Der kommende Machtwechsel im Weissen Haus schürt Hoffnungen auf einen Kurswechsel in allen politischen Belangen. Aus entwicklungspolitischer Sicht werden erste Schritte hin zu verstärkten internationalen Kooperationen möglich sein, zum Beispiel der umgehende Wiederbeitritt zum Pariser Klimaabkommen. Zuoberst auf der Agenda der Biden Regierung steht aber die Herkulesaufgabe einer nationalen Versöhnung vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie.
Ein Meister der Kunst, mit wenigen Worten viel zu sagen, ist Bob Woodward, der als investigativer Journalist mit dem Aufdecken der Watergate-Affäre weltweit Berühmtheit erlangte. Je vier Buchstaben reichten ihm, um den Zustand der USA während der Präsidentschaft von Donald J. Trump in zwei Büchern prägnant zu benennen: «Fear» (Furcht) und «Rage» (Wut), erschienen im September 2018 respektive 2020.
Wer aber nach der Abwahl von Trump hofft, die politische Lage in den USA werde sich wieder entspannen, dürfte enttäuscht werden. Denn die Regierung Trump war und ist nicht die Ursache, sondern die Folge von langjährigen Fehlentwicklungen und einer Polarisierung in Politik und Gesellschaft. Die Parteizugehörigkeit definiert die kollektive Identität zweier sich permanent bekämpfender Lager. Politische Kompromisse und Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg gelten vielen als Verrat; moderate Stimmen werden gezielt ausgegrenzt. Bei Machtwechseln werden Amtshandlungen der Vorgänger so schnell wie möglich rückgängig gemacht.
Trumps Einfluss auf die Internationale Zusammenarbeit
Entwicklungspolitische Anliegen hatten in der Ära Trump einen schweren Stand, und die Entwicklungszusammenarbeit gehörte sicher nicht zu seinen bevorzugten Politikbereichen. Mehrfach versuchte die Administration Trump, das Budget der staatlichen Entwicklungsagentur USAID (United States Agency for International Development) drastisch um mindestens einen Drittel zu kürzen. Dass dies nicht gelang, hat zwei Gründe: Einerseits geniesst die internationale Hilfe generell in beiden Parteien grosse Unterstützung. Dabei setzen sich Republikaner eher für karitative Grundversorgung (Wasser, Nahrungshilfe, Kinderimpfungen) ein, während Demokraten in erster Linie auf Umwelt, Klimaschutz und internationale Kooperationen setzen. Andererseits war das Augenmerk der Regierung Trumps auf andere Themen gerichtet, etwa auf die Einwanderungspolitik.
Diese fehlende Aufmerksamkeit erlaubte es USAID-Direktor Mark Green, eine notwendige und breit gestützte Reform der USAID umzusetzen. Im Zentrum steht dabei der Ansatz The Journey to Self-Reliance, «die Reise in die Selbstständigkeit»: Ziel der internationalen Zusammenarbeit der USA ist neu, die Abhängigkeit von der Hilfe schrittweise und langfristig zu beenden. USAID schreibt dazu: «Dieser Ansatz fördert stabile, widerstandsfähige und wohlhabende Länder, die mehr auf sich selbst gestellt sind, und räumt dauerhaften Partnerschaften Vorrang ein. Er ist gut für unsere Partnerländer weltweit, für die nationale Sicherheit der USA und für den amerikanischen Steuerzahler.» Zur Reform gehört auch die Initiative für Neue Partnerschaften, mit der USAID verstärkt lokale Organisationen fördern und neue Projekte gemeinsam planen will.
Von Bedeutung ist die 2018 durch die Trump Administration geschaffene Entwicklungsbank, als Fusion der Overseas Private Investment Corporation und der USAID-Behörde für Entwicklungskredite: Die U.S. International Development Finance Corporation (DFC) arbeitet spezifisch mit dem Privatsektor zusammen, um Lösungen für Eigenkapitalfinanzierung, Fremdfinanzierung und Versicherung politischer Risiken in Entwicklungsländern anzubieten. Sie investiert in Sektoren wie Energie, Gesundheitswesen, Infrastrukturen und Technologie. Die DFC stellt auch Finanzierungen für Kleinunternehmen und Kleinunternehmerinnen zur Verfügung, um Arbeitsplätze in Schwellenländern zu schaffen. Sie kann als Versuch gewertet werden, dem wachsenden Entwicklungsprogramm Chinas und der Gründung der Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) von 2016 etwas entgegenzusetzen. Gleichzeitig steht die DFC aber auch in gewissem Masse in Konkurrenz zur US-Finanzierung der Bretton Woods Institutionen (Weltbankgruppe und Internationaler Währungsfonds).
Bidens grosse Baustellen
Nun werden der neu gewählte Präsident Joseph R. Biden Jr. und Vizepräsidentin Kamala Harris am 20. Januar 2021 ein hoch verschuldetes (21 Billionen US-Dollar oder 102% des Bruttoinlandprodukts) und stärker denn je gespaltenes Land übernehmen, das angesichts der rasch steigenden Corona-Infektionszahlen in diesem Winter auf eine Katastrophe zusteuert. Zudem zweifeln viele, dass Trump in den Ruhestand weit ab der Kameras geht, wie dies seine Vorgänger Obama und Bush taten. Es ist vielmehr zu befürchten, dass er weiterhin seine militante Basis anstacheln und die mediale Öffentlichkeit suchen wird. Vorher aber kommt die «Lame-Duck»-Phase zwischen der Wahl vom 3. November und der Amtsübergabe am 20. Januar. Diese 78 Tage werden für die nähere Zukunft der US-amerikanischen Demokratie entscheidend sein. Das neu gewählte Team ist wahrlich nicht um seinen neuen Job zu beneiden.
Die nationale und die globale Kontrolle und Eindämmung der Corona-Pandemie wird für die Regierung Biden/Harris prioritär sein und deshalb auch die internationale Zusammenarbeit der nächsten Jahre prägen. Die USA sind der grösste internationale Geldgeber im Gesundheitswesen und dürften deshalb Corona-Impfprogrammen auch in der Auslandshilfe grosse Priorität einräumen. Ausserdem ist zu erwarten, dass sich die USA rasch wieder internationalen Organisationen und Programmen anschliesst, wie z.B. der WHO und dem Pariser Klimaabkommen, das Trump auf den Wahltag gekündigt hatte. Dafür müssen die USA zunächst das Vertrauen und ihren Ruf als verlässliche Partnerin wiederaufbauen. Sie werden nicht einfach dort wieder einsteigen können, wo sie am Ende der Ära Obama waren, da ihr Ansehen und Einfluss weltweit massiv angeschlagen sind.
Perspektiven für die Entwicklungspolitik
Angesichts der grossen Herausforderungen und erhöhten Bedürfnisse im eigenen Land sowie der geschwächten Finanzlage wird auch eine Biden/Harris-Regierung in Sachen Entwicklungspolitik für die ärmsten Länder Afrikas und Lateinamerikas kurzfristig kaum grosse Zeichen setzen können. Die Entwicklungszusammenarbeit der USA war schon immer Bestandteil ihrer nationalen Sicherheitsstrategie. Das heisst, dass sie in ihrer geographischen Ausrichtung der aussenpolitischen Strategie untergeordnet wird. Die neue Regierung wird den Einfluss Russlands in internationalen Konflikten in den Fokus nehmen und die harte Politik gegen China fortschreiben.
In internen Kreisen wird gemunkelt, das Team Biden plane schon für 2021 eine grosse internationale Konferenz zum besseren Verständnis und zur Stärkung der Demokratie. Dies wird vielleicht die wichtigste Aufgabe des neuen US-Präsidenten und der neuen Vizepräsidentin sein: Die Rolle der USA in Sachen Menschenrechte, religiöser Toleranz, Bekämpfung von Rassismus, Einstellung der Öffentlichkeit zur Wissenschaft und einem respektvollen Umgang mit Andersdenkenden wieder aufzubauen.
Doch gibt es trotz all dieser gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen keinen Grund, anmassend oder gar hämisch auf die USA zu blicken. Gemäss dem World Giving Index gehören die USA zu den hilfsbereitesten und wohltätigsten Ländern weltweit. In der jährlichen weltweiten Umfrage werden Menschen gefragt, ob sie im vergangenen Monat einem Fremden geholfen oder Geld oder Zeit für wohltätige Zwecke gespendet haben. Im Zehnjahresrückblick von 2019, der die Antworten der vergangenen zehn Jahre zusammenfasst, belegen die USA Platz 1 der grosszügigsten Länder der Welt – vor Myanmar und Neuseeland. Das Jahr 2020 ist eine Lektion in Demut und Bescheidenheit für uns alle.