Anfang Dezember traf sich die Welt virtuell zum Weltgipfel für Demokratie, zu dem US-Präsident Joe Biden eingeladen hatte. Es ging um nicht weniger als um die Verteidigung der Demokratie gegen Autoritarismus, um die Bekämpfung der Korruption und um die Förderung der Menschenrechte. Die Bilanz des Gipfels ist durchzogen, seine langfristige Wirkung offen.
Im Wahlkampf hatte Präsidentschaftskandidat Joe Biden angekündigt, als Präsident die Demokratie zu fördern und zu verteidigen, zuhause und in aller Welt. Daher werde er zu einem Demokratiegipfel einladen. Das war auch dringend nötig angesichts der zunehmenden gesellschaftspolitischen Spaltung bei den US-Wahlen, der schleichenden Erosion demokratischer Institutionen in vielen Staaten sowie der bedrohlichen geopolitischen Polarisierung zwischen den USA, China und Russland.
Ein Gipfel der Auserwählten
Im Dezember 2021 trafen sich auf Einladung der USA die Gesandten von 111 Staaten (virtuell) am «Gipfel für Demokratie»: Zugeschaltet wurden Staatsoberhäupter sowie Vertreterinnen und Vertreter von Regierungen, Zivilgesellschaft, Privatsektor, Wissenschaft und demokratierelevanten Institutionen. Es ging um «Demokratie gegen Autoritarismus», «Bekämpfung der Korruption» und «Förderung der Menschenrechte», aber auch um Medienfreiheit, Digitalisierung und künstliche Intelligenz sowie um die Resilienz von Demokratien. Angerichtet wurde mit grosser Kelle.
Bisherige Weltgipfel zeichneten sich in aller Regel dadurch aus, dass sie bei der Diskussion globaler Herausforderungen allen Staaten offenstanden. Für den Demokratiegipfel galt das nicht. Das US-Aussenministerium sagte, man habe «gut etablierte und jüngere Demokratien, deren Fortschritt und Engagement zu einer gerechteren und friedlicheren Welt beitragen werden», eingeladen.
Alle Eingeladenen aber als Demokratien zu bezeichnen, wäre vermessen. Denn darunter waren gemäss Freedom House Länder, die nur als «teilweise frei» (31 Länder) oder «nicht frei» gelten (z.B. Angola, Irak und die Demokratische Republik Kongo). Die Carnegie Endowment sprach von «mehreren Staaten mit autoritären Merkmalen». Pikant: Auf dem Rechtsstaatlichkeitsindex 2021 rangiert das eingeladene Pakistan auf Platz 130 von 139, die nicht eingeladenen Türkei und Bangladesch aber weiter oben auf den Plätzen 117 und 124. Und auch der Democracy Index 2020 zeichnet ein ähnliches Bild.
Bei der Auswahl der Einladungen ging es offensichtlich weniger um demokratische Kriterien als darum, ob ein Staat im globalen Wettbewerb mit China und Russland auf der Seite der USA steht. Schliesslich – so ein US-Diplomat – sei es ein Weltgipfel für Demokratie, und nicht «für Demokratien» oder «von Demokratien».
China, die «demokratische Volksdiktatur»
82 UN-Mitgliedstaaten erhielten keine Einladung, darunter auch europäische Kleinstaaten wie Liechtenstein. Aussen vor blieben aber insbesondere China und Russland sowie Bangladesch, die NATO-Partner Türkei und Ungarn und die meisten Staaten des Nahen Ostens, Südostasiens, Nord- und Subsahara-Afrikas sowie Zentralasiens.
Dass die ausgeschlossenen Staaten nicht begeistert waren, lag auf Hand. China und Russland kritisierten den angekündigten Anlass als «heuchlerisch». Für Kuba war der Gipfel mit seiner «willkürlichen» Einladungsliste «eine Übung in Demagogie» und ein Ausdruck der Schwäche der USA. Eine Sprecherin des russischen Aussenministeriums bezeichnete ihn als «ein neues Spiel», um so viele Staaten wie möglich zu verpflichten, «für Washingtons Interessen zu arbeiten». Das sei traurig, führe es doch zu neuen Trennlinien und zeige, dass der rechtliche Rahmen durch obskure Regeln ersetzt werde. Russland störte sich zudem daran, dass sieben der 15 ehemaligen Sowjetrepubliken aus geopolitischen Überlegungen eingeladen worden waren (darunter Armenien, Georgien und die Ukraine).
Chinas Regierung kommentierte verärgert, mit dem Anlass würden ideologische Gräben wie im Kalten Krieg gefördert (Taiwan war eingeladen worden). Und sie publizierte umgehend und noch vor dem Gipfel ein Weissbuch «China: Democracy That Works» als Kontrapunkt zum Demokratieverständnis der USA, das nichts anders als eine «Massenvernichtungswaffe» sei. Die ideologische Verknüpfung von Demokratie und Diktatur im Weissbuch ist allerdings nicht vertrauenerweckend: «Das grundlegende Wesen des Staates wird durch die demokratische Volksdiktatur bestimmt. […] Demokratie und Diktatur scheinen ein Widerspruch in sich zu sein, aber zusammen sichern sie dem Volk den Status als Herrscher des Landes.»
Über Demokratie reden kostet nichts
Aus allen Weltteilen gab es vor und nach dem Gipfel kritische Einschätzungen politischer Think Tanks zu dessen Relevanz und Wirksamkeit. Expertinnen und Experten der Carnegie Endowment nahmen im Vorfeld des Gipfels Stellung: Zainab Usman etwa schrieb, der Erfolg des Gipfels für die 17 teilnehmenden Staaten aus Afrika werde entscheidend davon abhängen, ob damit die strukturellen wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Demokratie gestärkt und damit der materielle Wohlstand in Afrika erhöht würden. Aqil Shah verwies auf die generelle Skepsis gegenüber den USA in Südasien und betonte, der Erfolg des Gipfels hänge davon ab, ob auf Indien und künftig auch auf Bangladesch und Sri Lanka Druck ausgeübt werde, damit diese sich zur Einhaltung der Menschenrechte und zu demokratischen Reformen verpflichteten. Und Oliver Stuenkel meinte, der Gipfel sei eine Gelegenheit, dem demokratischen Rückschritt in vielen Ländern Lateinamerikas Einhalt zu gebieten. Für zu viele Menschen in Lateinamerika habe die Demokratie in den letzten Jahrzehnten versagt. Eine Debatte darüber, wie diese Mängel behoben werden können, sei ein Schritt in die richtige Richtung.
Direkt im Anschluss an den Gipfel veröffentlichte das Center for Strategic and International Studies verschiedene Kommentare seiner Fachleute. Gerade aus menschenrechtlicher Sicht, so der Tenor, müsse sich nun weisen, ob auf die hehren Worte der Teilnehmenden tatsächlich konkrete Massnahmen folgen und künftig mehr Stakeholder eingebunden würden. Denn, wie Foreign Affairs es formuliert, «democracy talk is cheap». Nur durch konkretes Handeln könne die Entwicklung hin zu illiberalen Demokratien zurückgedrängt werden. Und für Carnegie Europe müssten gerade die asiatischen und europäischen Demokratien enger zusammenarbeiten, um den mit dem Gipfel eingeschlagenen Demokratieprozess erfolgreich zu gestalten.
Ein Gipfel ist noch keine Agenda: Der Blick nach vorne
In den Augen der meisten Beobachterinnen und Beobachter war der Weltgipfel nicht der grosse Wurf. Von Anfang an auch als demokratisches Säbelrasseln gegen China und Russland gedacht, brachte er wohl den Schulterschluss Gleichgesinnter gegen autoritäre Regimes. Es gelang aber nicht, einen grossen Schritt hin zur weltweiten Demokratieförderung und Entspannung zu machen. Aber darum ging es kurzfristig wohl auch gar nicht. Ob sich der Gipfel langfristig als Motor oder aber als Spaltkeil für eine weltpolitische Demokratisierung entpuppen wird, wird die Zukunft weisen. Jedenfalls konnten sich die Teilnehmenden nicht auf einen konkreten Massnahmenkatalog einigen, obwohl die US-Administration dies ursprünglich so vorgesehen hatte. Darin hätten sich die Anwesenden zum Beispiel auf Schutzmassnahmen für die Zivilgesellschaft, auf Transparenz bei öffentlichen Ausschreibungen zur Korruptionsbekämpfung, oder auf eine ununterbrochene Nutzung des Internets verpflichten können.
Was blieb, war die freiwillige Verpflichtung für das im Anschluss des Gipfels anvisierte Aktionsjahr, in dem alle beteiligten Staaten Massnahmen ergreifen sollen, «um Demokratien reaktions- und widerstandsfähiger zu machen und eine breitere Gemeinschaft von Partnern aufzubauen, die sich für eine weltweite demokratische Erneuerung einsetzen». Am Folgegipfel in einem Jahr werde man, so die für den Gipfel Verantwortlichen, eine Bilanz der erzielten Fortschritte ziehen und einen gemeinsamen Weg für die Zukunft festlegen. Man darf gespannt sein.
Übrigens: Auch die Schweiz nahm mit Bundesrat Guy Parmelin am Gipfel teil. Aus Sicht des EDA hat die Schweiz in Sachen Demokratie viel zu bieten: Sie könne sich profilieren, sei es bezüglich der Menschenrechte, der Konfliktlösung, der Rechtsstaatlichkeit, dem Schutz von Minderheiten, der Dezentralisierung oder der lokalen Mitbestimmung. Zudem sei die «Förderung der Demokratie» ein aussenpolitischer Auftrag der Bundesverfassung (Art. 54.2) – dies aber in guter Tradition der Neutralität. Oder mit den Worten von Guy Parmelin in seinem Video-Statement: «Wir sind nicht gegen jemanden, sondern für die Demokratie.» So einfach kann die Welt sein.