Als ob Weihnachten abgesagt wäre
Von Peter Schmidt, Direktor Helvetas Myanmar
Viele Länder Südostasiens sind auf der Coronavirus-Karte, die bestätigte Infektionen zeigt, blutrot eingefärbt. Zwei Länder jedoch sind weiss: Laos und Myanmar. Beide Länder grenzen an China, doch keines berichtet über einen bestätigten Fall. Wie kann das sein? Es sei dem Virus zu heiss hier, mutmassen Kolleginnen. Andere meinen, weil das Immunsystem der Bevölkerung aufgrund von Malaria und dem Denguefieber derart erprobt sei, habe das Coronavirus keine Chance. Oder handelt es sich um einen Rückfall in ein kommunistisches staatliches Kommunikationsregime: Was nicht sein darf, gibt es nicht? Wahrscheinlich aber ist die Erklärung einfach: Es wurden bisher verhältnismässig wenige Coronavirus-Tests durchgeführt – bei einer Gesamtbevölkerung von 55 Millionen Menschen…
Vor einer Woche reagierte die Regierung. Nachdem die WHO den Ausbruch des Coronavirus zur Pandemie erklärt hatte, sagte Myanmar alle öffentlichen Veranstaltungen ab – auch die Festivitäten rund um Thingyan, dem Wasserfestival im April. Das ist, als ob Weihnachten nicht stattfinden würde. Die Nachricht ist schon tags zuvor via Facebook durchgesickert und führte zu Hamsterkäufen in Yangon. Auch Schweizer fuhren quer durch die Stadt, um im «Marketplace» einige Liter rot verpackte Emmi-Milch zu ergattern. Ein Hauch Heimat in schweren Zeiten?
Wie kann man sich mit Reisbauern treffen?
Das Veranstaltungsverbot macht die Arbeit von Helvetas Myanmar so gut wie unmöglich. Wie sollen sich unsere Partnerorganisationen mit Reisbauern treffen? Können die Lehrlinge, deren Berufsbildung wir unterstützen, ihre Lehrwerkstätten noch besuchen? Können wir das neue Zentrum für Migrantinnen in einer Vorstadt Yangons eröffnen? Muss die amerikanische Meeresbiologin, die eines unserer Projekte berät, in die Selbstisolation, weil wir auf keinen Fall die Krankheit in unsere Projektgebiete einschleppen wollen?
Online verfolgte ich die Pressekonferenz des Bundesrates mit. Es fühlte sich ein wenig an wie damals, als wir mitten in der Nacht aufstehen durften, um die Landung der Apollokapsel auf dem Mond vor dem flimmernden Bildschirm mitzuerleben. Bundespräsidentin Sommaruga sprach eindringlich, viersprachig. Wie hätte sie das in Myanmar mit seinen 135 anerkannten Bevölkerungsgruppen wohl gemeistert? In einem Satz erwähnte sie, Schweizer Reisende im Ausland seien aufgefordert, heimzukehren. Am Morgen danach folgte die Nachricht von der Helvetas-Geschäftsstelle in Zürich, internationale Mitarbeitende, die zu einer der Risikogruppen gehörten, seien angehalten, ernsthaft über eine Rückkehr in ihre Heimatländer nachzudenken. Ich schramme knapp an der Grenze zur Risikogruppe vorbei. Meine Frau nicht. Was sollen wir nun machen?
Mit Radiosendungen die Bevölkerung warnen
Von Franca Roiatti, Helvetas-Kommunikationsverantwortliche für Westafrika
Der erste Todesfall in Burkina Faso im Zusammenhang mit Covid-19 wurde am Mittwoch, 18. März, registriert. Opfer war die zweite Vizepräsidentin des nationalen Parlaments. Zugleich handelte es sich um den ersten bestätigten Corona-Todesfall in Subsahara-Afrika. Ein Schock. Die Zahl der Fälle nimmt zu, und die Regierung hat ihre Bemühungen verstärkt, die Kontakte von Personen, die positiv getestet wurden, zurückzuverfolgen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen.
Die Schulen und Universitäten hat die Regierung schon seit den ersten COVID-19-Fällen geschlossen, zudem sind Versammlung von mehr als 50 Personen verboten. Veranstaltungen wie Konzerte wurden abgesagt; muslimische und christliche Religionsführer haben Messen und Freitagsgebete in den Moscheen abgesagt und die Menschen «zum Gebet zu Hause» aufgefordert. Behörden und NGOs arbeiten mit lokalen Radiosendern zusammen, um wichtige Informationen über das Coronavirus im ganzen Land zu verbreiten. Wird die Botschaft ankommen? In ganz Burkina Faso gibt es mindestens 125 Gesundheitszentren, die wegen der zunehmenden bewaffneten Angriffe geschlossen sind. Wer wird die grundlegendste Versorgung in diesen Gebieten gewährleisten?
Plötzlich sind wir potenzielle Übertrager
In der Hauptstadt Ouagadougou herrscht noch immer reger Betrieb: Auf den Strassen sind viele Motorräder unterwegs, ein paar Fahrer mehr tragen jetzt Stoffmasken, die vor Staub schützen sollen, und einige tragen Operationsmasken. Nach wie vor trägt praktisch niemand einen Helm. Grosse Geschäfte haben Präventivmassnahmen eingeführt (Handgel am Eingang, Masken für das Personal), aber kleine Geschäfte, Cafés und Geschäfte am Strassenrand funktionieren wie üblich. Es ist fast unvorstellbar, dass diese und die vielen Märkte vielleicht bald geschlossen werden müssen – wie dies in Europa geschehen ist. Viele Menschen leben von der Hand in den Mund und müssen mit dem wenigen Geld, das sie verdienen, täglich einkaufen. Wie könnten sie sich eindecken, wenn die Märkte schliessen?
Und was ist mit uns? Helvetas hat – so gut als möglich - Heimarbeit eingeführt und vermeidet persönliche Treffen wenn es geht. Aber: Wir arbeiten mit und für Menschen, und so stellen sich schwierige Fragen. Wir haben zum Beispiel jüngst ein Nothilfeprojekt gestartet, um einigen der 729'000 Binnenvertriebenen zu helfen: Familien, die gezwungen waren, ihre Dörfer zu verlassen, um der Gewalt der bewaffneten Gruppen zu entkommen. Die Mehrheit verfügt nicht über angemessene Unterkünfte, und die Aufnahmegemeinde kämpft darum, die Grundversorgung mit Wasser und sanitären Einrichtungen sicherzustellen. Wie kann man unter solchen Bedingungen "soziale Distanzierung" und persönliche Hygiene gewährleisten? Und schliesslich: Wie können wir diesen Menschen helfen, wenn wir und unsere Partner vor Ort potenzielle Überträger des Coronavirus sein könnten? Wir versuchen uns an die neuen Bedingungen anzupassen und täglich zu lernen, was machbar ist.
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Ungewöhnliche Ruhe in Lima
Von Kaspar Schmidt, Helvetas-Programm-Berater Peru
Schnell ging es: Nachdem der erste Krankheitsfall in Peru bestätigt worden war, begann die Regierung, erste Massnahmen zu verordnen. Die peruanische Regierung zieht Lehren aus dem vermutlich zu langem Warten vieler europäischen Länder: Bereits fünf Tage nach dem ersten bestätigten Fall schloss sie alle Schulen, einen Tag später untersagte sie Veranstaltungen mit mehr als 300 Personen und einen weiteren Tag später verbot sie die Ankunft von Flügen aus Europa und Asien. Den nationalen Notstand verfügte die Regierung am Tag neun. Das heisst: weitgehende Beschränkungen des öffentlichen Lebens und geschlossene Grenzen. Kurz darauf kam die nächtliche Ausgangssperre hinzu. Die Kurve der bestätigen Infektionsfälle steigt Tag für Tag, der rote Kreis in Peru auf der Weltkarte der Infektionsfälle wird grösser – ob die rigiden Massnahmen die Verbreitung des Virus wie erhofft drosseln, wird sich zeigen.
Es ist ungewöhnlich ruhig in dieser sonst vom Verkehr geplagten Metropole Lima. Ab und zu fährt ein Polizeiauto vorbei und fordert die Leute per Lautsprecher auf, zu Hause zu bleiben. An Verkehrsknotenpunkten kontrollieren Sicherheitskräfte, ob die zirkulierenden Personen nachweislich in sogenannt systemrelevanten Sektoren arbeiten. Der sonst belebte Park gegenüber unserer Wohnung ist weitgehend verwaist. In dieser merkwürdigen Stille freuen wir uns über die Stimmen der Gemeindearbeiter, die gelegentlich noch im Park arbeiten oder die Strasse kehren. Anstehen vor dem Supermarkt, in dem praktisch nur noch Grundnahrungsmittel verkauft werden, und überquellende WhatsApp-Chats – eine Mischung aus Informationen, Aufmunterungen, Durchhalteparolen, Falschmeldungen und Humor – sind nun auch in Peru Alltag. Auch wir versuchen uns im Heimunterricht der Kinder und arbeiten gleichzeitig von zuhause aus, wie Millionen anderer Familien auf dieser Welt, und auch wir applaudieren um acht Uhr abends auf unserem Balkon den Mitarbeitenden des Gesundheitswesens, den Sicherheitskräften, Gemeindearbeitern und allen anderen Helferinnen und Helfern.
Sorge um wenig Privilegierte
Letzten Montag haben wir von Helvetas Peru auf Telearbeit umgestellt, eine neue Arbeitsform für die meisten unserer hiesigen Kolleginnen und Kollegen. Wir überlegen, welche Aktivitäten wir verschieben müssen – auf wann wohl? Wie wird die Krise die unterprivilegierten Gemeinschaften und unsere Partnerorganisationen treffen? Zum Beispiel Kakao- oder Kaffeebauern oder Tourismusunternehmen? Wie können wir sie unterstützen, die Herausforderungen zu bewältigen? Wie lässt sich unter einem Notstandsregime mit stark eingeschränkter Bewegungsfreiheit die Zahlung von Unterstützungsbeiträgen an Flüchtlingsfamilien aus Venezuela abwickeln, die in der Hafenstadt Callao bei Lima leben? Fragen, auf die wir möglichst schnell Antworten brauchen.