DEZA und Seco legten im Sommer die Strategie für die Internationale Zusammenarbeit (IZA) 2025-2028 vor. Sie benennt die Herausforderungen und setzt die richtigen Schwerpunkte. Bundesrat und Parlament statten die Strategie aber nicht mit den notwendigen Finanzmitteln aus. Besonders problematisch und beschämend ist es, wenn der Bundesrat am SDG-Gipfel der UNO zur enttäuschenden «Halbzeit»-Bilanz der Agenda 2030 weltweit mehr Einsatz für nachhaltige Entwicklung sowie eine effektive und regelbasierte Weltordnung fordert, gleichzeitig aber die Schweizer IZA schwächt und zurückbaut.
Seit Jahren trägt die Internationale Zusammenarbeit (IZA) der Schweiz dazu bei, Leben zu retten und Armut zu lindern. Sie fördert Frieden, unterstützt Klimaanpassung und stärkt wirtschaftliche Perspektiven. Rechenschaftsberichte und Wirkungsanalysen belegen, dass die Schweiz mit ihrer humanitären Hilfe, mit langfristigen Entwicklungsprogrammen und mit der zivilen Friedensförderung beachtliche Erfolge für eine friedlichere und gerechtere nachhaltige Entwicklung erzielt.
Im Sommer hat der Bundesrat den Entwurf der IZA-Strategie 2025 bis 2028 vorgelegt und in eine Vernehmlassung geschickt. Helvetas begrüsst, dass die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) des Aussendepartements EDA und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) des Wirtschaftsdepartements WBF an den bewährten Zielen festhalten. Die Schwerpunkte lauten «menschliche Entwicklung» (d.h. Bildung, Gesundheit und menschenwürdige Migration), «nachhaltige Wirtschaftsentwicklung» (Förderung des lokalen Privatsektors und Schaffung guter Verdienstmöglichkeiten), «Klima und Umwelt» (Wasser und Ernährung sowie eine gerechte Energiewende) sowie «Frieden und Gouvernanz» (Förderung von Demokratie, Partizipation und Gleichstellung).
Helvetas kritisiert hingegen, dass der Bundesrat für die richtige und wichtige Unterstützung der Ukraine keine zusätzlichen Gelder sprechen will, sondern diese bei der bestehenden IZA abzwackt. Während künftig 13 Prozent des gesamten IZA-Budgets für die Ukraine bereitstehen sollen, sind markante Einschnitte bei der Programmarbeit in anderen Regionen und ärmeren Ländern unausweichlich. Ausserdem bedauert Helvetas, dass der Bundesrat nach wie vor keine Vorstellung davon hat, wie sich die Schweiz ab 2025 stärker an der «internationalen Klimafinanzierung» für Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen in ärmeren Ländern beteiligen wird. Hierfür müssen über die bestehende IZA hinaus verursachergerechte und sozialverträgliche Finanzierungsinstrumente geschaffen werden.
Düstere Vorzeichen an der UNO-Generalversammlung
Dass die Kritik von Helvetas handfest und begründet ist, zeigten auch die Diskussionen an der diesjährigen UNO-Generalversammlung. In New York trafen sich vom 18. bis zum 22. September Staats- und Regierungschefs aus aller Welt zu einer Reihe hochrangiger Veranstaltungen.
Die Woche startete mit dem zweitägigen SDG-Gipfel, auf dem eine «Halbzeit»-Bilanz der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung gezogen wurde. Parallel dazu formulierten NGOs, Community-basierte Organisationen, indigene und andere marginalisierte Gruppen im Rahmen der Global People’s Assembly ihre Erwartungen in Bezug auf das übergeordnete Ziel der Agenda «Leave no one behind». Hierzu müssten die strukturellen Ursachen für soziale, ökologische und wirtschaftliche Ungerechtigkeit beseitigt und Ungleichheiten reduziert werden. Auf den SDG-Gipfel folgte eine Reihe von Veranstaltungen zur Entwicklungsfinanzierung sowie zu höheren Klimaambitionen (zu der die Schweiz allerdings aufgrund ihrer mangelhaften klimapolitischen Ambitionen nicht eingeladen war).
Gleich zu Beginn der Woche beschrieb UNO-Generalsekretär António Guterres «eine Welt ausser Kontrolle» – mit immer mehr Konflikten, Chaos und Militärputschs. Während sich Autokratien ausbreiteten, gerate die freiheitliche und partizipative Demokratie immer mehr unter Druck. Bei Armut und Hunger, Klima und Biodiversität gehe die Entwicklung in die falsche Richtung. Gleichzeitig würden die Gräben zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd tiefer.
Verabschiedung eines politischen Aktionsplans
Eindringlich appellierte Guterres an die versammelte Weltgemeinschaft, mehr für Frieden, Armuts- und Hungerbekämpfung sowie für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung zu tun. Ansonsten drohe die Welt komplett vom Kurs abzukommen. Tatsächlich verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs am Ende des SDG-Summits eine handlungsorientierte politische Erklärung, in der sie ihr gemeinsames Engagement für den Aufbau einer nachhaltigen, inklusiven und wohlhabenden Welt bis 2030 bekräftigten.
Mit einem starken Fokus auf die Mittel zur Umsetzung der Agenda 2030 und insbesondere auf die Entwicklungsfinanzierung erkennt die Erklärung an, dass die Ziele der Agenda ohne einen Quantensprung bei den Investitionen zugunsten einer gerechten und ausgewogenen Energie- und Nahrungsmittelversorgung sowie eines robusten sozialen Schutzes in den Entwicklungsländern nicht erreicht werden können. Die Erklärung drängt auf sofortige Massnahmen zur Umsetzung des vom UNO-Generalsekretär vorgeschlagenen SDG-Stimulus, der eine massive Aufstockung der Finanzmittel für die Verwirklichung der SDGs in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr fordert. Schliesslich sprechen sich die Regierungen für eine Reform der internationalen Finanzarchitektur aus, die die heutige Weltwirtschaft besser widerspiegeln soll.
Auch die Schweiz steht in der Verantwortung
Nun gilt es, die Erklärung in der gegebenen Zeit und effektiv umzusetzen. Der internationalen Staatengemeinschaft bleiben nur noch sieben Jahre, um das Steuer herumzureissen. Das stellt auch die Schweiz vor grosse Herausforderungen. Denn auch sie ist keine Musterschülerin, wenn es um die Umsetzung der Nachhaltigkeitsagenda geht. Zwar schneidet die Schweiz im «Sustainable Development Report» relativ gut ab; im SDG-Index belegt sie Rang 15 von 166 bewerteten Ländern. Doch der sogenannte «Spillover-Score» fällt für die Schweiz beschämend schwach aus – Rang 157 von 166 bewerteten Ländern. Der Spillover-Score misst die negativen Auswirkungen des Handelns eines Landes auf die Fähigkeit anderer Länder, sich nachhaltig zu entwickeln.
Konkret: Die Schweiz liefert Waffen an autoritäre Regierungen. Der schweizerische Finanzplatz ist nach wie vor ein Fluchthafen für Steuerflüchtende – sowohl für wohlhabende Schweizer:innen als auch für schwerreiche Personen aus aller Welt. Multinationale Unternehmen in der Schweiz können mittels Gewinnverschiebungen weiterhin Steueroptimierung auf Kosten der Ärmsten betreiben. Und Schweizer Grossbanken verdienen nach wie vor Millionen mit der Unterstützung und Finanzierung von klimaschädlichen Unternehmen im Öl-, Kohle- und Gassektor.
Unsere Produktions- und Konsummuster wirken sich negativ auf andere Länder aus, gehört die Schweiz doch zu den Ländern mit dem grössten Klima-Fussabdruck. Und, geht es nach dem Bundesrat, soll die Schweiz ihre Klimaziele künftig erreichen, indem sie ärmere Länder dafür bezahlt, Emissionen für die Schweiz zu reduzieren. Dies ist auch im Sinne des Ständerats, der in der Herbstsession beschloss, dass der überwiegende Teil der schweizerischen Klimaverantwortung in andere Länder abgeschoben und dort «günstig» kompensiert werden soll.
Viel fordern, wenig liefern
In seiner engagierten Rede für die Schweiz betonte Bundespräsident Alain Berset vor der versammelten Staatengemeinschaft die Notwendigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit der Staaten. Nur so könne es gelingen, die zunehmende Ungleichheit zu bekämpfen, Frieden zu fördern, Menschenrechte zu garantieren, die Folgen des Kriegs gegen die Ukraine abzufedern und die Auswirkungen des Klimawandels anzugehen. Das Völkerrecht und eine regelbasierte Weltordnung müssten verteidigt, und die UNO mit ihren Unterorganisationen als Förderin des Friedens gestärkt werden. Völlig zu Recht prangerte der Bundespräsident in seiner Rede auch jene Regierungen an, die versuchten, eine «globale Unordnung» voranzutreiben. Vielmehr brauche es eine «erneuerte Weltordnung, die Stabilität, Vertrauen und gemeinsame Perspektiven garantiere».
Was der Bundespräsident in seiner Rede aber unter den Tisch kehrte: Auch die Schweiz ist weit davon entfernt, einen angemessenen Beitrag zu ebendieser «erneuerten Weltordnung» zu leisten. Denn fernab der grossen UNO-Bühne zögern der Gesamtbundesrat und die bürgerliche Mehrheit des Parlaments nicht, die Unterstützung für ärmere Länder massiv abzubauen. So wird die Schweiz in Zukunft nur noch 0.36% ihrer Wirtschaftsleistung (BNE) in Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und friedens- und menschenrechtspolitische Bemühungen investieren – gerade mal die Hälfte der einst im Rahmen der UNO vereinbarten Zielmarke.
Am 27. September hat der Nationalrat in der Herbstsession Vorschläge (von Die Mitte, GLP und SP) behandelt, wenigstens die humanitäre Hilfe an die Ukraine zusätzlich zu leisten und nicht aus dem bestehenden IZA-Topf zu nehmen. Eine bürgerliche Mehrheit sorgte aber dafür, dass der Entscheid darüber vertagt und auf die lange Bank geschoben wird.
Massive Kürzungen bei der IZA und stark negative Spillover-Effekte auf den Rest der Welt – die Diskrepanz zwischen Schein und Sein, zwischen der grossen UNO-Rede des Bundespräsidenten und der Schweizer Realpolitik könnten grösser kaum sein.