Dank ihrer Baumschule hat eine Familie in den Hügeln Bangladeschs die Armut und die Not hinter sich gelassen. Surjaa Rani Chakma, die älteste Tochter, studiert an einer Hochschule. Davon konnten die Grossmutter und die Eltern nicht einmal träumen.
Surjaa Rani ist Teil der kleinen Welt des Weilers Bodhipur in den Hügeln von Chittagong. Schon als sie ein kleines Mädchen war, half sie bei den Hausarbeiten. Sie weiss, wie man ein schwelendes Feuer anfacht, ohne dass sich der Raum mit Rauch füllt, und sie weiss auch, wie man eine volle Wasserkaraffe am besten trägt.
Aufbruch in eine neue Welt
Die Arbeiten im Haus und um das Haus erledigt sie gewandt und mit grosser Selbstverständlichkeit. Und doch bewegt sie sich so, als sei sie schon ein wenig – ein ganz klein wenig – aus der Welt der Bauern herausgetreten. Surjaa Rani – die «Königin des Lichts» – hat begonnen, soziale Wissenschaften zu studieren. Sie hofft, nach dem Studium bei der Regierung oder bei einer gemeinnützigen Organisation eine Stelle zu finden und dort den Menschen zu helfen. Surjaa hofft auch, später einmal die Eltern unterstützen zu können, die ihr jetzt den Aufbruch in ein anderes Leben ermöglichen.
Ein Leben voller Mühsal
Mongal Puti seufzt. Wenn der Boden nach einigen Jahren erschöpft war, rodeten die Bauern eine neue Parzelle, und der Wald holte sich das verlassene Feld zurück. Der Monsun kam, der Monsun ging. Ihre Söhne wurden Bauern und ihre Töchter heirateten Bauern. Und da war nichts, was sich veränderte. Mongal ist dabei alt und schwach geworden.
Mongal Puti, Grossmutter
Mongal Puti, Grossmutter
Was hält die Grossmutter vom Leben ihrer Enkelin? Ist das Leben zwischen Schulpulten und Büchern ein besseres Leben? Mongal hebt den Blick und gibt mit einer Handbewegung zu verstehen, wie naiv diese Frage sei. So kann nur fragen, wer die harte körperliche Arbeit nicht kennt. Das Gespräch hat sie angestrengt, und Surjaa hilft ihr, sich auf das Bett zu legen. Dort liegt auch Surjaas Schwester Mintu Rani, die sich von einer Grippe erholt.
Ein Familienunternehmen entsteht
Das Haus von Surjaas Familie liegt an einem sanften Abhang, der zum Flüsschen Maniksari hinunterführt, wo die Reisfelder liegen. Oder genauer, wo sie vor den jüngsten Unwettern lagen. Hier leben in Rufdistanz zueinander 120 Familien in einfachen Häusern, die mit einem Netz von Trampelpfaden miteinander verbunden sind. Zwischen den Häusern stehen locker gepflanzte Fruchtbäume.
Surjaas Vater, der 50-jährige Hema Kumar, sagt: «Wir sind nicht gebildet. Wir müssen arbeiten.» Zusammen mit seiner Frau Nil Mala und andern Bauern des Weilers hat er im Jahr 2005 vom Brandfeldbau zur permanenten Kultur gewechselt. Es war ein erster Schritt weg von der Selbstversorgung hin zu einer Landwirtschaft, die sich am Markt orientiert und ein Einkommen bringt.
Helvetas hat die Bauernfamilien des Dorfes darin unterstützt, sich zu organisieren, die Anbaumethoden zu verbessern und gemeinsam bessere Preise für ihre Ernten zu erzielen.
Vor einigen Jahren wagten Hema und Nil einen zweiten Schritt und legten eine Baumschule an, in der sie auch Gemüsesetzlinge verkaufen. Die Baumschule wurde zu einem Erfolg. Schon im ersten Betriebsjahr konnten sie aus dem Gewinn die Hälfte von Surjaas Schulgebühren bezahlen.
Rückschlag und Neuanfang
Dann kam der heftigste Monsun seit Menschengedenken und mit ihm die Katastrophe des 13. Juni 2017. Drei Tage regnete es ununterbrochen. Die Böden sogen sich mit Wasser voll. Teile der Hänge kamen ins Rutschen. Häuser wurden verschüttet. Im Dorf starben neun Menschen, vier davon waren Mitglieder von Surjaas weitverzweigter Familie. Ihr Haus wurde nur leicht beschädigt. Doch Ausläufer der Schlammlawine und das Hochwasser deckten die Baumschule zu.
Über das Gesicht des Vaters fällt ein Schatten, wenn er davon spricht. Doch als er eine Woche nach den Erdrutschen zum ersten Mal wieder in der Baumschule arbeitete, merkte er, dass nicht alles verloren war. Da waren noch Setzlinge, die aus der Schlammschicht herausragten. Hema und Nil machten sich sofort an die Arbeit.
Hema Kumar, Surjaas Vater
Mittlerweile haben Surjaas Eltern wieder begonnen, Setzlinge zu verkaufen. Eben haben sie einige Mangosetzlinge veredelt und für die nächste Pflanzsaison bereitgemacht.
Die Familie hält zusammen
Wenn die Eltern sich bemühen, den Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen, geht es nicht nur um gutbezahlte Stellen, sondern vor allem um Würde. Wie in vielen andern Ländern geniessen die Bauern auch in Bangladesch wenig Respekt. Sie gelten als ungebildet, ungehobelt. Oft schlägt ihnen Überheblichkeit entgegen. Viele Eltern wollen, dass ihre Kinder diese Verachtung nie mehr erdulden müssen. Vater Hema sagt: «Meine Tochter wird weiterkommen, als wir es je waren. Und mein Stolz wird sie immer begleiten.»
Surjaa Chakma, Tochter
Surjaas Eltern haben keine Schule besucht. Vor einigen Jahren lehrte sie ihren Vater, den eigenen Namen zu schreiben. Jetzt muss er Dokumente, die ihn betreffen, nicht mehr mit dem Abdruck seines rechten Daumens unterzeichnen. Surjaa erzählt von diesem Sprung mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie sie von ihrem Studium erzählt.