Unwetter Wallis Chippis Rhone | © Keystone/Jean-Christoph Bott

Extremes Wetter in der Schweiz

Ein Weckruf, mehr für Klimaschutz in Entwicklungsländern zu tun
VON: Patrik Berlinger - 17. Juli 2024
© Keystone/Jean-Christoph Bott

Die Verwüstungen im Wallis und im Tessin sind Zeugen der globalen Klimaveränderung. Während die Schweiz lernt, mit solchen Unwettern besser umzugehen, befinden sich viele Entwicklungsländer bereits mitten im tödlichen Sturm von extremen Hitzewellen und Sturzfluten. Längst müsste die Schweiz Klimaschutz konsequent vorantreiben – hierzulande, und in ärmeren Ländern. Im eigenen Interesse und zur eigenen Sicherheit. 

Gewitter und Starkregen haben Ende Juni in der südlichen Schweiz für gewaltige Erdrutsche und Überschwemmungen gesorgt. Im Tessin wurde das obere Maggiatal schwer getroffen; im Wallis Saas-Grund, Zermatt und das Rhonetal. Es gab Tote und Verletzte, und die Schäden gehen in die Hunderten von Millionen Franken. Angesprochen auf die Katastrophe, meinte der Umweltminister und SVP-Bundesrat Albert Rösti im «Tagesgespräch» auf Radio SRF, er glaube zwar den Experten, die sagen, dass der Klimawandel einen Einfluss habe. Und dass die Ereignisse «intensiver» werden. Aber man könne nicht sagen, diese Ereignisse deuteten auf den Klimawandel hin. 

Weil in gefährdeten Gebieten mehr Menschen wohnten als früher, müsse das Schutzniveau angepasst werden. Zwar gebe es kein Leben ohne Risiko, was insbesondere in Berggebieten der Fall sei. Dennoch müsse dafür gesorgt werden, dass solche Ereignisse weniger Auswirkungen hätten. Der Bund allein zahle jährlich 160 Millionen Franken für Schutzmassnahmen. Man könne die Gelder künftig noch gezielter und risikobasierter einsetzen, ergänzte Rösti. 

Weiter nahm Rösti den Walliser Umweltdirektor und Parteikollegen Franz Ruppen in Schutz. Obwohl die Stimmbevölkerung im Wallis das Projekt zur Renaturierung der Rhone 2015 deutlich angenommen hatte, stoppte Ruppen das grösste Hochwasserschutz-Projekt der Schweiz, um es zu überarbeiten. Sein Argument: Das Projekt gehe von einem viel zu grossen Schadenspotenzial aus und sei «überdimensioniert». Schon seit Jahren spielt die grösste Partei der Schweiz klimabedingte Naturgefahren herunter. Ins Bild passt, dass Ruppen sich vergangenes Jahr als einziger Walliser Staatsrat auf verlorenem Posten gegen das Klimaschutz-Gesetz engagierte, das eine sozialverträgliche Dekarbonisierung der Wirtschaft fördert. 

«Die aktuellen Unwetter sind noch harmlos» 

In Reaktion auf die Katastrophen in der südlichen Schweiz unterstrich Sonia Seneviratne in einem «Echo der Zeit»-Beitrag einmal mehr, dass mit dem wärmeren Klima ausserordentliche Wetterlagen häufiger und heftiger werden. Die ETH-Klimaforscherin, die auch Mitglied des Weltklimarates IPCC ist, wies darauf hin, dass die aktuellen Unwetter «noch harmlos» seien, verglichen mit den Extremwetter-Ereignissen, die wir in zehn oder 20 Jahren erleben würden. Seit langem sei klar, dass wir die CO2-Emissionen massiv reduzieren müssten; etwa halbieren bis 2030, um das Klima bei 1,5 Grad zu stabilisieren. 

Gestützt auf Klimaexpert:innen und auf die Erfahrung in vielen Projektländern warnen NGOs wie Helvetas seit Jahrzehnten vor den wachsenden Gefahren durch die menschengemachte Erderwärmung – und fordern entsprechend mehr Klimaschutz. Doch unser Bundesrat wiegelt ab, obwohl der Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und den zunehmenden Extremwetter-Ereignissen wie im Wallis wissenschaftlich längst erwiesen ist. Erst ganz zum Schluss des «Tagesgesprächs», auf die Frage zur Rolle des «Klimawandels», nimmt Bundesrat Rösti das Wort in den Mund – und relativiert sogleich: Man könne nicht von einem einzelnen Ereignis auf die langfristige Entwicklung hinweisen. Ausserdem habe es solche Ereignisse schon immer gegeben. Klar ist, mit solchen Aussagen verdreht der Bundesrat Tatsachen und zieht wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel in Zweifel. Das ist verantwortungslos und fatal. 

Wenn nichts geschieht, trifft es auch die Schweiz hart 

Die Prognosen sprechen (leider) eine eindeutige Sprache: Millionen von Menschen auf der ganzen Welt leben unter zunehmendem Hitzestress, mit Risiken für die Gesundheit. In den 20 grössten Hauptstädten der Welt – in denen über 300 Millionen Menschen leben – ist die Zahl der Tage, an denen die Temperatur 35 Grad erreicht, in den letzten drei Jahrzehnten um 52 Prozent gestiegen. Zudem gefährden der Anstieg des Meeresspiegels und die Versalzung von Kulturland Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, der Fischerei und im Tourismus. Beschädigt und zerstört werden lebenswichtige Infrastrukturen wie Verkehrssysteme, Krankenhäuser und Schulen. Nach den kürzlich veröffentlichten Daten der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) ist der Meeresspiegel im globalen Durchschnitt seit 1900 schneller gestiegen als in jedem anderen Jahrhundert der letzten 3’000 Jahre.   

Gemäss Prognosen der UNO-Organisation, die sich mit Naturkatastrophen beschäftigt (UNDRR), nehmen Extremwetterereignisse kontinuierlich zu – bis 2030 wird es weltweit über 560 Katastrophen pro Jahr geben, davon 90 Prozent klimatischer Natur, etwa Wirbelstürme, Überschwemmungen und Hitzewellen. Das ist ein Anstieg von 40 Prozent im Vergleich zu 2015. Laut Bericht des Weltklimarats 2022 (IPCC) starben im letzten Jahrzehnt in ärmeren Regionen 15-mal mehr Menschen wegen Fluten, Dürren oder Stürmen als in wohlhabenden Gegenden. Schon heute kann sich beinahe die Hälfte der Menschheit kaum noch vor den Folgen der Klimaveränderung schützen. 

Und die Schweiz? Diesen Sommer haben wir gesehen, dass auch die Schweiz zunehmend «Opfer» des Klimawandels ist. Aber sie ist eben auch «Mitverursacherin». Mit ihrem grossen Klimafussabdruck trägt sie eine entsprechende Verantwortung, nach geeigneten Lösungen zu suchen, um die weltweite Klimakrise zu bewältigen. Durchaus im eigenen Interesse. Schliesslich erwärmt sich die Schweiz im weltweiten Vergleich überdurchschnittlich stark: Trockenere Sommer und mehr Hitzetage, sowie heftigere Niederschläge und schneearme Winter sind die Folgen. Und – wie im Wallis und Tessin – ungewöhnlich heftige Überschwemmungen und Murgänge. 

Entwicklungszusammenarbeit spielt eine zentrale Rolle beim weltweiten Klimaschutz  

Während die Schweizer Armee hierzulande eine wichtige Rolle im Katastrophenschutz spielt, ist es die Entwicklungszusammenarbeit, die in ärmeren Ländern Katastrophenprävention und existenzsichernde Anpassung an die Folgen der Erderhitzung fördert. Mit zunehmender Erwärmung wird die Rolle der Entwicklungszusammenarbeit also wichtiger. Nicht nur stärkt sie die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) der Menschen, etwa mittels der Förderung einer wassersparenden, ökologischen Landwirtschaft, des Baus von Küstendeichen und Wasserreservoiren oder eines vorausschauenden Katastrophenmanagements. Die Entwicklungszusammenarbeit trägt auch zur Reduktion der Treibhausgasemissionen bei, z.B. indem sie erneuerbare Energien und nachhaltige Wertschöpfungsketten fördert oder fossilarme Mobilität und eine CO2-arme Stadtentwicklung unterstützt. 

2021 setzten die wohlhabenden OECD-Länder bereits rund einen Viertel ihrer Gelder der (bilateralen) Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) für Klimaziele ein. Auch die Schweiz verstärkte 2021 ihr Engagement, um den Klimawandel in Entwicklungsländern einzudämmen und dessen Folgen abzufedern. Im Budget für Entwicklungszusammenarbeit widmete sie dem Klima in den Jahren 2021-2024 rund 400 Millionen Franken pro Jahr. Das sind rund 15% des Budgets und 100 Millionen Franken mehr als in der vorangehenden Strategieperiode (2017-2020). Dieser Betrag soll ab dem kommenden Jahr gleichbleiben

Angesichts des weltweit wachsenden Bedarfs an Klimaschutz und Anpassungsleistungen müsste der Klima-Anteil eigentlich erhöht werden. Um zu vermeiden, dass dies zulasten anderer Bereiche der Entwicklungszusammenarbeit geht, bräuchte es längst sozial verträgliche und verursachergerechte Einnahmen für die internationale Klimafinanzierung. Allerdings passiert gerade das Gegenteil: Die Unterstützung von Entwicklungsländern beim Klimaschutz droht zu erodieren. So hat der Ständerat am 3. Juni 2024 in einer Hauruck-Übung kurzerhand beschlossen, die Entwicklungszusammenarbeit zu Lasten des starken Ausbaus der Armee um knapp 20 Prozent zu kürzen. Mit absehbar negativen Folgen für Klimamassnahmen in Partnerländern oder den Grünen Klimafonds und den Anpassungsfonds. Ein gefährliches Spiel. Auch für die Schweizer Bevölkerung. 

Mehr zur aktuellen Debatte über die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz erfahren Sie in unserem Argumentarium «Fakten statt Behauptungen». 

Patrik Berlinger | © Maurice K. Gruenig
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