Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 3

Während wir in der Schweiz hoffen, die Ansteckungskurve flache langsam ein wenig ab, spitzt sich die Situation in vielen Entwicklungsländern zu. Drei Helvetas-Mitarbeitende aus drei Kontinenten berichten regelmässig, wie Covid-19 den Alltag der Menschen in Myanmar, Burkina Faso und Peru verändert. Teil drei eines aussergewöhnlichen Tagebuchs.
01. April 2020

Während wir in der Schweiz hoffen, die Ansteckungskurve flache langsam ein wenig ab, spitzt sich die Situation in vielen Entwicklungsländern zu. Drei Helvetas-Mitarbeitende aus drei Kontinenten berichten regelmässig, wie Covid-19 den Alltag der Menschen in Myanmar, Burkina Faso und Peru verändert. Teil drei eines aussergewöhnlichen Tagebuchs. Lesen Sie hier auch Teil 2 vom 19.3.2020.

Myanmar: Im Dampfkochtopf

Von Peter Schmidt, Direktor Helvetas Myanmar

Unser Dampfkochtopf zuhause in der Schweiz hatte einen roten, metallisch glänzenden Deckel mit einem Ventil, das sich auseinanderschrauben liess. Das Zischen und Pfeifen auf dem Herd, wenn die roten Markierungen auf dem Ventil sichtbar wurden, waren mir als Junge immer unheimlich. Myanmar hat jetzt (29.3.) seine ersten bestätigten acht Fälle einer Infektion mit dem Coronavirus. Alle ausser einem Fall seien aus Europa oder den USA eingeschleppt, berichtet das Gesundheitsministerium – und veröffentlicht auch gleich Name, Alter, Geschlecht und Herkunftsort der Erkrankten. Das Böse kommt von aussen und spielt jenen, die zur Fremdenfeindlichkeit anstiften, in die Hände. Nicht nur hier.

Aufklärungsplakate in Eile produziert und aufgehängt

Derzeit kehren zehntausende Migrantinnen und Migranten vor allem aus Thailand nach Myanmar zurück. In Mon, einer der Provinzen im Südosten Myanmars an der langen Grenze zu Thailand, wo Helvetas in sechzig Dörfern an der Küste tätig ist, hat jeder dritte Haushalt ein Familienmitglied, das migriert ist. Viele der Betriebe, in denen sie gearbeitet haben, sind geschlossen. Sie kehren heim zu ihren Familien, auch weil das Wasserfestival, das wichtigste religiöse Ereignis im Jahr, vor der Tür steht. Die Regierung hat sich ausserstande erklärt, die eigentlich angeordnete Quarantäne von zwei Wochen durchzusetzen. Die Dörfer organisieren sich selbst, quartieren die Rückkehrenden vorübergehend in Klöstern oder anderen behelfsmässigen Unterkünften ein. Wir unterstützen, haben in Eile Aufklärungsplakate zu COVID-19 gedruckt, verteilt und aufgehängt. Mit Geldern der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) ermöglichen wir temporäre Unterkünfte. Wir schreiben Projektpläne um, passen Interventionen an, verhandeln mit Geldgebern über Umlagerungen in den Projektbudgets. Hektische Tage.

Der Druck steigt. Die Ansteckungsgefahr nimmt zu. In den Küstendörfern ist Wasser in der Trockenzeit (jetzt!) ein rares Gut. Seife ist teuer. Gesichtsmasken und Schutzkleidung sind Mangelware. Das übliche Einkommen, das die Migrierenden heimschicken, fehlt. Eine zusätzliche Person belastet das Familienbudget. In der Schweiz sind die Ventile auf dem zweiten, dem höchsten roten Ring angelangt. Es brodelt und dampft. Aber das Gesundheitssystem funktioniert, die Bevölkerung versteht den Ernst der Lage, der staatliche Rettungsschirm von 42 Milliarden Franken für die Wirtschaft ist aufgespannt. Und hier? Ja, es werden Vorbereitungsmassnahmen getroffen. Und es bleiben die Anpassungsfähigkeit der Menschen und Solidarität. Ob das reicht, den Deckel auf dem Topf zu halten?

© REUTERS ATTENTION EDITORS

Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 1

Lesen Sie hier den ersten Teil des Tagebuchs aus Myanmar, Burkina Faso und Peru vom 9. März.

«Corona droht Millionen von Menschen, die gerade erst aus der Armut herausgefunden haben, in die Armut zurückzustossen.»

In einem differenzierten Live-Gespräch schildert unser Geschäftsleiter Melchior Lengsfeld, was die Corona-Pandemie für die Menschen in ärmeren Ländern bedeutet, gesundheitlich, aber auch weit darüber hinaus.

Corona – aus einem etwas anderen Blickwinkel Teil 3

Lesen Sie hier den dritten Teil des Tagebuchs aus Myanmar, Burkina Faso und Peru vom 1. April.

Burkina Faso: Was ist verheerender, das Virus oder der Hunger?

Von Franca Roiatti, Helvetas-Kommunikationsverantwortliche für Westafrika

Die Nächte in Ouagadougou sind seltsam ruhig. Die Ausgangssperre wurde vor allem verhängt, um Versammlungen in den so genannten «Maquis»-Bars und -Restaurants zu vermeiden, die es an jeder Ecke der Stadt gibt. Tagsüber läuft immer noch viel, aber die Stimmung ändert sich. Die steigende Zahl der Covid-19-Fälle veranlasste die Regierung, den Gesundheitsnotstand auszurufen und alle Städte, die mindestens einen Fall verzeichnen, unter Quarantäne zu stellen. Niemand kann Ouagadougou, Bobo-Dioulasso und die anderen Städte «mit dem Auto, Motorrad, Pferd oder dem Karren» betreten oder verlassen, wie der Regierungssprecher klarstellte, nicht ohne einige Witze zu provozieren.

Innerhalb der Stadt können sich die Menschen noch frei bewegen. Viele tragen aber sogar beim Autofahren Masken, selbst wenn sie allein unterwegs sind. Die grössten offenen Märkte sind geschlossen, Taxis und andere öffentliche Verkehrsmittel verboten. Ein Teil der Bevölkerung befürchtet, dass diese Massnahmen nicht ausreichen werden, um die Epidemie einzudämmen, und fordert eine totale Eindämmung wie in Europa. Viel mehr Leute befürchten allerdings, dass schon die Folgen des nur teilweisen Lockdowns für viele untragbar sein werden. «Ja, es besteht die Gefahr eines Virus, aber der Hunger droht uns auch zu töten», lautet die düstere Prognose des Vertreters der Taxifahrer.

Junge Kreative entwickeln Gesichtsschutz

Manche finden, wie üblich, einen Weg, sich anzupassen. Während der Zentralmarkt, der normalerweise überfüllt ist, gespenstisch verwaist ist, haben sich  Geschäfte von offiziell geschlossenen Märkten über die benachbarten Strassen ausgebreitet: Frauen verkaufen Gemüse, alle verkaufen Handwaschgeräte, einige Jungen verkaufen Desinfektionsmittel zu einem absurd hohen Preis: «Sie wissen, dass die Regierung eine Obergrenze festgelegt hat?», wage ich zu widersprechen. «Ja, aber hier geht es um Qualität», antworten sie schmunzelnd.

Eine Gruppe junger Kreativer des Fablab WakatLab,  die mit mehreren 3D-Druckern bewaffnet sind, reagiert auf die Notlage: «Wir produzieren in schnellem Tempo einen Gesichtsschutz für Mitarbeiter im Gesundheitswesen und testen Modelle von Atemschutzmasken», erklärt Gildas Guiella, die Präsidentin der Vereinigung, die das Labor leitet. Sie haben bereits ein digitales Werkzeug entwickelt, das den Gesundheitsbehörden hilft, die Patienten, die positiv auf Covid-19 getestet wurden, zu Hause zu überwachen.

Natürlich passt auch Helvetas ihre Aktivitäten an. Wie? Was möglich ist, machen wir digital. Anstatt Bargeld an Binnenvertriebene und ihre Gastfamilien zu verteilen, werden wir Mobiltelefone mit virtuellem Bargeld zur Verfügung stellen – mit demselben Handy können gezielte Botschaften über jetzt wichtige Hygiene- und Präventionsmassnahmen und generell über Covid-19 weitergegeben werden.

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Peru: Leere – und sich abzeichnende wirtschaftliche Not

Von Kaspar Schmidt, Helvetas-Programm-Berater Peru

Die Fallzahlen steigen auch in Peru, aber weniger schnell als andernorts. Gut möglich, dass das entschiedene Vorgehen der peruanischen Regierung die Verbreitung des Virus im Land tatsächlich verlangsamt. Die Regierung hat den vorerst zweiwöchigen Ausnahmezustand um zwei weitere Wochen bis Ostersonntag verlängert und die nächtlichen Ausgangssperren ausgeweitet.

Im Fokus stehen die täglichen Aktualisierungen der Fallzahlen; zunehmend aber auch hier die wirtschaftlichen Fragen im Zusammenhang mit der Coronakrise: Was werden die Konsequenzen der verordneten Zwangsruhe für die peruanische Volkswirtschaft sein? Wie lässt sich der wirtschaftliche Schaden begrenzen?

Noch immer ist es ungewöhnlich ruhig in Lima. Freunde, welche die Hauptstadt mit ihren notorisch verstopften Strassen kennen, staunten über meine Fotos. Gähnende Leere, bloss wenige Fahrräder sind auszumachen, hier und da ein Bus oder vereinzelte Autos. Um einzukaufen oder auf einer Bank eine Einzahlung zu machen, stehe ich rund 45 Minuten in einer bis zu 200 Meter langen Schlange mit zwei Meter Abstand zu den anderen Wartenden. Praktisch alle tragen Masken. Die Leute in unserem Wohnquartier sind sehr diszipliniert. Allerdings müssen sich hier wohl nur sehr wenige existentielle Sorgen machen, anders als in vielen anderen Quartieren der Stadt.

Zahlungen via Mobiltelefon

In einer Skype-Teamsitzung hat ein Kollege auf die gravierenden Konsequenzen des Notstandsregimes für die Millionen von Menschen hingewiesen, die im informellen Sektor arbeiten, zum Beispiel als Hausangestellte oder Kleinhändlerinnen und -händler. Aber auch für all die Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge, die in Peru leben. Die beschlossenen staatlichen Hilfsmassnahmen erreichen viele von ihnen nicht. Eines der Helvetas-Projekte hätte vergangene Woche Unterstützungsbeiträge an 300 bedürftige Flüchtlingsfamilien aus Venezuela auszahlen wollen. Es war nicht möglich: Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit und Versammlungsverbote verunmöglichten die Aushändigung von Karten mit Guthaben an die Familien. Das Projektteam hat nun sehr schnell ein alternatives System über Mobiltelefon und Bankfilialen gefunden und bereitet derzeit die Auszahlung dieser dringend nötigen Beiträge an die ersten Familien vor.

Eine dünne Mondsichel steht klar am Nachthimmel in Lima, daneben glitzern Sterne – seit Jahrzehnten war die Luft nicht mehr so gut hier wie jetzt. An einem stadtnahen Strand, wo sonst nachmittags Tausende von Leuten Abkühlung im Meer suchen, haben sich wieder grosse Schwärme von Seevögeln eingefunden. Die Metropole Lima in erzwungener Ruhestarre – wie lange diese wohl noch andauern wird? 

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