The future appearance of the chinese Upper Marsyangdi hydroelectric powerplant project is displayed on a big signboard | © Frank Bienewald / Alamy Stock Photo

Binnenland Nepal

Manövrieren zwischen zwei BRICS-Giganten
VON: Patrik Berlinger - 18. Juli 2024
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Eingekesselt zwischen Indien und China, ist das 30-Millionen-Binnenland Nepal um freundschaftliche Beziehungen mit den beiden Grossmächten bemüht. Deren Unterstützung bei Infrastrukturprojekten hilft Nepals Wirtschaft, sorgt aber auch für Probleme. Umso wichtiger sind unabhängige Entwicklungspartnerschaften, die Frauen und die Zivilgesellschaft stärken und eine verantwortungsvolle Regierungsführung voranbringen. 

Mit 30 Millionen Einwohnern ist Nepal zwar grösser als die Schweiz, aber ein Winzling zwischen seinen beiden Nachbarländern, die je rund 1,4 Milliarden Menschen zählen. Die Rede ist von China und Indien, den zwei mächtigen BRICS-Giganten in Asien. BRICS umfasst die grossen Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Während Nepal um freundschaftliche Beziehungen zu beiden Grossmächten bemüht ist, wirkt sich deren geopolitische und wirtschaftliche Rivalität auch auf den Alltag im Himalaya-Staat aus. So führen die seit Langem schwelenden Grenzstreitigkeiten zwischen China und Indien wiederholt zu Scharmützeln, welche Nepals territoriale Integrität bedrohen.  

Wegen der sprachlichen, kulturellen und religiösen Nähe fühlen sich Nepalesinnen und Nepalesen Indien stärker verbunden. Auch politisch fühlt sich das demokratische Nepal (das allerdings bis 2008 eine Monarchie mit einem Hindu-König war) Indien näher als dem kommunistischen Einparteienstaat China. Während die nationalistische Innenpolitik des indischen Premierministers Narendra Modi auf Nepal abfärbt und den dortigen Hindu-Fanatismus fördert, stärkt China den kommunistischen Parteien im Nachbarland finanziell und ideologisch den Rücken. Bislang hat Nepal eine neutrale Haltung gefunden, die es mit beiden Nachbarn kooperieren lässt, ohne einen der beiden zu verprellen. 

Indien ist Nepals wichtigster Handelspartner, China der zweiwichtigste. Beiden gegenüber ist das Handelsdefizit gross, wobei die Abhängigkeit von Indien deutlich grösser ist. Importiert werden Industriegüter und Hightechprodukte, Energie und einige Grundnahrungsmittel. Exportiert werden hauptsächlich Agrarerzeugnisse. Die 1850 Kilometer lange Grenze zu Indien ist leicht passierbar und offen; unzählige Menschen überqueren sie für Arbeit täglich in beide Richtungen. Die 1400 Kilometer lange Grenze zu China verläuft hingegen meist durch unwegsame Berge und ist daher wenig überquert. 

Beide Länder nehmen Einfluss in Nepal 

Beide Nachbarländer unterstützen Nepals Entwicklung. Mit Indien begann die Partnerschaft mit dem Bau des Flughafens von Kathmandu 1951. Seither hat Indien Spitäler, Schulen, die Trinkwasserversorgung und verschiedene Infrastrukturprojekte unterstützt. Kooperationen bestehen bei Bahn-, Stassen- und Glasfasernetzverbindungen, aber auch im Bereich der Wasserkraft und bei einer grenzüberschreitenden Ölpipeline, die Nepal seit 2019 erlaubt, Treibstoff schnell und auf günstigem Weg aus Indien zu importieren. Auch war Indien das erste Land, das Nepal nach dem Erdbeben 2015 Unterstützung leistete und später während der Corona-Pandemie mit Impfstoffen versorgte. 

Während die Hilfe aus Indien meist in Form von Zuschüssen erfolgt, leistet die chinesische Regierung ihre Entwicklungszusammenarbeit häufig in Form von zinslosen oder zinsvergünstigten Darlehen. Damit hat China geholfen, Strassen zu verbessern, den Flughafen von Pokhara zu bauen und Wasserkraftwerke zu errichten. Diese Investitionen sind nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern Teil der chinesischen Strategie, den Einfluss in Südasien zu stärken und Indiens traditioneller Dominanz entgegenzuwirken. Für Nepal wiederum sind chinesische Investitionen eine Chance für wirtschaftliche Entwicklung und für die Modernisierung der Infrastruktur. Allerdings gibt es auch reichlich Bedenken hinsichtlich der Schuldentragfähigkeit und der sozialen und ökologischen Auswirkungen grosser Infrastrukturprojekte. 

Konkret sorgen gross angelegte Wasserkraftprojekte im Himalaya (in Nepal und in China) immer wieder für Spannungen zwischen den Ländern: Zwar stärkt das chinesische Engagement Nepals Wirtschaft. Die Projekte stellen aber auch ein Risiko für die Ökosysteme und den Lebensunterhalt der vom Wasser abhängigen Gemeinschaften dar, was sich bis auf die Landwirtschaft in Indien auswirkt. Zumal es in Südasien keine regionalen Wasserinstitutionen (wie andernorts z.B. die Mekong River Commission) gibt, welche die Wasserverfügbarkeit nachhaltiger und gerechter unter den Anrainerstaaten regeln soll. 

Seit sieben Jahren ist Nepal Teil von Chinas Belt and Road Initiative (BRI). Viele sehen diesen Schritt als Diversifizierung der nepalesischen Aussenbeziehungen und als Verringerung der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Indien. Allerdings bleibt die wirtschaftliche Kooperation zwischen Nepal und China schwierig: immer noch sind sich die beiden Regierungen nicht einig über die Ausführung der BRI-Projekte. Während China Megaprojekte wie eine grenzüberschreitende Zugstrecke vorantreiben will, warnen manche Expert:innen vor einer möglichen Schuldenfalle. 

Auch die Schweiz engagiert sich in Nepal 

Auch die Schweiz spielt eine Rolle im asiatischen Binnenland: Mit Unterstützung der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit wurde jüngst die 10'000ste Hängebrücke fertiggestellt. Jede dieser Brücken macht die Wege von durchschnittlich 1800 Anwohner:innen kürzer und sicherer. Mehr Kinder können zur Schule, und die Wege ins nächstgelegene Gesundheitszentrum verkürzen sich, was lebensrettend sein kann. Und neue Läden und Reparaturwerkstätten entstehen entlang der neuen Wege. Im Auftrag der DEZA begleitete Helvetas die örtlichen Planungsbehörden mit Beratung und Schulung der administrativen Abläufe. So ist garantiert, dass die Mittel korrekt und effizient eingesetzt werden. Ausserdem organisierte Helvetas Kurse für die Aus- und Weiterbildung von Techniker:innen. 

Das föderale System Nepals ähnelt jenem der Schweiz. Seit Jahren berät die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit Provinz- und Lokalregierungen bei der Erarbeitung von Gesetzen, Richtlinien und politischen Abläufen. Dadurch wird sichergestellt, dass Nepal gute und für alle zugängliche Dienstleistungen für seine Bevölkerung anbieten kann. Ausserdem unterstützt die Schweiz den Friedensprozess im Nachgang zum bewaffneten Konflikt von 1996 bis 2006 sowie den Privatsektor: Dank der Berufsbildung und Förderung von Unternehmensgründungen entstehen Tausende Arbeitsplätze und damit Perspektiven für Menschen, die sonst wohl ihre Chance anderswo, fern der Familie suchen müssten. Schliesslich hilft die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit mit, dass sich Landwirt:innen mit wassersparenden, ökologischen Methoden an den Klimawandel anpassen können. 

Die langjährige Unterstützung der Schweiz steht in Nepal exemplarisch für die Bedeutung von Entwicklungspartnerschaften mit Ländern, die keine unmittelbaren geopolitischen Eigeninteressen im Himalaya verfolgen. Sie füllen wichtige Lücken auf dem Weg zu einer nachhaltigen und gerechten Entwicklung, welche grossangelegte Infrastrukturprojekte nicht leisten können. Allerdings besteht nun die Gefahr, dass die Schweiz das asiatische Binnenland bald im Stich lassen könnte, sollte der Vorschlag des Ständerats durchkommen. 

Ganz ohne Not hat die Kleine Kammer am 3. Juni in einer Hauruck-Übung beschlossen, die Entwicklungszusammenarbeit zugunsten der Armee um knapp 20 Prozent zu kürzen. Dabei gehört die Schweiz zu den am wenigsten verschuldeten Ländern der Welt; mit einer leicht höheren Schuldenquote wäre die Schweiz immer noch Weltspitze – ohne Einbussen beim Wohlstand hinnehmen zu müssen. Die Aufstockung des Militärs könnte also ausserordentlich und zusätzlich gestemmt werden, ohne die bewährte Entwicklungszusammenarbeit auf den Kopf stellen zu müssen. Klar ist jedenfalls: Müsste ein relevanter Partner der nepalesischen Bevölkerung wie die Schweiz das asiatische Binnenland im Stich lassen, würde das Feld stärker den grossen BRICS-Staaten in der Region überlassen. Zwei Regierungen, die sich nicht gerade hervortun, wenn es um die Förderung von Frauen und der Menschenrechte, um Versöhnungsarbeit und zivilgesellschaftliche Teilhabe oder um die Stärkung föderaler und transparenter Verwaltungsstrukturen geht. 

Mehr zur aktuellen Debatte über die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz erfahren Sie in unserem Argumentarium «Fakten statt Behauptungen». 

Patrik Berlinger | © Maurice K. Gruenig
Verantwortlicher Politische Kommunikation
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