© Franca Roiatti / Helvetas.

Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel, Teil 8

Drei Helvetas-Mitarbeitende aus drei Kontinenten haben regelmässig beschrieben, wie Corona den Alltag der Menschen in Myanmar, Burkina Faso und Peru verändert. Jetzt ziehen sie eine erste Zwischenbilanz. Das ist der achte und vorläufig letzte Teil dieses aussergewöhnlichen Tagebuchs. Die Autorin und die beiden Autoren melden sich wieder, wenn etwas Relevantes passiert vor Ort.
30. Juni 2020
© Franca Roiatti / Helvetas.

Peru: Es ist noch lange nicht überstanden

Von Kaspar Schmidt, Helvetas-Programm-Berater Peru

© Kaspar Schmidt/ Helvetas.
© Kaspar Schmidt/ Helvetas.

In Peru leben die Menschen weiterhin mitten im Auge des Corona-Sturms. Die Zahlen der täglichen Neuinfektionen in den Ländern Lateinamerikas verharren auf hohem Niveau oder nehmen gar weiter zu. Brasilien, Peru und Chile gehören inzwischen zu den sieben meistbetroffenen Ländern weltweit (zu den Gründen siehe Corona-Tagebuch Teil 7).

Mit Ganzkörperanzug und Visier im Quartier unterwegs

In unserem Wohnquartier in Lima sind inzwischen wieder etwas mehr Menschen unterwegs, alle mit der vorgeschriebenen Maske und meist sichtlich bemüht darum, Distanz zu anderen Menschen zu wahren. Man sieht auch viele Erwachsene und Kinder, die über der Maske ein Plastikvisier tragen, und immer mehr Menschen mit Ganzkörperanzügen.

Die Krise prägt den Alltag der Menschen in Peru immer noch stark, schränkt ein und stiftet Verunsicherung. Der Notstand wurde bis Ende Juli verlängert – nun mit regional differenzierten Verhaltensregeln. Die Erkrankung von Bekannten, auch in Familien von hiesigen Helvetas-Mitarbeitenden oder unter Mitarbeitern einiger unserer Projekte und von Partnerorganisationen, geben den oft abstrakt wirkenden Fallzahlen plötzlich ein persönliches Gesicht.

Unser Team von Helvetas Peru arbeitet noch bis mindestens Ende August von zu Hause aus. Wir lernen viel Neues und arbeiten teilweise intensiver zusammen als zuvor, wie ich Ende Mai berichtete (Teil 6). Die Projektarbeit im Feld ist grossen Einschränkungen unterworfen. Es gilt nun, die Sicherheitsprotokolle fertigzustellen, die für die Weiterarbeit erforderlich sind; keine einfache Sache, angesichts oft unklarer oder ausufernder staatlicher Bestimmungen.

Einkaufen nur unter Männern

Im Rückblick gab es auch immer wieder amüsante oder absurde Momente: Anfangs April verfügte die peruanische Regierung, dass Männer und Frauen nur noch tageweise abwechselnd einkaufen dürfen. Es war ein seltsames Erlebnis für mich, plötzlich nur noch in Begleitung anderer Männer Einkäufe zu tätigen. Einige Männer wirkten etwas verloren zwischen den Gestellen mit ihren Einkaufszetteln. Wer weiss, vielleicht half diese Massnahme, die Aufgaben im Haushalt ausgeglichener zu verteilen zwischen Frauen und Männern? Auf die Ausbreitung des Virus’ entfaltete die Massnahme jedenfalls keine Wirkung, weshalb sie die Regierung nach einer Woche wieder zurücknahm. Überraschend war auch, eines Tages an der Fischtheke anstelle von frischem Fisch säuberlich aufgereihte Eierkartons zu finden (siehe Bild). In den ersten Wochen der Quarantäne gab es nämlich kaum Eier. Dann rollten diese plötzlich wieder in grosser Zahl an, während es kaum mehr frischen Fisch zu kaufen gab, da der Fang zeitweilig eingestellt wurde. Improvisation war gefragt…

Existenzielle Not

Für eine Zwischenbilanz ist es in Peru noch zu früh. Unsicherheit und Angst vor einer Infektion und der Behandlung in überlasteten Spitälern sind verbreitet. Gleichzeitig hat der wirtschaftliche Druck weiter zugenommen. Viele, vor allem arme Haushalte, sind in existentieller Not. Die Rezession macht den Menschen grosse Sorgen. Die angelaufene, schrittweise Reaktivierung der Wirtschaft tut not. Unter den Bedingungen eines Schwellenlandes jedoch stellt dies einen besonders anspruchsvollen Balanceakt dar: Schutz der Gesundheit auf der einen Seite, wirtschaftliche Öffnung auf der anderen. Wie es ausgeht, lässt sich noch nicht erahnen. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint einzig dies sicher: Die erste Infektionswelle mit Höhepunkt Ende Mai bis Mitte Juni, wahrscheinliche weitere Wellen und die wirtschaftliche Krise werden die Menschen in Peru und in ganz Lateinamerika noch lange beschäftigen.

(geschrieben am 29. Juni 2020)

 

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Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 1

Lesen Sie hier den ersten Teil des Tagebuchs aus Myanmar, Burkina Faso und Peru vom 9. März.
© AFP/PHYO MAUNG MAUNG

Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 2

Lesen Sie hier den zweiten Teil des Tagebuchs aus Myanmar, Burkina Faso und Peru vom 19. März.

Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 3

Lesen Sie hier den dritten Teil des Tagebuchs aus Myanmar, Burkina Faso und Peru vom 1. April.
© Franca Roiatti | Helvetas

Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 4

Lesen Sie hier den viertenTeil des Tagebuchs aus Myanmar, Burkina Faso und Peru vom 21. April.
© Keystone/AP Photo/Rodrigo Abd

Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 5

Lesen Sie hier den fünften Teil des Tagebuchs aus Myanmar, Burkina Faso und Peru vom 5. Mai.

Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 6

Lesen Sie hier den sechsten Teil des Tagebuchs aus Myanmar, Burkina Faso und Peru vom 20.5.
© MPP

Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 7

Lesen Sie hier den siebten Teil des Tagebuchs aus Myanmar, Burkina Faso und Peru vom 9. Juni

Myanmar: Für ein Leben in Würde

Von Peter Schmidt, Direktor Helvetas Myanmar

© Ye Win Paing
© Ye Win Paing

Ein Freund in der Schweiz ist seit Jahren in einer nun von der Coronakrise arg gebeutelten Branche tätig. Vor ein paar Tagen hat seine Arbeitgeberin, ein renommiertes Unternehmen, einen corona-bedingten Stellenabbau kommuniziert und dem 58-Jährigen gekündigt. Innerhalb einer Woche wird er freigestellt. Der Schock sitzt tief; die Chancen für eine Neuanstellung sind, gelinde gesagt, gering.

Noch nie haben meine Frau und ich uns in unserer 35-jährigen Partnerschaft so lange nicht gesehen. Seit 100 Tagen ist sie in der Schweiz und ich sitze in Myanmars Hauptstadt Yangon fest. Ich weiss, für viele Paare ist das Alltag. Aber für uns nicht. Ich beobachte, wie mich die Isolation, kombiniert mit der immer noch geltenden eingeschränkten Bewegungsfreiheit, mürrisch machen. Geduld und Toleranzschwelle sind tiefer als sonst.

Chaos für Arbeitssuchende

Letzte Woche besuchte ich unser Projekt in einer der Vorstädte Yangons, bei dem es um Migrantinnen innerhalb von Myanmar geht. Immerhin dorthin darf ich wieder fahren! Shwe Pyi Thar ist ein dicht besiedeltes Quartier mit 300’000 Menschen und einem Industriegürtel. Mindestens 6’000 Arbeiterinnen aus der Leder- und Bekleidungsindustrie haben ihre Jobs verloren. Vor den staatlichen Arbeitsbüros, wo sich Arbeitslose melden müssen, um die nötigen Papiere für die Arbeitssuche zu erhalten, herrschen chaotische Verhältnisse. Lange Menschenschlangen. Und es ist nicht so, wie ich gedacht hätte, dass die meisten Entlassenen in ihre Heimatorte zurückreisen. Nein, sie bleiben da und suchen Arbeit, und Neuankömmlinge gesellen sich zu ihnen. Wie sie in dieser Zeit ohne Einkommen überleben, bleibt mir ein Rätsel.

In einem anderen Projektgebiet, im Südosten Myanmars, kehren noch immer täglich mehrere hundert Migranten, die ihre Arbeit in Thailand verloren haben, nach Myanmar zurück. Diejenigen, die legal ausgereist sind, reisen auch wieder legal und einigermassen organisiert zurück. Die anderen – sie machen geschätzt die Hälfte aus – schleichen über die grüne Grenze. Alle aber, das scheint zu funktionieren, landen in Quarantänelagern. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) führt eine Befragung unter den Rückkehrenden durch: 58% von ihnen wollen nach dem Ende der Pandemie wieder in Thailand ihr Glück versuchen. Wie gross muss die Not sein, dass über die Hälfte derjenigen, die erzwungenermassen zurückgekehrt sind, dieses Schicksal wieder auf sich nehmen!

Suizid als Gipfel der Verzweiflung

Diese Woche haben Medien berichtet, dass sich in Malaysia, einer anderen wichtigen Migrationsdestination, Suizide unter eingewanderten und arbeitslos gewordenen Frauen aus Myanmar häufen. Grösser kann die Verzweiflung nicht mehr gewesen sein…

Alle diese Arbeitsmigrierenden nehmen Ungewissheit und ein Leben getrennt von ihren Liebsten auf sich. Welch ein Klecks sind da meine 100 Tage allein in meiner Wohnung in Yangon! Zehntausende dieser Arbeitsmigrierenden haben als Folge der Coronakrise ihre Arbeit verloren. Da gibt es keine Sozialpläne, keine Versicherungen, keine Pensionskasse, keine Frühpensionierung. Die Fangnetze, die meinem so hart getroffenen Freund in der Schweiz zur Verfügung stehen, fehlen. Es gibt noch viel zu tun für ein Leben in Würde für alle und für eine gerechtere Welt!

 (geschrieben am 29. Juni 2020)

 

 

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Burkina Faso: Die wirtschaftlichen und sozialen Corona-Wunden sind schlimmer als Covid-19

Von Franca Roiatti, Helvetas-Kommunikationsverantwortliche für Westafrika

© Franca Roiatti / Helvetas.
© Franca Roiatti / Helvetas.

Vor Fernsehkameras stehend verkündete der Leiter der Covid-19-Task-Force vor wenigen Tagen das Ende der wöchentlichen Medienkonferenzen über die Pandemie in Burkina Faso. Von nun an wird das Treffen mit den Journalistinnen und Journalisten nur noch einmal im Monat stattfinden. «Wir bewegen uns auf ein normales Management des Coronavirus zu», erklärte Dr. Brice Bicaba, aber das Virus sei «immer noch da», betonte er, als er über die neuesten Infektionszahlen informierte.

Schwache Testkapazität, unklare Zukunft

Obwohl die gemeldeten Fälle in diesem westafrikanischen Land im Vergleich zu Europa, den USA oder Lateinamerika nach wie vor niedrig sind, ist es schwer vorherzusagen, wann die Pandemie unter Kontrolle sein wird. Die Testkapazität ist immer noch schwach, aber die Regierung hat geplant, in den meisten Regionen des Landes Zentren für freiwillige Vorsorgeuntersuchungen zu eröffnen.

Die Markierungen auf dem Asphalt, die Rad- und Motorfahrenden helfen sollen, an Ampeln Abstand zu halten, verblassen langsam (siehe Bild). Welche Einstellung viele Menschen gegenüber den empfohlenen Vorsichtsmassnahmen haben, zeigt ein Blick in den Alltag: In Bars, Restaurants und auf Märkten sitzen und stehen die Menschen dicht beieinander. Viele Masken, oft nur aus simplem Stoff, hängen unter dem Kinn oder baumeln an einem Ohr. Einige mobile Handwaschgeräte beim Eingang zu Geschäften und Büros liegen ohne Wasser herum, andere sind verschwunden.

Junge Menschen besonders hart von der Krise betroffen

«Es ist schwierig, die Aufmerksamkeit für das Coronavirus hoch zu halten», bestätigt Mouomouni Dialla, Unternehmer und Präsident des Conseil National de la Jeunesse (CNJ), einer Dachorganisation von Jugendverbänden im ganzen Land. Die Regierung verlässt sich auf 15’000 junge Freiwillige, die helfen, das Bewusstsein für Covid-19 zu schärfen. «Wir treffen Menschen, um die richtigen Verhaltensweisen zu zeigen und Schulungen zur Herstellung von desinfizierendem Handgel zu organisieren», fasst Dialla zusammen. Der junge Besitzer eines Transportunternehmens äussert seine Besorgnis über die wirtschaftliche Situation: «Junge Menschen sind hauptsächlich im informellen Sektor tätig und daher von dieser Krise stark betroffen», erklärt er: «Die Schliessung von Strassenmärkten und Grenzen, die Quarantäne und die Verlangsamung der Transporte haben die Ersparnisse von Kleinunternehmen und Familien beeinträchtigt, und die Erholung erfolgt nur sehr zaghaft.»

Es scheint schwieriger zu sein, die wirtschaftlichen und sozialen Wunden dieser Pandemie zu heilen, als Covid-19 zu bewältigen: «Ich war gezwungen, mein Gemüse zu einem Viertel des Preises zu verkaufen, hier auf dem Feld, weil ich es nicht in die Stadt bringen konnte», erzählt mir Mariam, die in der Nähe von Bobo Dioulasso Kohl und Tomaten anbaut. Viele Bauern mussten wochenlang ihre Produkte zu tiefen Preisen verkaufen - oder zuschauen, wie sie verfaulen. Sie konnten zum entscheidenden Zeitpunkt keine Düngemittel für die Anbausaison kaufen. Dies könnte zu einer geringeren Ernte führen. Die FAO – die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen – warnt vor ansteigenden Lebensmittelpreisen. Ein weiterer Schlag für die am meisten gefährdeten Familien. Werden sie genug Geld haben, um sich die nötigen Lebensmittel zu kaufen, die Kinder wieder in die Schule zu schicken, einen Arzt zu bezahlen oder Seife zu kaufen?

Wie in Europa, gibt es auch in Burkina Faso Menschen, die finden, es sei nun an der Zeit, eine widerstandsfähigere Wirtschaft aufzubauen. Offen bleibt die Frage: Wird eine Regierung, die mit einer grossen humanitären Krise aufgrund zunehmender Angriffe bewaffneter Gruppen und bevorstehender allgemeiner Wahlen zu kämpfen hat, in der Lage sein, auf diese Herausforderung zu reagieren?

 (geschrieben am 29. Juni 2020)

 

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