Wir leben in einer Welt der Extreme und der Gegensätze: Steigende Militärausgaben und immer mehr Geflüchtete, wachsender Flugverkehr und dramatische Rückgänge bei den Gletschern, immer mehr Luxus bei zunehmender Armut. Gewinnsteigerungen in der Ernährungsbranche und wachsender Hunger. Die Dimensionen sind ungeheuerlich, die Fakten sprechen für sich.
Im April verkündete das internationale Friedensforschungsinstitut SIPRI, dass die weltweiten Militärausgaben im Jahr 2022 um 3,7 Prozent gestiegen sind. Damit erreichten die Investitionen in Rüstungsgüter ein «Rekordhoch» von 2,24 Billionen Dollar, also 2’240’000’000’000 US-Dollar. Den stärksten Anstieg der Ausgaben – wenig erstaunlich, aufgrund der russischen Aggression und des Kriegs in der Ukraine – verzeichnete Europa mit 13 Prozent. Viele ehemalige Ostblockstaaten haben ihre Investitionen in Rüstungsgüter seit 2014, als Russland in der Krim einmarschierte, mehr als verdoppelt.
Auch die Schweiz entzieht sich dem internationalen Trend nicht. So beschloss das Parlament im vergangenen Jahr eine deutliche Aufstockung der Militärausgaben auf sieben Milliarden Franken pro Jahr. Um die Verteidigungsfähigkeit der Schweiz zu stärken, fordert die Armeespitze bis 2031 Investitionen von gegen 13 Milliarden Franken, z.B. für neue Panzer und neue Raketen. Werden spätere Investitionen und die Kosten für den Unterhalt berücksichtigt, dürften die Ausgaben auf rund 100 Milliarden Franken steigen. Dies wäre vergleichbar mit dem «Sondervermögen», das das deutsche Parlament im letzten Sommer für die Aufrüstung der Bundeswehr gesprochen hatte.
Nicht nur die Ausgaben für militärische Güter steigen. Auch die Zahl der Menschen, die aufgrund von Verfolgung, Konflikten, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen aus ihrer Heimat vertrieben werden, nimmt unaufhörlich zu. Laut UNHCR waren Ende 2022 weltweit 108,4 Millionen Menschen zwangsweise woanders, als sie leben möchten – ein Anstieg um 19 Millionen Menschen im Vergleich zum Vorjahr. Rund 60 Prozent dieser Menschen halten sich in einer anderen Region im eigenen Land auf und sind sogenannt intern Vertriebene. Die Zahl der über Grenzen hinweg geflüchteten Menschen stieg bis Ende 2022 von 27 auf über 35 Millionen Frauen, Männer und Kinder. Hauptursächlich dafür ist der Krieg in der Ukraine.
Immer mehr Flugverkehr – rascher Gletscherrückgang
Im vergangenen Jahr hat der weltgrösste Flugzeughersteller Airbus 661 Flugzeuge ausgeliefert – ein Plus von acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die US-amerikanische Boeing konnte «nur» 480 neue Flugzeuge verkaufen. In den kommenden 20 Jahren rechnen die beiden Flugzeugbauer mit einer Verdopplung der weltweiten Flugzeugflotte. So dürften 2042 rund um den Globus knapp 50'000 Maschinen im Einsatz sein. Rund jede zweite Maschine dürfte dabei ein älteres Modell ersetzen. Die übrigen dienten dazu, die Kapazität zu erweitern und die weltweit steigende Nachfrage nach Reisen zu stillen. Die Bestellbücher sind voll: Mitte Februar hat Air India knapp 500 Flugzeuge bei Airbus und Boeing bestellt. Im Juni hat Turkish Airlines verlauten lassen, dass die Fluggesellschaft wachsen wolle und man eine Bestellung von 600 Flugzeugen plane.
Der weltweite Flugverkehr boomt und wächst jedes Jahr um vier bis fünf Prozent. Die Swiss schrieb im ersten Halbjahr 2023 eines der stärksten Ergebnisse in ihrer Geschichte. Für die Fluggesellschaft ist damit klar: Die Baisse aufgrund der Corona-Pandemie ist überwunden. Weltweit ist die Aviatik für fünf Prozent der globalen Erwärmung verantwortlich. In der Schweiz tragen der nationale und internationale Luftverkehr gemäss Zahlen des Bafu sogar 27 Prozent zum Klimaeffekt bei. Übrigens, in der Schweiz fliegen laut dem Bundesamt für Statistik (BfS) wohlhabende Menschen fünfmal häufiger als Menschen aus Haushalten der tiefsten Einkommensklasse.
Mit der Erderwärmung mehren sich nicht nur Wetterextreme, sondern auch die Gletscher schmelzen. Dabei sind Gletscher eine zentrale Wasserressource für fast zwei Milliarden Menschen weltweit. Bis Ende des Jahrhunderts könnten laut einer Studie zwei Drittel aller Gletscher der Welt verschwinden. Würde es der Menschheit gelingen, die Erderwärmung auf das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu begrenzen, würde «nur» ein Viertel der Gesamtmasse und damit «lediglich» die Hälfte der Gletscher komplett abschmelzen. Für die Schweizer Gletscher war 2022 gemäss Akademie der Naturwissenschaften (scnat) ein verheerendes Jahr. Mit sehr wenig Schnee im Winter und Hitzewellen im Sommer seien sämtliche Rekorde der Eisschmelze pulverisiert worden. Die Gletscherschmelze führt vermehrt zu Überschwemmungen, Murgängen und Erdrutschen. Ausserdem verliert die Schweiz mit dem Verschwinden der Gletscher ein wichtiges Süsswasser-Reservoir – mit negativen Folgen für die Landwirtschaft, die Wasserkraft und die Schiffbarkeit grosser Flüsse in Europa.
Immer mehr Luxus – immer mehr Armut
Im Februar 2022 titelte das Manager Magazin: «Hochvermögende kaufen Superjachten wie im Rausch». Tatsächlich hatten Superreiche im Corona-Jahr 2021 die Verkäufe von Luxusjachten um satte 77 Prozent vorangetrieben. Die Niedrigzinspolitik und boomende Börsen hätten die reichsten Menschen der Welt mit Geld überschüttet. Und dieses würden sie nun in Statussymbolen anlegen. 2021 seien 887 Luxusjachten verkauft worden. Und der Trend dürfte anhalten: Gemäss Prognose einer Consulting-Firma wird sich das Marktvolumen von Superjachten von 6,6 Milliarden 2019 auf 14,6 Milliarden US-Dollar bis 2030 verdoppeln. Übrigens, die 300 grössten Jachten der Welt emittieren in einem Jahr mehr Treibhausgase als alle Menschen in Burundi zusammen.
Luxusautos erfreuen sich ebenfalls grosser Beliebtheit: Ferrari lieferte 2021 rund 11'000 Autos aus – ein Plus von 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit erhöhte der Autobauer seinen Gewinn um 37 Prozent – 2023 soll der Rekordgewinn noch einmal übertroffen werden. Auch bei Lamborghini läuft es rund. Das Unternehmen, das zu Audi gehört, steigerte 2022 den Umsatz ebenfalls um 22 Prozent und den Gewinn um satte 56 Prozent. Nebst Luxuskarossen werden klimaschädliche Privatflugzeuge immer beliebter. So prognostiziert Global Jet Capital zwischen 2021 und 2025 ein Transaktionsvolumen von 162 Milliarden US-Dollar für Privatjets. Die durchschnittliche jährlich Wachstumsrate soll in dieser Zeitspanne 7,4 Prozent betragen. Laut einem Bericht von Transport & Environment sind allein in Europa die CO2-Emissionen von Privatjets zwischen 2005 und 2019 um 31 Prozent, und damit noch schneller als jene der kommerziellen Luftfahrt, angestiegen. Privatjets, so der Bericht, belasten die Umwelt bis zu 14-mal stärker als kommerzielle Flüge (pro Passagier) und 50-mal stärker als Züge.
Während die einen im Luxus leben, sorgte die Corona-Pandemie für den grössten Rückschlag in der weltweiten Armutsbekämpfung seit 1990. Der russische Angriffskrieg verschlimmert die Lage zusätzlich. Während die Armut steigt, wird der Wohlstand immer weniger geteilt. Das globale Ziel, die «extreme Armut» bis 2030 zu beenden, rückt laut der Weltbank in weite Ferne. Bei den derzeitigen Trends werden 2030 immer noch 574 Millionen Menschen - fast 7 Prozent der Weltbevölkerung – mit weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag leben. Auch in der wohlhabenden Schweiz profitieren längst nicht alle vom hohen Lebensstandard: Jede zwölfte Person ist arm, jede sechste armutsgefährdet. Damit steht die Schweiz im internationalen Vergleich nicht besonders gut da. Gemäss Caritas Schweiz sind die Probleme unter anderem die zu teure familienergänzende Kinderbetreuung, fehlende Chancengleichheit im Bildungssystem und Sparmassnahmen bei der sozialen Sicherheit.
Immer höhere Gewinne – immer mehr Hunger
Oxfam hat die Geschäftszahlen von 95 Konzernen der Lebensmittel- und der Energiebranche ausgewertet und herausgefunden, dass deren Profite 2022 (im Vergleich zum Mittelwert der Jahre 2018-2021) um mehr als 250 Prozent angestiegen sind. Die unglaublich hohen Gewinne stehen im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg und den weltweit gestiegenen Nahrungs- und Energiepreisen, aber auch mit ungerechtfertigten Preiserhöhungen durch die Konzerne. Die gesamten Gewinne beliefen sich auf 306 Milliarden US-Dollar – 84 Prozent davon schütteten die Konzerne an ihre Aktionär:innen aus.
Während die einen profitieren und reicher werden, leiden die anderen: Wirtschaftliche Schocks und steigende Preise für Nahrungsmittel und Dünger im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg sowie Klimaextreme und Konflikte haben zu einer beispiellosen Nahrungsmittelkrise geführt: Knapp 800 Millionen Menschen wissen nicht, woher ihre nächste Mahlzeit kommen soll. Das Ausmass von Hunger und Unterernährung ist enorm. Nach Schätzungen des UNO-Welternährungsprogramms WFP leiden 2023 mehr als 345 Millionen Menschen an grosser Ernährungsunsicherheit. Das sind mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2020 vor der Covid-19-Pandemie.