Im Streit um die Konzernverantwortungsinitiative (KVI), die am 29. November zur Abstimmung kommt, wird mit harten Bandagen gekämpft. Um von den eigentlichen Anliegen der Initiative – Menschenrechte und Umweltschutz – abzulenken, unterstellen die Gegner den Organisationen, die die KVI unterstützen, Wirtschaftsfeindlichkeit und Naivität hinsichtlich der Realitäten und Entwicklungen im Globalen Süden. Das ist Unfug.
Es ist eine Tatsache, dass zahlreiche Schweizer Unternehmerinnen und Unternehmer die Initiative unterstützen. Sie wissen, dass eine Sorgfaltsprüfung betreffend Menschenrechte und Umwelt machbar ist, denn sie tun es längst, und für ein Unternehmen eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Ihnen ist es nicht gleichgültig, wenn Menschen in armen Ländern die Zeche für das Geschäftsgebaren einzelner Konzerne zahlen müssen.
Neben ihnen stehen ebenfalls in der ersten Reihe der Befürworter die Schweizer Entwicklungsorganisationen. Sie kennen die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse und Herausforderungen in Afrika, Asien und Lateinamerika und wissen um die Bedeutung der KVI-Anliegen für die dortige Bevölkerung. So engagiert sich auch Helvetas mit Überzeugung für die Initiative – und arbeitet gleichzeitig seit langem eng und erfolgreich mit privaten Unternehmen zusammen. Zwei Gründe, warum das kein Widerspruch ist.
Erstens: Verantwortungsvolle Unternehmen schaffen Mehrwert
Die grosse Bedeutung des privatwirtschaftlichen Engagements für Entwicklungsländer ist unumstritten. Lokale und international tätige Unternehmen schaffen mit ihren Investitionen Einkommen und Arbeitsplätze, bringen innovative Ansätze ein und tragen zur sozialen Sicherheit bei – vorausgesetzt, sie respektieren grundlegende Standards hinsichtlich Umwelt und Menschenrechte. Meist ist dies auch der Fall, aber nicht immer. Leider foutieren sich immer noch zahlreiche multinationale Konzerne fernab vom Hauptsitz in den Entwicklungsländern um solche Standards und verursachen dabei oft verheerende Kollateralschäden.
So entziehen beispielweise lokale Behörden ländlichen Gemeinden quasi über Nacht ihre Landrechte, um diese (nicht ohne entsprechendes Entgelt) an einen Bergbaukonzern oder – wie im Fall von Mozambik – an einen Energiekonzern zu überschreiben. Gefragt werden die Betroffenen nicht, allzu oft nicht einmal von den Behörden oder vom Investor vorgängig informiert, oder es werden ihnen Kompensationszahlungen versprochen, die dann kaum je eintreffen. Sie werden vertrieben, denn der Rechtsweg, um sich gegen so massive Verletzungen grundlegender Rechte zu wehren, ist für die Betroffenen meist aussichtlos: Die Regierung verdient an der Konzession mit, und eine unabhängige Justiz existiert vielerorts nicht.
Dort aber, wo Unternehmen und Regierungen Menschenrechts- und Umweltstandards respektieren, trägt der Privatsektor wesentlich zu einer nachhaltigen Entwicklung bei. Genau darum arbeiten Entwicklungsorganisationen seit Jahren mit privaten Unternehmen zusammen, mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) vor Ort ebenso wie mit international tätigen Unternehmen aus der Schweiz. Dank solcher Kooperationen liefern indische Kleinbauern ihren Bio-Reis heute zu einem fairen Preis an Schweizer Grossverteiler oder hat Helvetas zusammen mit lokalen KMU in Äthiopien ein Berufsbildungssystem nach Schweizer Vorbild aufgebaut, das jungen Menschen eine Ausbildung ermöglicht, sie zu gefragten Berufsleuten macht und ihnen die Grundlage für eine gesicherte Zukunft gibt. Solche Projekte fussen auf verbindlichen Regeln, die für alle Beteiligten gelten.
Zweitens: Die KVI bringt die Agenda 2030 voran
Die UN-Agenda 2030 gilt als weltumspannender Referenzrahmen für eine zukunftsfähige und nachhaltige Entwicklung. Auch die Schweiz orientiert sich an den 17 «Zielen für nachhaltige Entwicklung» der Agenda (SDGs). Die Anliegen der KVI spiegeln sich in zahlreichen SDGs, zum Beispiel hinsichtlich Beseitigung von Armut und Hunger, menschenwürdiger Arbeit, sauberem Wasser, Klimaschutz, nachhaltiger Produktion und nachhaltigem Konsum oder Gerechtigkeit und Geschlechtergleichheit.
Die Agenda 2030 weist Regierungen, Privatsektor und Zivilgesellschaft mit der Maxime, «niemanden zurückzulassen», den Weg hin zu mehr Gerechtigkeit und Prosperität. Dabei hat gerade die Privatwirtschaft eine tragende Rolle. Denn ohne deren Beitrag sind die grossen, von den SDGs identifizierten Herausforderungen nicht zu meistern. Hier verfügt die Schweiz mit ihren vielen innovativen, weltweit tätigen Unternehmen über ein enormes Potential. Um aber dieses Potential wirkungsvoll auszuschöpfen, braucht es verbindliche Regeln, wie sie die KVI vorsieht.
Sorgfaltspflicht muss selbstverständlich sein
Die Konzernverantwortungsinitiative wird jenen Unternehmen gerecht, die ihr Geschäftsmodell unter Einhaltung der international anerkannten Menschenrechte und Umweltstandards ausgestalten und dafür sorgen, dass diese auch von ihren Tochtergesellschaften und den von ihnen mittels wirtschaftlicher Machtausübung kontrollierten Unternehmen respektiert werden.
Gleichzeitig verpflichtet die KVI insbesondere auch jene Unternehmen, für die das nicht schon gilt, zu einer wirksamen Sorgfaltsprüfung von sämtlichen Geschäftsbeziehungen. Das bedeutet – in vier Schritten –, tatsächliche und potenzielle Auswirkungen auf die Standards zu ermitteln, geeignete Massnahmen zu ergreifen, damit Menschenrechte und Umweltvorgaben künftig nicht (mehr) verletzt werden, bestehende Verletzungen zu beenden und Rechenschaft über ergriffene Massnahmen abzulegen. Dabei soll denjenigen KMU, die geringe derartige Risiken aufweisen, eine vereinfachte Prüfung ermöglicht werden.
Damit steht die KVI international keineswegs allein da. Seit 2014 drängen zahlreiche, insbesondere afrikanische Entwicklungsländer auf UNO-Ebene auf einen Vertrag, der transnationale Unternehmen rechtlich verbindlich auf die Einhaltung der Menschenrechte verpflichten soll. Doch die meisten reichen Länder einschliesslich der Schweiz haben das Anliegen bisher erfolgreich blockiert. Allerdings haben Länder wie Frankreich, die Niederlande oder Grossbritannien mittlerweile Gesetze mit dieser Stossrichtung erarbeitet, Deutschland ist auf dem Weg dazu, und die EU bereitet ein entsprechendes Gesetz vor, inklusive Haftungsmechanismus. Und vor wenigen Tagen erst hat der europäische Markenverband AIM, der 2500 Unternehmen vertritt (darunter auch Unternehmen aus der Schweiz wie Nestlé und Lindt & Sprüngli), das EU-Vorhaben begrüsst und sich für umfassende Sorgfaltspflichten entlang der ganzen Wertschöpfungskette und eine Haftungsklausel ausgesprochen. Warum sich AIM-Mitglieder in der Schweiz dagegen sträuben, bleibt ihr Geheimnis.
Ein Letztes: Auch die Entwicklungszusammenarbeit kann ihre Wirkung nur entfalten, wenn die Rahmenbedingungen internationalen Normen genügen und für alle gelten. So selbstverständlich es erscheinen mag, Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten, die Realität in den Entwicklungsländern ist eine andere. Daher ist ein Erfolg der KVI an der Urne am 29. November auch für die Projekte von Entwicklungsorganisationen von entscheidender Bedeutung.