Erneuerbare Energien brauchen Rohstoffe. Weil die Nachfrage stetig wächst, gibt es immer mehr Pläne, Kupfer, Kobalt und seltene Erden in den Meeresböden auszubeuten. Doch die zuständige UNO-Behörde hat die Regulierung des Tiefsee-Bergbaus vorerst auf Eis gelegt – dank einer Moratoriums-Forderung verschiedener Staaten, darunter der Schweiz. Die Diskussionen rund um die Ausbeutung der Tiefsee sind damit aber lediglich aufgeschoben.
Der weltweite Umstieg auf erneuerbare Energien verlangt nach kritischen Rohstoffen. Die meisten Abbaugebiete befinden sich im globalen Süden und ermöglichen den Ländern wirtschaftliche Chancen. In den meisten Fällen profitieren allerdings nicht die Menschen in diesen Gebieten, sondern weltweit tätige Konzerne. Umweltverschmutzung, Kinderarbeit, Landraub und Zwangsumsiedlungen werden unter Verweis auf Klimaschutz und die Notwendigkeit einer grün-technologischen Energiepolitik geflissentlich unter den Teppich gekehrt.
Doch der Hunger nach Rohstoffen für Batterien und Smartphones, für Windturbinen und Solarzellen wächst derart, dass deren Abbau in der Tiefsee vorangetrieben werden soll. Bereits haben einige Länder und Unternehmen bei der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) Genehmigungen beantragt, um den Meeresboden zu erkunden. Die UNO-Agentur mit Sitz in Jamaika ist zuständig für die Hohe See, den Ozeangrund ausserhalb der ausschliesslichen Wirtschaftszonen von Küsten- und Inselstaaten.
Trotz jahrelanger Forschung ist wenig über die Tiefsee bekannt. Was wir wissen: Sie ist der grösste belebte Raum unseres Planeten. Zehntausende von Arten wurden gefunden, und man schätzt, dass es noch Millionen weitere geben könnte. Allein in der Clarion-Clipperton-Zone vor der südamerikanischen Pazifikküste, die für den Tiefsee-Bergbau von besonderem Interesse ist, wurden kürzlich über 5000 Arten entdeckt. Die Ozeane bedecken drei Viertel der Erdoberfläche und bieten Nahrung für mehr als drei Milliarden Menschen.
Rohstofflager Tiefsee: Wenige Vorteile, viele Risiken
Vom kommerziellen Tiefsee-Bergbau ist man noch weit entfernt. In kleinem Umfang wird aber bereits «erkundet» – im Hinterkopf die Hoffnung, in naher Zukunft Bergbau-Fahrzeuge in tausende Meter Tiefe zu schicken, die Mineralien von der Oberfläche des Meeresbodens sammeln. Vergleichbar mit einem schweren Traktor sollen diese dereinst grosse Felder im Meer umpflügen. Die gesammelten Materialien würden zur Aufbereitung auf ein Schiff gepumpt, und Sedimente, Mikroorganismen und Meereslebewesen zurück ins Meer geleitet.
Befürworter:innen hoffen, damit den dringenden Bedarf an Mineralien weltweit zu decken. Schätzungen gehen davon aus, dass deren Nachfrage in den kommenden Jahrzehnten um bis zu 600 Prozent steigen könnte, wenn die Staaten vermehrt auf Wind- und Solarenergie, auf Elektrofahrzeuge und Batterien setzen. Sie sehen den Tiefsee-Bergbau als eine «saubere» Alternative zum Rohstoffabbau an Land. Nicht nur Abholzung und die Verschmutzung von Seen und Flüssen könnten vermieden werden. Auch Menschenrechtsverletzungen würden nicht vorkommen.
Kritiker:innen argumentieren, dass weitere Forschung erforderlich ist, um die ökologischen Auswirkungen des Tiefsee-Bergbaus zu prüfen. Bisherige Erkenntnisse deuten auf verheerende Folgen für die Ökosysteme hin: Sehr wahrscheinlich ist, dass unzählige Meereslebewesen in Kontakt mit schweren Bergbaugeräten auf dem Meeresboden getötet werden. Der Verlust der biologischen Vielfalt in der Tiefsee könne sich zudem auf den Kohlenstoffkreislauf des Ozeans auswirken und seine Fähigkeit verringern, den globalen Temperaturanstieg einzudämmen. Schliesslich befürchten sie, dass – ähnlich wie beim Abbau an Land – nur einige Wenige von der Rohstoffgewinnung profitieren, mehrheitlich internationale Rohstofffirmen und ihre Aktionär:innen.
Im Juli fiel ein wichtiger Entscheid
Im März 2023 verständigten sich die UNO-Mitgliedstaaten nach über zehn Jahren zäher Verhandlungen auf ein historisches Abkommen zum Schutz der Weltmeere. Mindestens 30 Prozent sollen bis 2030 unter international verbindlichen Schutz gestellt werden. Wirtschaftliche Projekte, die industrielle Nutzung und Expeditionen in den Meeren sollen künftig auf ihre Umweltverträglichkeit hin geprüft werden. Unmittelbar vor diesem Durchbruch sagten am 4. März an der «Our Ocean»-Konferenz mehrere Staaten rund 18 Milliarden Euro für den Schutz der maritimen Biodiversität, die Beobachtung der Eisschmelze sowie für eine emissionsärmere Schifffahrt zu.
Am 21. Juli fiel eine wichtige Entscheidung zur kommerziellen Nutzung der Meeresböden: Während einige Rohstofffirmen, der Inselstaat Nauru und China am liebsten gleich 2024 mit grossflächigem Abbau beginnen wollten, setzten sich am ISA-Treffen in Jamaika die skeptischen Stimmen durch. Im Vorfeld der Verhandlungen hatten über 750 Wissenschaftler:innen und 37 (impakt- und nachhaltigkeitsbewusste) globale Finanzinstitutionen sowie indigene Gruppen und der UN-Hochkommissar für Menschenrechte einen Stopp des Tiefsee-Bergbaus gefordert. Schliesslich sprach sich mit über 20 Regierungen die Mehrheit für ein Moratorium aus. Darunter ärmere Länder wie Fidschi, Palau, Samoa, Costa Rica, Ecuador und Vanuatu, aber auch Kanada, Schweden, Irland, Deutschland und Neuseeland. Für die Formulierung einheitlicher und klarer internationaler Regeln benötige der Rat mehr Zeit. Übrigens stellte sich auch die Schweiz hinter das Moratorium. Dies im Einklang mit der im Juni verabschiedeten «Maritimen Strategie 2023-2027», worin der Bundesrat festhält, dass «vom Tiefsee-Bergbau erhebliche Gefahren für die Umwelt ausgehen, wenn dieser nicht durch internationale Vorschriften geregelt wird». Die ISA hat nun bis 2025 Zeit, um Regelungen auszuarbeiten.
Das Thema ist längst nicht vom Tisch
Menschenrechtsvertreter:innen, Umweltschützer und Forschende begrüssten den Kompromiss als Chance für eine informierte Diskussion in der Vollversammlung der ISA über die Frage, ob der Bergbau überhaupt vorangetrieben werden soll. Laut Greenpeace Schweiz ist die Gefahr für die Tiefsee allerdings nicht gebannt, und die Tür für den Raubbau weiterhin offen. Der ISA sei es nicht gelungen, eine wichtige Gesetzeslücke zu schliessen. So hat das Unternehmen The Metals Company, das durch die Schweizer Firmen Glencore und Allseas unterstützt wird, nur wenige Tage nach dem Entscheid der ISA verkündet, bereits ab 2025 Metallknollen am Meeresboden zu sammeln.
Unabhängig von der Diskussion zum Rohstoffabbau in der Tiefsee braucht es laut dem World Resources Institute Ansätze auf unterschiedlichen Ebenen: Dazu gehören ein spar- und sorgsamer Umgang mit den Mineralien (Stichwort: Suffizienz) und eine funktionierende Kreislaufwirtschaft für Mineralien inkl. besseres Recycling von Mineralien und elektrischen Geräten sowie Innovation und Verbreitung neuer Technologien, z.B. Batterien, die auf Lithium und Eisen basieren – beides Stoffe, die nicht am Meeresgrund liegen. Gleichzeitig müsse sich die Politik dringend damit befassen, wie der Rohstoffabbau und die Verarbeitung an Land auf verantwortungsvolle Weise verbessert werden können, um die ökologischen und sozialen Risiken zu minimieren.