Vanille erzielt auf dem Weltmarkt Rekordpreise. Noch verdienen vor allem die Zwischenhändler gut daran. Doch Bäuerinnen wie Oline Rasoanandrasana und ihr Mann Jean Tommy sollen mehr von ihrer wohlriechenden Ernte haben.
Hunderte Vanilleblüten haben ihre Kelche geöffnet. Oline Rasoanandrasana muss sie alle selber bestäuben. Denn in Madagaskar gibt es kein Insekt, das ihr die Arbeit abnimmt. Die Blüten blühen nur einen einzigen Tag und schliessen sich unwiederbringlich, wenn die Sonne untergeht. Sie weiss: Jede Blüte, die sie anfasst, kann neun Monate später gutes Geld einbringen.
Oline ist jenseits der Berge aufgewachsen, die das 4000-Seelen-Dorf Androfiabe umgeben. Das Dorf ist nur zu Fuss erreichbar, auf einem Pfad durch den Urwald. Die kräfteraubende Tagesreise hat Oline früher auf sich genommen, um als Händlerin etwas Geld zu verdienen. Wie Hunderte andere Träger und Händler, denen man auf dem Weg nach Androfiabe begegnet. Denn der Vanilleanbau hat hier eine gewisse wirtschaftliche Dynamik ausgelöst.
Vom Boom profitieren nicht alle
In den letzten Jahren ist der Weltmarktpreis für Vanille in die Höhe geschnellt, doch Oline, 32, und Tommy, 25, konnten davon nicht profitieren. Sie leben noch immer unterhalb der Armutsschwelle, obwohl sie hart arbeiten.
Mit einem verlegenen Lächeln erzählen die beiden, wie sie sich kennengelernt haben. Oline hat in Androfiabe Altkleider verkauft. Tommy war einer ihrer Kunden. Schliesslich ist sie geblieben, auf dem kleinen Hof seiner Eltern. Sie hat gelernt, wie man die Vanille hegt und pflegt. Und sie hat gelernt, dass das Geld auch hier nicht auf der Strasse liegt.
Oline und Tommy haben die Pflanzung vor sieben Jahren angelegt. Noch ist der Ertrag gering. Am Arbeitswillen des jungen Paars kann es aber nicht liegen. «Wir werden für unsere Anstrengungen entschädigt werden», beschwichtigt Oline die Ungeduld ihres Mannes.
Oline Rasoanandrasana, Bäuerin
Die Macht der Zwischenhändler brechen
Helvetas ist seit einigen Monaten in der Sava-Region aktiv und zeigt Bäuerinnen und Bauern wie Oline und Tommy, wie sie den Boden fruchtbarer machen können. Auch zeigen ihnen die Projektmitarbeiter, wie die Vanilleschoten fachgerecht sonnengetrocknet und vor Verunreinigungen geschützt werden.
Viele Vanillebäuerinnen und -bauern wissen nicht, dass ausländische Konzerne in die industrielle Produktion und Verarbeitung investieren, dass Spekulation und Geldwäsche an der Tagesordnung sind und der Weltmarkt wegen der grossen Nachfrage verrücktspielt.
Oline und Tommy warten nach der Ernte wie alle anderen, bis ihnen einer der fliegenden Zwischenhändler einen akzeptablen Preis bietet. Doch immer mehr Zwischenhändler möchten sich ein Stück des Kuchens sichern. Sie drängen die Bauern, die Vanille zu früh zu ernten und zu schnell zu trocknen, was zu einem Aromaverlust führt.
Helvetas will erreichen, dass auch die einfachen Bäuerinnen und Bauern von der Vanille profitieren und regt sie deshalb an, sich zu Kooperativen zusammenzuschliessen.
Joël Razafindrakoto, Projektverantwortlicher Helvetas
Joël Razafindrakoto ist bewusst, dass das etwas dauern könnte. «Die Vanille hat hier viel Misstrauen gesät. Diebstahl und Übervorteilung kommen öfters vor, da ist man gegenüber Fremden erst einmal vorsichtig».
Helvetas und WWF arbeiten zusammen
Die Arbeit mit den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ergänzt ein langjähriges WWF-Projekt, das einen der wichtigsten Waldkorridore Madagaskars schützt. Dieser beherbergt eine weltweit einzigartige Artenvielfalt, darunter den seltenen Seidensifaka. Obwohl die Wälder teilweise geschützt sind, sind sie durch illegale Abholzung und Brandrodung akut bedroht. Nun soll die Kooperative einen kleinen Teil ihres Gewinnes in einen Fonds speisen, der dem Waldschutz zugutekommt.
Der Wegbereiter
Gatien Manantsoa ist Präsident der Basisgemeinschaft in Androfiabe, seit 17 Jahren. Seine Frau drängt ihn längst zum Rücktritt, aber die anderen Mitglieder halten ihn zurück. Gatien sorgt sich um die Wälder, ohne die das Wasser knapp und das Leben der Menschen noch härter wird. Er weiss, dass die Familien hier Schutz vor dem Klimawandel brauchen. Hurrikans können die mühsame Arbeit in wenigen Minuten zunichtemachen.
Einige ältere Bauern wie Gatien haben in den letzten Jahren gut verdient mit der Preishausse des Vanillle. Sie leben heute in grösseren Häusern, mit Satellitenschüsseln und Solarpanels auf den Dächern. Gatien ist dankbar, dass die Vanille ihm zu einem würdevollen Leben verholfen hat. Davon will er etwas zurückgeben an die Gemeinschaft, wo saisonal Hunger und Entbehrung herrschen.
Hoffnung am Horizont
Sie hält ihre sechsmonatige Tochter im Arm, die so ruhig wirkt wie ihre Mutter. «Sie soll einmal Hebamme werden», sagt Oline mit zufriedener Mine und blickt zur Sonne hinüber, die hinter den Bergen versinkt. Den Bergen, die den Schatz Madagaskars bewahren.
Oline Rasoanandrasana, Bäuerin und Mutter
Wie die Reportage entstanden ist
Erleben Sie den sechsstündigen Fussmarsch des Autors und Helvetas-Mitarbeiters Matthias Herfeldt ins Vanillegebiet von Madagaskar, wo er das junge Ehepaar Oline und Tommy traf und dem Präsidenten der Basisgemeinschaft in Androfiabe begegnete.