Rüstungsmesse | © Keystone/laif/Meinrad Schade

Boomende Branchen

Wer von den wirtschaftlichen Verwerfungen besonders stark profitiert
VON: Patrik Berlinger - 22. Februar 2024
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Agrarkonzerne, Rohstoffhändler und die Rüstungsindustrie schlagen grossen Profit aus der gegenwärtigen Weltlage. Warum uns das kümmern sollte. 

Putins andauernder Zerstörungskrieg hat nicht nur Auswirkungen auf die Ukraine und ihre Nachbarländer, sondern strahlt in weitere Weltregionen aus: Millionen von Menschen sind wegen den steigenden Nahrungsmittel-, Energie- und Düngemittelpreisen von akuter Ernährungs- und Versorgungsunsicherheit bedroht. Besonders betroffen sind Länder des globalen Südens, die sich nach der beschwerlichen Corona-Pandemie eine Erholung erhofft hatten. Die höheren Weltmarktpreise führen zu steigenden Defiziten im Staatshaushalt und im Aussenhandel. Bereits im Oktober 2022 berichtete die Handels- und Entwicklungskonferenz der UNO (UNCTAD), dass mehr als 90 Entwicklungsländer stark von ökonomischen Verwerfungen betroffen seien, und eine globale Schuldenkrise drohe. 

Aufgrund der Pandemie, zunehmender Wetterextreme und weitverbreiteter Konflikte, einschliesslich des Krieges in der Ukraine, sind seit 2019 weltweit über 122 Millionen Menschen mehr von akutem Hunger betroffen. Währenddessen profitieren Ölproduzenten und Rohstoffhändler ebenso wie Agrarkonzerne und Weizenexporteure von denselben Entwicklungen: Ihre Gewinne haben sich im Zuge der corona- und kriegsbedingten Marktverwerfungen vervielfacht. 

Agrarhändler – wer spekuliert, der gewinnt 

Der weltweite Getreidehandel wird von wenigen Konzernen kontrolliert: von Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus – auch ABCD-Group genannt – sowie vom chinesischen Staatsbetrieb Cofco. 60 Prozent aller Getreide werden in der Schweiz gehandelt. Beliefen sich die zusammengerechneten Gewinne der vier grossen «ABCD»-Agrarrohstoffhandelsfirmen im Jahr 2019 auf ca. vier Milliarden US-Dollar, stiegen sie im Coronajahr 2020 auf sechs und 2021 auf über zehn Milliarden. Im Jahr 2022, als der Ukrainekrieg begann, schossen die Profite auf knapp 14 Milliarden US-Dollar in die Höhe. 

Im aktuellen «Trade and Development Report 2023» zeigt die UNCTAD auf, wie die Marktkonzentration im Handel mit Agrarrohstoffen seit 2020 zugenommen und sich auf Ertragssprünge multinationaler Spitzenunternehmen ausgewirkt hat. Der Bericht stellt fest, dass unregulierte Finanztätigkeiten und «Wetten auf den Hunger» erheblich zu den Gewinnen der globalen Lebensmittelhändler im Jahr 2022 beigetragen haben. In Zeiten erhöhter Preisvolatilität seit 2020 werden Rekordgewinne erzielt, obwohl die Lebensmittelpreise weltweit in die Höhe geschnellt sind und Millionen von Menschen mit bedrohlich hohen Lebenshaltungskosten konfrontiert sind. 

Rohstoffkonzerne – unverschämt gewinnträchtig 

Auch das Geschäft mit Öl, Gas und Kohle floriert in Zeiten von Lieferunterbrüchen im Zusammenhang mit dem russischen Einmarsch in der Ukraine und den damit verbundenen westlichen Sanktionen. Rohstoffkonzerne, deren Geschäftsmodell verheerende Folgen für das globale Klima und die Umwelt in ärmeren Ländern hat, erzielen derzeit geradezu unverschämt hohe Gewinne. So verhalfen die hohen Energiepreise 2022 dem Schweizer Energie- und Rohstoffhandelsunternehmen Glencore zu seinem bisher besten Jahr mit einem Gewinn in der Höhe von 17,3 Milliarden US-Dollar – eine Steigerung von 248% gegenüber dem Vorjahr. Der Rohstoffhändler Trafigura verzeichnete in den zwölf Monaten bis Ende September 2023 einen Rekord-Gewinn von rund 7,4 Milliarden US-Dollar. Und der Rohstoff- und Energiehändler Vitol erzielte 2022 einen Gewinn von über 15 Milliarden US-Dollar. Die 3’300 Mitarbeitenden des Unternehmens erhielten im Durchschnitt Gehalts- und Bonuszahlungen von 785’000 US-Dollar, doppelt so viel wie im Jahr zuvor! 

Stossend ist, dass sich zwischen 2016 und 2022 die Bankkredite für den Sektor der fossilen Brennstoffe auf mehr als 5,8 Billionen US-Dollar beliefen, was die Förderung neuer Fossilprojekte verstärkt bzw. die Transition in Richtung erneuerbare Energien verschleppt. Die meisten Finanzmittel in diesem Sektor werden bei Banken in reichen Industrieländern aufgenommen und von Unternehmen mit Sitz in Industrieländern ausgegeben – während jene Menschen und Länder, die am stärksten unter dem Klimawandel leiden, den geringsten Zugang zu Energie und die wenigsten Finanzmittel haben. 

Rüstungsindustrie – Profiteure steigender Verteidigungsetats 

Nebst Agrarhändlern und Rohstoffkonzernen profitieren auch Rüstungsfirmen von der unsicheren Weltlage. Der brutale Herbst 2023 – mit dem Stellungskrieg in der Ostukraine und der Reaktion des israelischen Premiers auf das Hamas-Massaker – führt zu vollen Auftragsbüchern. Benötigt wird ein dauerhafter Nachschub an Raketen und Munition, Panzern und Granaten. Die weltweiten Rüstungsgeschäfte erleben bereits seit Corona einen Aufschwung: Obwohl die Weltwirtschaft im Zuge der Pandemie – Lockdowns und unterbrochene Lieferketten, wirtschaftliche Einbrüche und verunsicherte Verbraucher etc. – zwischenzeitlich schrumpfte, steigerten die 100 grössten Waffenkonzerne der Welt ihre Verkäufe. 

Die Verkäufe durch US-amerikanische Rüstungskonzerne wie Raytheon, Lockheed Martin oder General Dynamics stiegen 2023 auf 158 Milliarden US-Dollar, jene durch die Regierung auf 81 Milliarden US-Dollar. Auch europäische Konkurrenten legten stark zu: Der Börsenwert der deutschen Rheinmetall hat sich in den vergangenen zwei Jahren mehr als verdreifacht. KNDS, der deutsch-französische Hersteller des Leopard-Kampfpanzers, hat sein Auftragsvolumen verdoppelt. Der schwedische Konzern Saab wiederum will die Produktion von Panzerabwehrwaffen bis 2025 vervierfachen. Für Rüstungsfirmen bedeutet die «Zeitenwende» nicht nur volle Auftragsbücher, sondern auch den lange ersehnten Imagewandel: Raus aus der Schmuddelecke, rein ins Rampenlicht. Wenn die Ukraine nicht nur ihre eigene Freiheit verteidigt, sondern jene des Westens, dann müssen sich Unternehmen nicht verstecken, die das Material dafür liefern. Im Fall von Geschäften mit Regierungen wie Saudi-Arabien, die lieber im Verborgenen abgewickelt werden, war das noch anders. 

30-mal höhere Investitionen für Streitkräfte als für Klimaschutz 

Die weltweiten Rüstungsausgaben stiegen 2022 um 3,7 Prozent auf rekordhohe 2,24 Billionen US-Dollar. Der mit Abstand stärkste Anstieg erfolgte in Europa (+13 Prozent). Seit 2014, als Russland die Halbinsel Krim annektiert hat, haben die 27 EU-Mitglieder ihre Verteidigungsausgaben um 40 Prozent auf 240 Milliarden Euro angehoben. Das Anwachsen des militärisch-industriellen Komplexes wird sich fortsetzen. Überraschend ist das nicht. Als Reaktion auf die Besetzung der Krim beschlossen die NATO-Länder, bis 2024 zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung (BNE) für Verteidigung auszugeben. Am NATO-Treffen vom 14. Februar 2024 wurde verkündet, dass dies im aktuellen Jahr immerhin 18 der 31 NATO-Mitgliedstaaten schaffen werden – sechsmal so viele wie 2014. Deutschland gehört erstmals dazu. Auch andere Länder haben ihre Verteidigungsausgaben in den vergangenen zehn Jahren drastisch erhöht, etwa China um 63 Prozent, Indien um 47 Prozent und Israel um 26 Prozent.  

Die Schweiz will bis spätestens 2035 ein Prozent ihrer Wirtschaftskraft für ihre Verteidigung ausgeben. Ein sehr starker Anstieg, während in anderen Bereichen Einsparungen gemacht werden, etwa bei der Bahn und der Regionalentwicklung, bei der ETH und der Arbeitslosenversicherung, bei der familienergänzenden Kinderbetreuung und im Asylwesen – und bei der Internationalen Zusammenarbeit, indem der Ukraine-Wiederaufbau grossmehrheitlich aus den Rahmenkrediten der Entwicklungszusammenarbeit finanziert werden soll. 

Kurz: Während weltweit Armut und Hunger zunehmen und die Lebenshaltungskosten für die meisten Menschen steigen, schlagen die grossen agrarischen und fossilen Rohstoffhändler daraus Profit. Und, während Investitionen in weltweite Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung kaum vom Fleck kommen, wird der militärisch-industrielle Komplex gerade in sehr vielen Ländern in neue Sphären gehoben. Mittlerweile geben die reichsten Länder 30-mal so viel für ihre Streitkräfte aus wie für die Bereitstellung von internationalen Klimafinanzierungsmitteln für Mitigation (Klimaschutz) und Adaptation (Anpassung) in ärmeren und stark gefährdeten Ländern. 

Patrik Berlinger | © Maurice K. Gruenig
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