. Doch während die einen immer mehr Reichtum anhäufen und im Luxus leben, sorgte die Corona-Pandemie für den grössten Rückschlag in der weltweiten Armutsbekämpfung seit 1990. Der russische Angriffskrieg verschlimmert die Lage zusätzlich. Im Jahr 2023 waren über 360 Millionen Menschen in rund 70 Ländern auf humanitäre Hilfe angewiesen. Gerade mal 40 Prozent der dafür benötigten Ressourcen sind finanziert. Die Zahl der Vertriebenen steigt auf unglaubliche 120 Millionen Menschen. Die fortschreitende Erderwärmung führt zu immer häufigeren und schlimmeren Waldbränden, Überschwemmungen und Dürren – mit schwerwiegenden Folgen für die Ernährungssicherung. Bereits ist (wieder) ein Zehntel der Weltbevölkerung von Hunger betroffen. Weltweit ist die Demokratie auf dem Rückzug und autokratische Systeme machen sich breit. Die Internationale Zusammenarbeit (IZA) ist also relevanter denn je. 

Behauptung: «Entwicklungshilfe» bringt den Menschen in der Schweiz nichts. 

Und ob! Denn erstens profitiert die Schweizer Wirtschaft: Die Internationale Zusammenarbeit (IZA) hilft Schweizer Unternehmen, neue Märkte zu erschliessen, indem in den entsprechenden Ländern politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen verbessert werden. Zweitens geht die IZA globale Herausforderungen wie Klimawandel, Flucht und Vertreibung, Pandemien und Artenschwund an – das kommt auch unmittelbar der Schweiz und ihren Bewohner:innen zugute. Und drittens fördert die IZA weltweit Frieden und Sicherheit, indem sie in armen und krisengeschüttelten Ländern Perspektiven schafft, damit die Menschen eine Zukunft vor Ort sehen oder wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Übrigens, laut einer ETH-Umfrage kennt die Bevölkerung der Schweiz den hohen Nutzen der IZA und wünscht sich daher mehrheitlich eine stärkere Entwicklungszusammenarbeit anstelle eines Ausbaus der Armee. 

Behauptung: Die Schweiz tut schon genug für die Ärmsten. 

Zwar bekämpft die Schweiz mit ihrer Entwicklungszusammenarbeit Hunger und Armut und stärkt nachhaltige Entwicklung weltweit. Gleichzeitig untergraben aber gewisse Politikbereiche wichtige Erfolge der Entwicklungspolitik – entsprechend gross ist der sogenannte negative Spillover der Schweiz: Immer noch finanzieren unsere Grossbanken fossile Projekte im Ausland. Unser Finanzplatz fördert Gewinnverschiebungen und Steueroptimierung zum Leidwesen von Entwicklungsländern. Wir leben mit unserem grossen Klimafussabdruck auf Kosten der Ärmsten und des Planeten. Hinzu kommt: Zwar erhält die Schweiz für ihre IZA regelmässig gute Noten. Sie setzt dafür aber laut der UNO und der OECD deutlich zu wenig Finanzmittel ein. Andere Staaten leisten im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftskraft (BIP) deutlich mehr Entwicklungszusammenarbeit

Behauptung: Ein Grossteil der Projekte ist wirkungslos. 

Falsch. Unabhängige Evaluationen bescheinigen der Internationalen Zusammenarbeit (IZA) im aktuellen Rechenschaftsbericht des Bundes eine Erfolgsquote von durchschnittlich 80%. Und das, obwohl Entwicklungsprogramme naturgemäss häufig in unsicheren Regionen durchgeführt werden. Seit Jahren wird die Wirkung der IZA im Vergleich zu anderen Bereichen wie Landwirtschaft oder Armee am detailliertesten gemessen und öffentlich dokumentiert. IT- oder Beschaffungsskandale wie sie beim Militär immer wieder vorkommen, oder klima- und biodiversitätsschädigende Subventionen in der Landwirtschaft könnte sich die Entwicklungszusammenarbeit nicht leisten. Ausserdem ist die IZA lernfähig: Entwicklungsprogramme werden kontinuierlich auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort abgestimmt, um die bestmögliche Wirkung zu erzielen. So hilft die IZA in vielen Ländern mit, bessere Lebensperspektiven zu schaffen und die Folgen der Erderwärmung und von Konflikten und Krisen abzumildern. Ohne Entwicklungszusammenarbeit sähe es daher deutlich schlimmer aus. 

Behauptung: Das Geld aus der Schweiz stärkt autoritäre und korrupte Regime. 

Ganz im Gegenteil: In unfreien, schlecht regierten Ländern zielt die Entwicklungszusammenarbeit darauf ab, den Handlungsspielraum von zivilgesellschaftlichen Akteuren wie Mitarbeitenden von lokalen NGOs, Menschenrechtsverteidigern und freien Journalisten ebenso wie Politiker:innen der Opposition und indigenen Völkern zu erweitern. Je mehr sich Regierungen von demokratischen Werten verabschieden, desto wichtiger ist eine unabhängige, informierte und kritische Zivilgesellschaft als Sprachrohr benachteiligter Bevölkerungsgruppen und als Beobachterin von Menschenrechtsverstössen. Wo immer möglich arbeitet die Internationale Zusammenarbeit (IZA) nicht mit Regierungen, sondern direkt mit lokalen Behörden, lokalen NGOs, KMUs, Community-basierten Organisationen und Akteuren aus der Wissenschaft zusammen. Dies gilt ganz besonders dort, wo die Regierung intransparent und gegen ihre eigene Bevölkerung arbeitet. 

Behauptung: In Bezug auf Migration verfehlt die Entwicklungszusammenarbeit ihr Ziel. 

Richtig ist, dass die Internationale Zusammenarbeit (IZA) im Bereich der Migration viel erreicht: Die Entwicklungszusammenarbeit schafft für die Menschen in ärmeren Ländern Perspektiven und faire Chancen. Mit der IZA trägt die Schweiz dazu bei, Grundbedürfnisse zu sichern, Bildung, Gesundheit und Frieden zu fördern, die Menschen vor den Folgen des Klimawandels zu schützen und die Zivilgesellschaft zu stärken. Wo das gelingt, haben Menschen keinen Grund, ihre Heimat zu verlassen. Und überall dort, wo Menschen fliehen müssen, leistet die Humanitäre Hilfe einen Beitrag zum Schutz der Menschen auf der Flucht. Im Übrigen geht es nicht darum, Migration «einzudämmen», sondern Migration, wo sie stattfindet, sicher und human zu gestalten

Behauptung: Das Klimaproblem wird masslos überschätzt. 

Falsch. Bereits heute sehen wir: Die Klimaveränderung verknappt das Wasser, gefährdet die Ernährungssicherheit und richtet immer grössere wirtschaftliche Schäden an. Besonders betroffen sind arme Bevölkerungsteile, Minderheiten und Frauen in Entwicklungsländern, denen es an Ressourcen und Widerstandskraft fehlt, um sich ausreichend gegen klimabedingte Extremwetterereignisse zu schützen. Umso wichtiger ist die Internationale Zusammenarbeit (IZA), denn im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit leistet die Schweiz und andere Länder wichtige Unterstützung für ärmere Länder. Dabei stärkt die IZA nicht nur die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) der Menschen, etwa durch Massnahmen zur Anpassung (Adaptation) wie die Förderung von wassersparender agrarökologischer Landwirtschaft, den Bau von Küstendeichen und Wasserreservoiren oder ein vorausschauendes Katastrophenmanagement. Die IZA trägt auch zur Reduktion der Treibhausgasemissionen bei, z.B. durch effektive Massnahmen im Klimaschutz (Mitigation) wie die Förderung von erneuerbaren Energien und nachhaltigen Wertschöpfungsketten, fossilarme Mobilität und eine CO2-arme Stadtentwicklung. Das nützt auch der Schweiz, die sich überdurchschnittlich rasch erhitzt und selbst immer stärker mit zunehmenden Extremwetterereignissen zu kämpfen hat. 

Behauptung: Der «Entwicklungshilfe» fehlt es an unternehmerischem Denken.  

Ganz im Gegenteil. Akteure der Entwicklungszusammenarbeit wie die DEZA und das Seco, aber auch Entwicklungsorganisationen unterstützen in vielen Projektländern gezielt die lokale Wirtschaft. Die Entwicklungszusammenarbeit unterstützt KMUs und ermöglicht ihnen eine erschwingliche Finanzierung ihrer Tätigkeiten. Ein wichtiger Fokus liegt auf der fachlichen Ausbildung junger Menschen sowie dem Aufbau fairer und sauberer Lieferketten, von denen möglichst viele Menschen profitieren. Ist das lokale Gewerbe erfolgreich, schafft es gute Arbeitsplätze und nachhaltige Wertschöpfung vor Ort, ganz im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe. 

Behauptung: Die Schweiz muss sich für ihre Sicherheit jetzt auf die militärische Stärke konzentrieren.  

Nein, denn wir müssen Sicherheit umfassender denken: Es gibt weitere Bedrohungen, das hat die Covid-Pandemie gezeigt, und das zeigen Klimafolgen wie Überschwemmungen, die auch uns betreffen. Die Covid-Pandemie, Kriege und zunehmende Klimaverwüstungen lassen seit einigen Jahren Lebenshaltungskosten, Ungleichheit und die Staatsschulden ärmerer Länder ansteigen. Und sie verschärfen den weltweiten Hunger und unfreiwillige Wanderungsbewegungen in vielen Ländern des Südens. Vor diesem Hintergrund darf die Schweiz nicht nur die eigene Aufrüstung im Blick haben, sondern muss umso stärker auch in die Internationale Zusammenarbeit (IZA) investieren. Denn zivile Friedensförderung und die Stärkung der Menschenrechte, langfristige Entwicklungsprogramme und humanitäre Hilfe, Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen sowie nachhaltige Entwicklung und die Stärkung der lokalen Wirtschaft in ärmeren Ländern tragen nachweislich zu weltweiter Sicherheit und Stabilität bei. Ausserdem – und das sagen ausgewiesene Sicherheitsexpert:innen – sind Kürzungen bei der IZA geopolitisch nicht weise: Damit überlassen wir das Feld zunehmend China und Russland, die das Vakuum füllen. 

Behauptung: Die Schweiz muss sparen und darf sich nicht noch stärker verschulden. 

Das ist in der gegenwärtigen Lage ein gefährliches Spiel: Die Welt steht vor riesigen Herausforderungen. Die Corona-Pandemie hat zu einer Zunahme der Armut geführt. Die Gewalt in der Ukraine hat eine neue Dimension erreicht. Weltweit sind Demokratien auf dem Rückzug, und die Menschenrechte geraten vielerorts unter Druck. Kriege und Klimaverwüstungen sorgen für immer mehr Armut, Hunger und Vertreibung. Doch anstatt in internationale Zusammenarbeit, weltweiten Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung zu investieren, halten bürgerliche Politiker:innen strikte an der schweizerischen Schuldenbremse fest. Und dies, obwohl die Schulden im Verhältnis zur schweizerischen Wirtschaftskraft (BIP) sogar zurückgehen. Die Schweiz wäre mit einer leicht höheren Schuldenquote immer noch Weltspitze – ohne Einbussen beim Wohlstand hinnehmen zu müssen. Jetzt nicht zu handeln, kostet in Zukunft mehr. 

 

(Dies ist eine aktualisierte Version)

Patrik Berlinger | © Maurice K. Gruenig
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