Die weltweite Einkommens- und Vermögensungleichheit nimmt ein skandalöses Ausmass an, auch und offenbar erst recht in Zeiten von Corona. Ein neuer Forschungsbericht zeigt: Das Jahreseinkommen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung liegt unter 4'000 US-Dollar, während die reichsten zehn Prozent durchschnittlich 122'000 US-Dollar verdienen und über ein Vermögen von 771'000 US-Dollar verfügen. Ohne eine teilweise Umverteilung des Reichtums sind keine Investitionen in die Zukunft möglich.
Ende Oktober 2021 forderte der Direktor des Welternährungsprogramms (WFP), David Beasley, den Unternehmer und Tesla-Eigentümer Elon Musk per Tweet auf, zwei Prozent seines Vermögens für die Lösung der weltweiten Hungerkrise zu spenden. Musk reagierte postwendend: Wenn mit diesen sechs Milliarden der Welthunger zu beheben sei, würde er das Geld umgehend zur Verfügung stellen. Beasley hatte es wohl nicht ganz ernst gemeint, reichten doch auch die 8,5 Milliarden US-Dollar (USD), die das WFP 2020 einsetzte, bei weitem nicht für die Lösung des Hungerproblems aus. Er antwortete Musk aber, ihm gerne zeigen zu wollen, wie mit diesem Geld das Leben von Millionen Menschen verbessert werden könnte.
Der unermessliche Reichtum
Der zitierte Milliarden-Disput mag unterhaltsam sein, er macht aber vor allem eines deutlich: Die Vermögensschere geht immer weiter auf und der Reichtum der Wirtschaftselite wächst ins Unermessliche. Allein im Corona-Jahr 2020 um durchschnittlich 30 Prozent verglichen mit 2019. Das Wirtschaftsmagazin Forbes veröffentlichte im März 2021 eine globale Milliardärsliste. Darauf wird Elon Musk mit einem Vermögen von über 151 Milliarden USD geführt. Damit lag er auf Rang 2 hinter Amazon-Gründer Jeff Bezos (177 Mrd.), aber vor der französischen Familie Arnault, Eigentümerin von Luxusgüter-Konzernen wie Christian Dior und Louis Vuitton (150 Mrd.) sowie den Gründern von Microsoft und Facebook, Bill Gates (124 Mrd.) und Mark Zuckerberg (97 Mrd.). Im Oktober 2021, als der Tweet-Disput stattfand, war Musks Vermögen laut Bloomberg auf über 300 Milliarden angewachsen, was ihn auf Platz eins der Superreichen hievte. Daraus ergaben sich die oben von ihm genannten sechs Milliarden.
Weltweit führte die Forbes-Liste 2’755 Milliardäre namentlich auf: 41 Prozent in Asien, 30 Prozent in Nordamerika und knapp ein Viertel in Europa. Deren Vermögen belief sich auf total 13,2 Billionen USD oder 3,5 Prozent des gesamten weltweiten Haushaltsvermögens. Dieses lag das Ende 2020 bei 418,3 Billionen USD. Auf der Forbes-Liste finden sich auch 40 milliardenschwere Familien aus der Schweiz. Sie besitzen zwischen 10,7 und 1,4 Milliarden USD und belegen damit bei Forbes Ränge zwischen 208 und 2'121. Ihr Gesamtvermögen beläuft sich auf 145,5 Milliarden USD.
Die weltweite Vermögens- und Einkommensungleichheit
Die Forbes-Liste zeigt aber nur die Spitze des Eisbergs. Daran lässt das Forschungsinstituts World Inequality Lab keinen Zweifel. Laut ihrem im Dezember 2021 erschienenen «World Inequality Report 2022» (W.I.R.) gibt es weltweit sage und schreibe 62 Millionen Millionäre mit einem Gesamtvermögen von 174 Billionen USD. Anders gesagt: Knapp ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt mehr als 40 Prozent des weltweiten Haushaltsvermögens. Die Hälfte lebt in Nordamerika (29 Millionen), ein Viertel in Europa (26), ein Fünftel in Ostasien (13) und die verbleibenden sechs Millionen im restlichen Asien, in Lateinamerika und in Afrika.
Das globale Durchschnittsvermögen liegt bei 102'600 USD pro Kopf. Dabei besitzen die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung im Schnitt 771'000 USD und damit drei Viertel des globalen Gesamtvermögens. Die ärmere Hälfte teilt sich gerade einmal zwei Prozent dieses Vermögens, das heisst im Durchschnitt 2900 USD pro Person.
Gross ist auch die Einkommensungleichheit. Im weltweiten Durchschnitt verdiente eine erwachsene Person 2021 kaufkraftbereinigt 23'380 USD. Dabei bezogen die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung über die Hälfte des weltweiten Einkommens – pro Kopf durchschnittlich 122'000 USD. Die ärmere Hälfte hingegen erhielt gerade einmal 3920 USD pro Kopf, was lediglich 8,5 Prozent des globalen Einkommens entspricht. Doch vermitteln solche Durchschnittswerte ein verzerrtes Bild: Noch immer leben gemäss der UNO aktuell über 700 Millionen Menschen unter der absoluten Armutsgrenze von 1,90 USD, Tendenz wegen Corona steigend. Von 3920 USD Jahreseinkommen können sie nur träumen.
Um die Situation in vollem Ausmass erfassen zu können, braucht es ein differenziertes Bild der Einkommens- und Vermögensunterschiede zwischen den und innerhalb der einzelnen Weltregionen und Staaten. Da dies angesichts der Komplexität und oft fehlenden Transparenz der Daten an dieser Stelle nicht zu leisten ist, verweisen wir auf das umfangreiche Datenmaterial und die Grafiken im W.I.R.
Steigende Ungleichheit in der Pandemie
Wer meint, die Globalisierung seit den 1970er Jahren habe die Einkommensungleichheit reduziert, sieht sich vom World Inequality Lab eines Besseren belehrt. Sie ist in den letzten 100 Jahren gleichgeblieben: 2020 war das Durchschnittseinkommen der obersten 10 Prozent der Weltbevölkerung 38-mal höher als dasjenige der unteren 50 Prozent und damit fast gleich wie 1910, als der Faktor 41 betrug. Am weitesten war die Schere 1980 geöffnet, als die Ungleichheit um den Faktor 53 auseinanderlag. Eine nachhaltige Verbesserung, wie sie mit der Globalisierung in Aussicht gestellt worden war, sieht anders aus.
In den letzten zwei Jahren hat die Coronapandemie vielerorts zu einer Wirtschaftskrise geführt, wenn auch regional sehr unterschiedlich. So ging das Nationaleinkommen in Europa und Lateinamerika zurück, während es sich insbesondere in Ostasien erholte und 2021 um 8,5 Prozent anstieg. Auch wenn die Daten über die Folgen der Pandemie für die Ungleichheit innerhalb der Länder noch vorläufig sind, hält der W.I.R. unter anderem fest, dass das Vermögen der obersten 0,001 Prozent der Weltbevölkerung zwischen 2019 und 2021 um 14 Prozent gestiegen ist, während das durchschnittliche globale Vermögen nur um ein Prozent zunahm. Zuoberst, bei den Milliardären, stieg das Vermögen aber um mehr als 50 Prozent.
In Entwicklungsländern, die kaum über soziale Sicherungssysteme verfügen, waren die Auswirkungen der Pandemie auf die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen äusserst gravierend. Aktuelle Schätzungen der Weltbank und der Weltgesundheitsorganisation zeigen, dass die Pandemie mehr als eine halbe Milliarde Menschen zurück in die extreme Armut zu treiben droht – «die schlimmste wirtschaftliche Katastrophe seit den 1930er Jahren». W.I.R.-Hauptautor Lucas Chancel warnt: «In den reichen Ländern konnte durch staatliche Eingriffe ein massiver Anstieg der Armut verhindert werden, während dies in den armen Ländern nicht der Fall war. Dies zeigt, wie wichtig der Sozialstaat bei der Armutsbekämpfung ist.» In die gleiche Richtung ging auch Olivier de Schutter, UN-Spezialberichterstatter zu extremer Armut und Menschenrechten, im Juni 2021 mit seinem Aufruf, einen Globalen Fonds für soziale Sicherheit zu schaffen, um die sozialen Auswirkungen der Pandemie zu bewältigen.
Ungleichheit ist immer eine politische Entscheidung
Der Aufstieg moderner Wohlfahrtsstaaten im 20. Jahrhundert fusste unter anderem auf steil ansteigende progressive Steuersätze. Die damit geschaffenen enormen Fortschritte bei Gesundheit, Bildung und Chancen für alle stellten die gesellschaftliche und politische Akzeptanz dieser erhöhten Besteuerung und Vergesellschaftung des Reichtums sicher. Eine ähnliche Entwicklung – eine erhebliche Umverteilung der Einkommen und Vermögen – ist nötig, um den heutigen Herausforderungen zu begegnen.
Doch dazu braucht es politischen Willen. Die Kluft zwischen staatlichem und privatem Nettovermögen ist ständig gewachsen; während der private Reichtum zugenommen hat, sind die Regierungen ärmer geworden. Die Unternehmensbesteuerung sinkt seit den 1980er Jahren stetig und multinationale Unternehmen – und ihre Aktionärinnen und Aktionäre – streichen die Gewinne der Globalisierung ein. Dabei könnten angesichts der grossen Vermögenskonzentration schon moderate progressive Steuern erhebliche Einnahmen für längst nötige Investitionen in die Zukunft generieren.
Nun zeigen jüngste Entwicklungen im Bereich der internationalen Besteuerung zwar, dass Fortschritte auf globaler Ebene und innerhalb von Ländern grundsätzlich möglich sind. Doch verdeutlicht beispielsweise ein kritischer Blick auf die im Oktober 2021 von OECD und G20 beschlossene neue internationale Mindeststeuer für multinationale Konzerne, dass der Weg dahin noch weit und steinig ist. Zudem sind viele Superreiche weiterhin bemüht, möglichst wenig Steuern zu zahlen, wie das Beispiel USA deutlich macht. Die Politik muss sicherstellen, dass die Reichen ihren gerechten Anteil an den Steuern zahlen.
Dass die weltweite Einkommens- und Vermögensungleichheit gerade in der Coronapandemie immer mehr ansteigt und dabei hunderte Millionen in extreme Armut zwingt, ist ein internationaler Skandal. Und der ist menschengemacht: «Ungleichheit ist immer eine politische Entscheidung», ist für Lucas Chancel denn auch die Haupterkenntnis des World Inequality Reports 2022.