Angesichts der drohenden Klimaeskalation hängt die künftige Lebensqualität weltweit davon ab, wie schnell und umfassend wir uns von fossilen Energien verabschieden. Ungeachtet aller Versprechen, seine Wirtschaftspolitik in eine zukunftsfähige, klimaverträgliche Richtung zu lenken, investiert der Westen gerade massiv in fossile Energien in Afrika. Die Zivilgesellschaft fordert ein Ende dieser Praxis, denn alternative Modelle stehen längst bereit.
Über siebzig Erdöl- und Erdgasprojekte sollen bis 2025 in den Ländern südlich der Sahara in Betrieb genommen werden: Im April 2022 verkündeten z.B. der Energiekonzern Total und die beteiligten Länder den Start für die East African Crude Oil Pipeline (EACOP), die in vier Jahren Öl aus Uganda über 1445 km quer durch Tansania an die Küste bringen soll. Umweltschützer warnen unter anderem vor der Verschmutzung des Albertsees, unter dem das Öl lagert. Berechnungen zufolge dürfte die Ölförderung pro Jahr zu mehr CO2-Emissionen führen als die bisherigen jährlichen Gesamtemissionen von Uganda und Tansania zusammengezählt. Ugandas Präsident und Total versprechen dafür wirtschaftlichen Aufschwung. Bereits zeigt sich allerdings, dass hinter den ugandischen Firmen oft internationale Konsortien stehen, die die Gewinne abschöpfen werden. Und während vor Ort schlecht bezahlte Jobs entstehen, besetzen ausländische Arbeitskräfte die lukrativen Management-Positionen.
Nach zehnjähriger Verzögerung wird erwartet, dass auch das Bonga-Nord-Projekt von Shell in Nigeria noch dieses Jahr in Betrieb genommen wird. Voraussichtlich im nächsten Jahr wird das 10-Milliarden-Dollar-Mammutprojekt Bonga South West Aparo folgen. Mit den Projekten gewinnt Nigeria seine Position als grösster Ölproduzent Afrikas zurück. Gleichzeitig wird sich die Rohstoff-Produktion in Ghana voraussichtlich noch in diesem Jahr mehr als verdoppeln: Neue Felder werden in Betrieb genommen, darunter auch die jüngsten Entdeckungen im Deepwater Tano Cape Three Points-Block, der von Aker Energy, einem norwegischen Konzern, betrieben wird. Dieses sogenannte Pecan-Feld, befindet sich in sehr tiefen Gewässern, 115 km vor der Küste Ghanas, und hat eine voraussichtliche Lebensdauer von 25 Jahren.
In Namibia setzt die Regierung seit einiger Zeit stark auf grünen Wasserstoff, z.B. für den Export nach Deutschland. Da Shell und Total immense Öl- und Gasvorkommen inmitten von Naturschutzgebieten wie dem Kavango-Becken vermuten, will das Land aber gleichzeitig auch die fossile Rohstoffförderung vorantreiben. Während der zivile Widerstand mit Kampagnen, Petitionen und Demonstrationen gegen die Rohstoffausbeutung wächst, nehmen auch Einschüchterungen und Repression durch die Regierung zu.
Spätestens 2024 soll ausserdem in Senegal zum ersten Mal Öl aus dem Sangomar-Offshore-Projekt gefördert werden. Das 4,6-Milliarden-Dollar-Projekt wird vom globalen Rohstoffkonzern Woodside Energy gemeinsam mit der staatlichen Ölgesellschaft Petrosen geleitet. Die Regierung erhofft sich mit dem Ölexport einen Schub für die nationale Industrialisierung. Zusätzliches Wirtschaftswachstum verspricht man sich durch eine Kooperation mit Deutschland zur Förderung und Verschiffung von Gas nach Europa. Noch in diesem Jahr soll ein schwimmendes LNG-Terminal vor der Küste entstehen, das vom internationalen Öl- und Gaskonzern BP betrieben wird. Mit dem Projekt, das zunächst auf 20 Jahre angelegt ist, will Deutschland seine befürchtete Gasknappheit aufgrund des Importstopps aus Russland auffangen.
Subventionen als Eldorado
Die Investitionen für Öl- und Gasexploration in Afrika sind von 3,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 auf 5,1 Milliarden im Jahr 2022 gestiegen. Das ist fatal. Denn jeder Franken, der nicht in erneuerbare Technologien, sondern für die Erschliessung von Öl- und Gasvorkommen ausgegeben wird, steht im Widerspruch zur globalen Roadmap «Net Zero by 2050» der Internationalen Energieagentur (IEA) zur Einhaltung des «Pariser» 1,5 Grad-Pfades.
Eine aktuelle Studie von führenden Klimaforschern zeigt, dass die Erderwärmung rasch zunimmt: Schon ab Mitte der 2030er Jahre könnten die Temperaturen dauerhaft 1,5 Grad höher liegen als vor der Industrialisierung. Vor kurzem hat der Weltklimarat deutlich wie nie zuvor gewarnt und drastische Massnahmen gefordert, um den weltweiten CO2-Ausstoss zu verringern.
Wie also sind solche Projekte in Afrika möglich? Ein wichtiger Grund sind die weltweiten Subventionen für Öl, Gas und Kohle, mit denen die Regierungen fossile Energien künstlich verbilligen. Sie haben mit mehr als einer Billion US-Dollar den mit Abstand höchsten Wert erreicht, den wir je gesehen haben – und sind fünfmal so hoch wie noch im Jahr 2020. Der IWF geht gar von noch viel höheren (indirekten) Subventionen aus. Er warnt, dass diese zu hohen Umwelt- und Gesundheitskosten für die Allgemeinheit führen und die dringend notwendige nachhaltige Transformation verzögern. Besser als Subventionen für schädliche Energieträger wirkten gezielte sozialpolitische Unterstützungsleistungen für ärmere Menschen, die gegenwärtig besonders unter den hohen Energiekosten und der Inflation leiden.
Hinzu kommen offene Türen: An der vergangen Klimakonferenz in Ägypten sprachen sich die Afrikanische Union (AU) und afrikanische Regierungsvertreter für Investitionen in Öl und Gas aus. Die Regierungen argumentieren zwar richtig, dass der Kontinent weniger als drei Prozent aller globalen Treibhausgasemissionen verursache und Afrikas Verantwortung daher verschwindend gering sei. Man wolle jetzt die wirtschaftlichen Chancen nutzen und sich später um die Klimaveränderung kümmern. Zwar beteuerten die Regierungen gleichzeitig, erneuerbare Energien auszubauen. Kurz- und mittelfristig würden aber fossile Brennstoffe eine entscheidende Rolle spielen, um die eigene Entwicklung voranzutreiben, aber vor allen Dingen auch um den europäischen Hunger nach nicht-russischen Rohstoffen zu stillen. Nicht überraschend unterstützen viele europäische Unternehmen und Regierungschefs Afrikas Ausbaupläne im Öl- und Gassektor – und treiben dadurch Afrikas Fossil-Bonanza massgeblich voran.
Der Westen steht in der Verantwortung
Die Vorhaben in Afrika werden auch kritisiert: Eine Allianz aus internationalen und afrikanischen NGOs veröffentlichte an der Klimakonferenz in Ägypten den Bericht «Who is financing fossil fuel expansion in Africa?». Der Bericht zeigt auf, wie 200 Unternehmen in 48 der 55 afrikanischen Länder nach fossilen Ressourcen suchen, diese erschliessen oder Flüssigerdgas (LNG)-Terminals und Pipelines entwickeln. Internationale Investoren hielten Aktien und Anleihen im Wert von über 109 Milliarden US-Dollar an Unternehmen, die den Ausbau fossiler Brennstoffe in Afrika vorantreiben. Zu den Investoren zählen gemäss Bericht Banken wie Citigroup, JP Morgan Chase, BNP Paribas, Deutsche Bank oder die UBS sowie Investmentfirmen wie Blackrock und Vanguard.
Angesichts der Millionen von Menschen in Afrika, die immer verheerendere Dürren und Wirbelstürme erleben, ist die Öl- und Gasförderung gemäss der Allianz kurzsichtig und rücksichtslos. Jetzt mit Blick auf den Gashunger und die Energiekrise in Europa neue Vorkommen in Afrika zu erschliessen und teure Gasinfrastruktur zu bauen, nütze nur wenigen. Vielmehr würden sie die Abhängigkeit von fossiler Energie zementieren und den Weg in Richtung einer nachhaltigen und gerechten Zukunft über Jahre hinaus verzögern – sowohl in Afrika als auch in den importierenden Ländern.
Die Entwicklung zeigt, dass es die Länder Europas über Jahre versäumt haben, die erneuerbaren Energien zu fördern. So droht Afrika immer mehr, zur «Tankstelle» Europas zu werden. Hinzu kommt, dass die Wissenschaft längst belegt, dass «grüne» Investitionen in erneuerbare Energien und nachhaltige Technologien die Energiesicherheit erhöhen und sich auch wirtschaftlich auszahlen. Nicht nur bremsen sie die Klimaveränderung. Die Förderung von Wind- und Solarenergie sorgt auch für mehr und gute Arbeitsplätze.
Zum Abschluss der Bonner Zwischenverhandlungen am 15. Juni 2023 für den nächsten Weltklimagipfel in Dubai riefen Bewegungen für Klimagerechtigkeit aus allen Bereichen unter dem Hashtag «#EndFossilFuels» zu einer globalen Mobilisierung am 15. September auf – so auch in der Schweiz. Während die Staats- und Regierungschefs bei UN-Klimagesprächen in New York zusammenkommen, werden wohl Millionen von Menschen in allen Teilen der Welt auf die Strasse gehen, um ein schnelles, gerechtes und faires Ende von Kohle, Öl und Gas zu fordern. Dieselbe Forderung steht auch im Zentrum der nationalen Klimademo am 30. September in Bern.