Victoria Lake  | © Keystone/AFP/YASUYOSHI CHIBA

Wiederbelebung des Viktoriasees

Kann der meistgefährdete See der Welt noch gerettet werden?
VON: Patrik Berlinger - 29. September 2023
© Keystone/AFP/YASUYOSHI CHIBA

Der Viktoriasee in Ostafrika leidet seit Jahren. Die Umweltzerstörung trifft Millionen von Menschen, die bereits von der Klimaveränderung und von gewaltsamen Konflikten betroffen sind. Mit Unterstützung internationaler Entwicklungsprogramme soll nun das Ökosystem gerettet und das Potenzial des Sees gefördert werden – für die Menschen und ihre wirtschaftlichen Perspektiven in der Region. 

Mit dem Dokumentarfilm «Darwin’s Nightmare», der die negativen sozialen und ökologischen Folgen der exportorientierten Fischindustrie in Tansania porträtierte, erlangte der Viktoriasee traurige Berühmtheit. Der grösste See Afrikas ist 1,5-mal so gross wie die Schweiz und der zweitgrösste Süsswassersee der Welt. Er wird von drei Anrainerstaaten gemeinsam genutzt: Kenia, Tansania und Uganda. Das Einzugsgebiet des Sees erstreckt sich bis nach Ruanda und Burundi – die beiden Länder gehören zur oberen Wasserscheide, die in den See mündet. 

Der gigantische See in Ostafrika versorgt 30 Millionen Menschen entlang seiner Ufer mit lebensnotwendigem Wasser; er liefert Fisch und er dient als Transportweg für die Schifffahrt. Darin baden hingegen, gefährdet die Gesundheit: Nebst gefährlichen Krokodilen lauert die Gefahr einer Infektion mit Bilharziose, die von mikroskopisch kleinen Saugwürmern übertragen wird. Gemäss Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO fordert der Parasit weltweit jedes Jahr bis zu 200'000 Todesopfer

Das Ökosystem droht zu kippen 

Schon seit Jahren steht es schlecht um den See. Nun droht das wichtige Ökosystem vollends zu kollabieren. Ein Problem ist die starke Ausbreitung einer von den belgischen Kolonialherren nach Ruanda und Burundi eingeschleppten Wasserlilien-Art aus Südamerika. Die Gartenteichblumen rauben Fischen und Insekten in Ufernähe den Sauerstoff. Hinzu kommt, dass sich das Wasser wegen der Erderwärmung erhitzt und Blaualgen sich immer rasanter vermehren, was bei Menschen Hautausschlag und Magen- und Darminfektionen verursacht und Tiere töten kann. 

Ein anderes Problem ist, dass der See für viele Menschen die «grösste Müllkippe ihres Landes» ist. So landen im See Plastikflaschen, Plastiktüten und alte Fischernetze, Autoreifen und Autobatterien – aus den Augen, aus dem Sinn. Hinzu kommen Agrochemikalien sowie Stickstoffe und Phosphate, die von Düngemitteln aus einer nicht ökologischen Landwirtschaft stammen und durch Regen in den See geschwemmt werden. Bereits 2005 wurde der Viktoriasee von der Umweltschutzorganisation «Global Nature Fund» zum meistgefährdeten See der Welt erklärt. 

Die Folgen von menschlichen Fäkalien und unbehandelten Abwässern aus städtischen Gebieten und Industrien im Einzugsgebiet ebenso wie von Dünger-Phosphaten und nicht recycelten Abfällen sind verheerend: Ein Grossteil der Fische ist hochgradig vergiftet. Das Aufbereiten des Wassers für den Hausgebrauch wird immer aufwändiger und teurer, und benötigt immer mehr Chemikalien. Schliesslich zerstören invasive Pflanzenarten die biologische Vielfalt und behindern die Schifffahrt und die Stromerzeugung mit Staudämmen. 

Die vielfältigen Probleme werden zusätzlich verschärft, weil in der Region die Bevölkerungszahlen steigen und die Klimakrise die Binnenmigration verstärkt. Die Weltbank schätzt, dass bis 2050 mehrere zehn Millionen Bewohner:innen des Seebeckens durch die Folgen der Erderwärmung – etwa zunehmende Wasserknappheit und Rückgänge bei der Produktivität von Nutzpflanzen – vertrieben werden. Mehr Menschen werden um die schwindenden Ressourcen rund um den See konkurrieren, was unweigerlich Folgen für den sozialen Zusammenhalt, aber auch für deren Lebensgrundlagen, deren Ernährungssicherheit und deren Anpassungsfähigkeit haben wird. 

 

Fluch – und bald Segen? 

Seit über zwanzig Jahren laufen Bemühungen, den See zu sanieren. Diese Bemühungen sind allerdings regional und fokussieren auf einzelne Aspekte. Um tatsächlich nachhaltige Ergebnisse im grossen Massstab zu erzielen, müssen die wichtigsten Verschmutzungsursachen länderübergreifend und durch gezielte, langfristige und umfassende Ansätze gelöst werden – koordiniert über Verwaltungsgrenzen hinweg.  

Die Weltbank unterstützt z.B. ein durch die «Cooperation in International Waters in Africa» (CIWA) finanziertes Programm im Umfang von 30 Millionen US-Dollar bis Ende 2025. Die sogenannte «Nile Cooperation for Climate Resilience» (NCCR) zielt darauf ab, die Länder des Nilbeckens und entlang des Viktoriasees in den Bereichen Hochwasser- und Dürrerisiken, Wasseraufbereitung und -qualität sowie Abfallmanagement zu unterstützen und die Sicherheit von Staudämmen zu stärken. Zudem will sie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit verbessern sowie Interessengruppen und die Zivilgesellschaft einbinden. 

An der Umsetzung beteiligt ist die «Kommission für das Einzugsgebiet des Viktoriasees» (LVBC). Dies ist die spezialisierte Einrichtung der Ostafrikanischen Staatengemeinschaft (EAC), die die nachhaltige Entwicklung und Bewirtschaftung des Viktoriasees in den fünf EAC-Partnerstaaten koordiniert. 

Unterschiedliche Bedürfnisse in der Region 

Aufbauend auf den Ansätzen «Green, Resilient, and Inclusive Development» und «Citywide Inclusive Sanitation» geht die Weltbank ein weiteres Problem für den See an: die Einleitung unbehandelter menschlicher Abfälle. Das Programm arbeitet mit dem Privatsektor zusammen, um «grüne Arbeitsplätze» für Menschen entlang der Sanitärdienstleistungskette zu schaffen. 

Im Auftrag der EU und der deutschen Regierung unterstützt auch die KfW Entwicklungsbank die gemeinsame und nachhaltige Bewirtschaftung des Viktoriasees. Gestärkt werden die Kapazitäten der Kommission für ein grenzüberschreitendes integriertes Wasserressourcen-Management. Gleichzeitig werden der Bau von Infrastruktur für die Abwasserentsorgung sowie von Aufbereitungsanlagen mit moderner Filtertechnologie vorangetrieben. 

Schliesslich ist auch die Internationalen Zusammenarbeit (IZA) der Schweiz in der Region der Grossen Seen präsent: Mit ihren Ansätzen in der Armutsbekämpfung und für den Frieden ergänzt sie die Arbeit von Weltbank und KfW. Sie stärkt Gouvernanz, den Schutz der Zivilbevölkerung, die Gesundheitsversorgung und die wirtschaftliche Entwicklung. So unterstützt die Schweiz z.B. Plattformen für den Dialog zwischen Regierung und Bevölkerung, um die Rechenschaftspflicht und die Teilhabe der Bürger:innen an Entscheidungsprozessen zu fördern. Sie begleitet Wahlen und Verfassungsreformen. Und sie unterstützt, im Nachgang der Covid-19-Krise, die Berufsbildung sowie kleine und mittlere Unternehmen. 

Die Schädigung des gigantischen Gewässers bedroht die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen. Menschen, die in einer Region leben, die bereits von Hunger, Fragilität und mangelnden Perspektiven geprägt ist. Sollte es jedoch gelingen, den See zu «retten», hat dieses Gewässer das Potenzial, als wirtschaftliches Kraftzentrum im zentralen Afrika zu dienen und Millionen aus der Armut zu befreien. 

Patrik Berlinger | © Maurice K. Gruenig
Verantwortlicher Politische Kommunikation