Uranverseuchung | © Keystone/Science Photo LIbrary/Martin Bond

Uran

Ein Metall mit gigantischen Auswirkungen
VON: Patrik Berlinger - 23. Februar 2024
© Keystone/Science Photo LIbrary/Martin Bond

Der Marktanteil von Atomstrom sinkt weltweit auf unter 10 Prozent. Grund dafür sind Ausfälle bei bestehenden AKWs sowie hohe Planungs- und Baukosten. Trotzdem setzen viele Länder nach wie vor auf die Atomkraft. Vergessen gehen dabei oft der umwelt- und gesundheitsschädliche Abbau sowie die problematische Herkunft von Uran. 

Entdeckt wurde Uran 1781. 1896 wurde seine Radioaktivität festgestellt. Zum ersten Mal gespalten wurden Uranatome im Jahr 1938. Und dann, am 6. und am 9. August 1945 fielen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. 100'000 Zivilisten starben sofort; bis Ende 1945 noch einmal 130'000 Menschen – und weitere Opfer kamen in den darauffolgenden Jahren hinzu. Jenseits von Krieg fordert auch die zivile Nutzung von Uran Menschenleben: 4’000 im Jahr 1986 bei der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl in der Ukraine. Und zwischen mehreren Hundert und über Tausend Menschen beim Erdbeben, dem Tsunami und der dadurch ausgelösten Nuklearkatastrophe in Fukushima 2011 in Japan.  

Weniger bekannt sind die Tausenden Toten im Zusammenhang mit der Ausbeutung von Uranvorkommen in Sachsen und Thüringen während des Kalten Kriegs: Knapp 10'000 Lungenkrebs-Erkrankungen sind bekannt, Fehlgeburten und Immunschwächen mit tödlichen Folgen können nicht beziffert werden. Die DDR war zeitweise der drittgrösste Uranproduzent der Welt. Bis heute sind die ehemaligen Uranabbaugebiete kontaminiert; über 2’000 Mitarbeitende sanieren den wahrscheinlich grössten Landschaftsschaden in Deutschland. Kostenpunkt für die deutschen Steuerzahlenden: bislang mindestens sechs Milliarden Euro

Gefährliche Trendumkehr bei den Atomwaffen 

Heute verfügen neun Staaten über Atomwaffen: Neben Russland und den USA sind das China, Frankreich und Grossbritannien sowie Pakistan, Indien, Israel und Nordkorea. Seit Jahrzehnten sank die weltweite Zahl der Kernwaffen kontinuierlich. Nun scheint die Reduzierung einsatzbereiter Sprengköpfe gemäss dem Friedensforschungsinstitut Sipri zu stocken. Vor allem Russland und die USA, die nach wie vor über fast 90 Prozent aller Atomwaffen weltweit verfügen, haben umfangreiche und kostspielige Modernisierungsprogramme auf den Weg gebracht. 

Diplomatische Bemühungen zur Atomwaffenkontrolle und -abrüstung haben seit der russischen Invasion der Ukraine grosse Rückschritte erlitten. So steigt die Zahl der einsatzfähigen Atomwaffen wieder; gleichzeitig lassen sich immer weniger Staaten in die Karten schauen. Bekannt ist aber, dass China, Indien, Pakistan, Nordkorea und Russland ihre Lagerbestände ausbauen. Die Friedensforscher sprechen von einer der gefährlichsten Perioden der Menschheitsgeschichte.  

Gegensätzliche Tendenzen bei der Atomenergie – mit offenem Ausgang 

Offen ist die Entwicklung bei der zivilen Nutzung: Laut dem World Nuclear Report 2023 sank der Marktanteil von Atomstrom 2022 auf weltweit noch 9,2 Prozent. Gründe dafür sind hohe Planungs- und Baukosten, die in vielen Fällen zu Verzögerungen oder gar zum Abbruch von AKW-Projekten führen. Hinzu kamen Produktionsausfälle in Frankreich, weil AKWs stillstanden. Die Hoffnung auf neue, kleine, modulare Reaktoren (sogenannte SMR) erlebte einen Dämpfer, nachdem Ende 2023 das am weitesten fortgeschrittene SMR-Projekt in den USA wegen explodierenden Kosten von 10 Milliarden US-Dollar gestoppt wurde. 

Ungeachtet dieser Rückschläge verpflichteten sich an der Klimakonferenz in Dubai (COP28) 22 Regierungen dazu, Investitionen in die Kernkraft zu verdreifachen. Ihrer Ansicht nach können der Ausstieg aus fossilen Energieträgern sowie die Energiewende ohne Atomstrom nicht gelingen. Die Krux: Von der Planung bis zur Inbetriebnahme eines Atomkraftwerks vergehen Jahrzehnte – viel zu viel Zeit, um das Steuer bei der Erderwärmung herumzureissen. Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern muss schneller geschehen. Kritiker der Verpflichtung von Dubai betonen daher, dass erneuerbare Energien kostengünstiger seien, mehr Planungssicherheit bieten und schnellere Ergebnisse liefern würden. 

Während die Stromerzeugung in Deutschland dank erneuerbaren Energien zunimmt und im Frühjahr 2023 die letzten drei AKWs vom Netz gingen, plant China 42 Atomreaktoren, die innerhalb der kommenden 15 Jahre in Betrieb genommen werden sollen. Auch Indien und Russland wollen in Atomenergie investieren – und Frankreich. Obwohl dort gerade die Kosten für Reparaturen an alten Meilern und Neubauprojekte gigantische Ausmasse erreichen. Ausserdem ist ungeklärt, wie die 56 AKWs angesichts vermehrter Trockenheit und Hitze mit ausreichend Kühlwasser versorgt werden können.  

In der Schweiz hat das Stimmvolk 2017 mit der Energiestrategie 2050 beschlossen, schrittweise aus der Kernenergie auszusteigen. Anstoss des Entscheids gaben die Reaktorkatastrophe in Fukushima, die nach wie vor ungelöste Entsorgung radioaktiver Abfälle sowie die hohen Kosten, die mit dem Bau neuer Kernkraftwerke verbunden sind. Nichtsdestotrotz wird der Atomausstieg von der Atomlobby immer wieder in Frage gestellt. Was dabei oft vergessen geht: Nicht nur beim Erdgas ist die Schweiz abhängig von Russland, sondern auch beim Uran ist sie es – die Spur von Beznau und Leibstadt führt direkt zum russischen Staatskonzern Rosatom. 

Uran-Herkunft mit geopolitischen Implikationen 

Wurden 2016 über 63'000 Tonnen Uran gefördert, waren es im Coronajahr 2020 weniger als 50'000 Tonnen. Inzwischen ist die Förderung wieder leicht angestiegen. 43 Prozent des Urans wird im repressiven und korruptionsanfälligen Kasachstan abgebaut. Mit grossem Abstand auf das zentralasiatische Land folgen Kanada und Namibia, danach Australien und Usbekistan, und dann Russland, Niger und China. Für 94 Prozent der weltweiten Produktion kommen zehn Konzerne auf, acht davon im Mehrheitsbesitz eines autoritären Staates. 

Mit einem Anteil von elf Prozent am weltweiten Uranabbau ist Namibia das drittgrösste Produktionsland. Während die anglo-australische Rio Tinto seit 1976 über Jahrzehnte federführend gewesen war, übernahm 2019 eine chinesische Firma die Mehrheitsbeteiligung an den Uranminen. Nebst China zeigt sich auch Indien interessiert an namibischem Uran. Zwar ist der Uranexport eine wichtige Einnahmequelle für die Regierung. Demgegenüber stehen aber zahlreiche Negativfolgen des Uranabbaus: Gesundheitsschäden der Minenarbeiter, Ausbeutung der geringen Wasserressourcen und Kontamination des Grundwassers, Verlust der Biodiversität und riesige Wunden in der Landschaft sowie hunderte verlassene Minen, wo radioaktiver Müll für die nächsten 200'000 Jahre vor sich hin strahlt. 

Es lohnt sich auch, einen Blick in den Niger zu werfen: Unter französischer Ägide ist das Land immerhin zum siebtgrössten Uranproduzenten geworden. Nun gefährdet die Machtübernahme 2023 durch eine Militärjunta (geo-)politische und wirtschaftliche Interessen des Westens. Zwar sind westliche Bergbauunternehmen, allen voran das französische Unternehmen Orano, nach wie vor im Land. Dennoch kommt der politische Umsturz just zu einer Zeit, in der die westlichen Länder versuchen, sich von den russischen Lieferungen zu lösen. 

Doch, wenn etwas den weltweiten Uranmarkt richtig erschüttern könnte, so wären das nicht politische Wirren in Niger, sondern in Kasachstan. Seit der Unabhängigkeit Kasachstans 1991 bemüht sich die Regierung, westliche und auch chinesische Interessen als Gegengewicht zu den russischen zu berücksichtigen. Die russische Rosatom betreibt zusammen mit Kazatomprom rund ein halbes Dutzend Uranminen in Kasachstan. Die französische Orano hält bei einem grossen Bergbau-Joint Venture mit Kazatomprom die Mehrheit. Und ein chinesischer Staatsbetrieb und AKW-Betreiber ist an einer dritten Uranförderung in Kasachstan mit 49 Prozent beteiligt. 

Ein Ausbau des Atomstroms ist also nicht nur extrem teuer, umweltschädlich und gefährlich für die Menschheit, sondern verschärft auch die Abhängigkeit von problematischen Regierungen. 

Patrik Berlinger | © Maurice K. Gruenig
Verantwortlicher Politische Kommunikation
Rüstungsmesse | © Keystone/laif/Meinrad Schade

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