Klimaschutz als politische Richtschnur

VON: Geert van Dok - 16. August 2019

Der Klimawandel und seine Folgen beherrschen die internationalen Schlagzeilen. Weltweit geht die Jugend millionenfach auf die Strasse. Der Klimaschutz ist zur Richtschnur der Politik geworden. Nun müssen den Worten Taten folgen: Es braucht Transformationen in den vier Schlüsselsektoren Energie, Industrie, Land und Ökosysteme sowie Städte und Infrastruktur. Regierungen müssen ehrgeizige CO2-Reduktionsziele festlegen, die zu Netto-Null-Emissionen bis 2030 führen. Und die Klimagerechtigkeit verlangt eine effektive und grosszügige internationale Klimafinanzierung. Dies muss auch für die Schweiz gelten. Es geht um die Zukunft der kommenden Generationen, auch in der Schweiz.

«Fridays for Future!» Millionen von Jugendlichen in über hundert Ländern, von Neuseeland über Indien, Südafrika und Argentinien bis hin zu Spitzbergen, haben erkannt, dass sich die Klimaerwärmung noch zu ihren Lebzeiten zur Klimakatastrophe ausweiten kann. Seit Monaten demonstrieren sie deshalb für eine griffige Klimapolitik. Sie tun das phantasievoll, gut informiert und mit konkreten Vorschlägen für persönliche oder gesellschaftliche Klimaziele. Zurzeit mobilisiert die FridaysForFuture-Bewegung für den nächsten globalen Streik am 20. September, kurz vor dem Klima-Aktionsgipfel der UNO vom 23. September.

Den Streikenden geht es nicht nur um ihre Zukunft, sondern auch um Klimagerechtigkeit. Die Menschen in Entwicklungsländern leiden am meisten unter den Folgen des Klimawandels: unter Stürmen, Überflutungen, Dürren und dem Anstieg des Meeresspiegels. Klimagerechtigkeit fordern auch die Zehntausende, die in der Schweiz regelmässig für einen wirksamen Klimaschutz auf die Strasse gehen. Und sie verlangen, dass die Schweiz bis 2030 im Inland keine Treibhausgase mehr ausstösst und den «nationalen Klimanotstand» ausruft. Das heisst, sie soll die Klimakatastrophe als eine nationale Krise anerkennen und umgehend handeln. Die Regierung ist gefordert, ehrgeizige Ziele zur CO2-Minderung zu setzen und dafür alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente, Steuern, Abgaben und Vorschriften zu nutzen.

Das Engagement der Jugend zeigt Wirkung: Die Klimaerwärmung ist heute das dominierende politische Thema und wird auch den Eidgenössischen Wahlen vom 20. Oktober ihren Stempel aufdrücken: Die meisten Parteien haben mittlerweile klimapolitische Anliegen in ihr Programm aufgenommen. Um den Druck aufrecht zu erhalten, organisiert die Klima-Allianz, deren Mitglied Helvetas ist, am 28. September eine grosse nationale Klimademonstration in Bern. Doch schon im September werden die Parteien Farbe bekennen müssen, wenn der Ständerat die Revision des CO2-Gesetzes anpackt: Es geht um einen ehrgeizigen Beitrag zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, zum Beispiel um strenge CO2-Bestimmungen für den Privatverkehr, energieeffiziente Gebäudesanierungen oder eine Flugticketabgabe. Der Klimaschutz muss Richtschnur für die Politik sein, das schuldet sie der jungen Generation.

Transformation in vier Schlüsselsektoren

Der Weltklimarat der UNO (IPCC) liefert regelmässig aktualisierte Informationen für die Klimapolitikgestaltung. In seinem jüngsten Bericht hält er fest, dass es immer noch möglich ist, die Erwärmung des Weltklimas auf durchschnittlich 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Gleichzeitig warnt er, dass die Handlungsspielräume dafür schnell kleiner werden, und benennt vier Schlüsselsektoren, deren Transformation unabdingbar ist.

Landwirtschaft und Ökologie: Die industrielle Landwirtschaft ist eine der Hauptquellen für Treibhausgase, während die Bauern als erste unter den Folgen des Klimawandels leiden. Der jüngste Sonderbericht des IPCC über Land besagt, dass es keine Lösung für die Klimakrise geben kann, ohne die Landwirtschaft zu verändern, und die Landwirte sind ein wichtiger Teil der Lösung. Weltweit engagieren sich heute

Bauernorganisationen in Netzwerken wie etwa der Farmers Driven Climate Change Alliance für praktische Lösungen zur Anpassung an den Klimawandel und zur Minderung seiner Folgen. Die Lösungen sind auf die Bedürfnisse der Landwirte hinsichtlich wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Tragfähigkeit des Agrarsektors abgestimmt. In Indien haben sich bereits zweihunderttausend Bäuerinnen und Bauern auf den Weg in die Städte gemacht, um von der Politik Lösungen einzufordern. Und in der Schweiz erkennen immer mehr Bäuerinnen und Bauern, dass der biologische Anbau nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch Sinn macht. Gleichzeitig gehen Konsumentinnen und Konsumenten mit Agrarprodukten bewusster um, konsumieren nachhaltig produzierte Nahrungsmittel, beschränken ihren Fleischkonsum und sagen gemeinsam mit dem Handel dem Foodwaste den Kampf an.

Energie: Industrieländer müssen aufhören, die fossile Industrie zu unterstützen, und dafür den Ausbau erneuerbarer Energien forcieren. Multilaterale Finanzinstitutionen wie die Weltbank, an denen die Schweiz beteiligt ist, müssen dem Beispiel der Europäischen Entwicklungsbank folgen und sich verpflichten, nicht mehr in Projekte zur Förderung fossiler Brennstoffe zu investieren. Dies muss auch für Schweizer Finanzinstitute, Vermögensverwalter und Vorsorgeeinrichtungen gelten.

Industrielle Transformation: Technologisch fortgeschrittene Länder haben viel zu gewinnen, wenn sie die Entwicklungsländer darin unterstützen, deren Industrien mittels Technologie-Transfer und Investitionen energie- und ressourceneffizient zu machen. Auch die Schweiz kann dazu beitragen und davon profitieren, Lösungen für diese globale Herausforderung zu finden.

Stadt und Infrastruktur: Die Urbanisierung ist in vielen Teilen der Welt weit fortgeschritten und nimmt derzeit auch in Afrika rasant zu. Aktuell hat Afrika einen Urbanisierungsgrad von etwa 40 Prozent, bis 2035 wird die Mehrheit der jungen Menschen in Städten leben. Um die steigende Nachfrage nach Nahrung, Wasser, Unterkunft, Energie und Infrastruktur befriedigen zu können, braucht es umfangreiche Investitionen, die möglichst klimaneutral ausgestaltet sein müssen.

Globale Ungleichheit und Verursacherverantwortung

Die Jugend auf der Strasse, Bäuerinnen und Konsumenten, politische Bemühungen um CO2 Abgaben: Die Klimabewegung ist dynamisch, und die Einsicht wächst, dass Klimapolitik mit allen Lebens- und Politikbereichen zu tun hat, auch mit Mobilität, Raum- und Verkehrsplanung, mit Wohnungsbau und mit Ernährung.

Was aber immer noch bleibt, sind die Ungleichheiten: (1) Hauptverursacher der Treibhausgase sind die alten Industrieländer und einige neue grosse Akteure in der Weltwirtschaft. (2) Hauptleidtragende des Klimawandels sind die Ärmsten in den Entwicklungsländern, die selber nichts zum Klimawandel beigetragen haben. (3) Die Jungen werden stärker unter den Folgen des Klimawandels leiden als die Generation, die diesen Wandel verursacht hat. (4) Die Länder und Gesellschaften, die am anfälligsten für den Klimawandel sind, verfügen oft nicht über die Ressourcen, sich anzupassen, den Klimawandel abzuschwächen und seine negativen Auswirkungen zu verhindern.

Daher ist es unabdingbar, dass die reichen Länder Entwicklungsländer darin unterstützen, ihre Bevölkerung vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Die Schweiz hat sich im Verbund mit den Industrieländern 2010 dazu verpflichtet, ergänzend zur Entwicklungszusammenarbeit neue und zusätzliche Mittel für die internationale Klimafinanzierung bereitzustellen. Gemessen an ihrer Klimaverantwortung und Wirtschaftskraft wäre dies mindestens 1 Milliarde Franken pro Jahr, also ein Prozent der von den Industrieländern zugesagten 100 Milliarden US-Dollar. Der Bundesrat will aber nur 350 Millionen CHF pro Jahr aufwenden, die er weiterhin den Budgets der Entwicklungszusammenarbeit entnehmen will. Damit verfehlt die Schweiz ihre internationalen Verpflichtungen.

Das Schlusswort hat die globale Klimastreikbewegung der Jugend: «Die Klimakrise ist ein Notfall. Gemeinsam werden wir Alarm schlagen und unseren Politikerinnen und Politikern zeigen, dass Business as usual keine Option mehr ist. Die Klimakrise wird nicht warten, ebenso wenig wie wir!»