Millionen Tonnen Plastikmüll werden Jahr für Jahr im Meer entsorgt, mit verheerenden Folgen für die Ökosysteme. Industrieländer haben mit ihren Abfall-Exporten massgeblich dazu beigetragen. Nun soll ein strenges UN-Abkommen zur Bekämpfung von Meeres- und Plastikmüll Abhilfe schaffen. Für die Schweiz wäre es eine Gelegenheit, sich aktiv für das Vorhaben zu engagieren.
Plastikmüll bedroht die Weltmeere. Jedes Jahr gelangen mehr als 10 Millionen Tonnen in die Ozeane. Schätzungsweise sind es bis heute mindestens 86 Millionen Tonnen. Zusätzlich gelangt Mikroplastik, der durch Abrieb von Autoreifen, beim Waschen von Kunststofftextilien oder durch den Zerfall von Plastikmüll entsteht, in die Gewässer und in die Ozeane. Plastikabfälle kosten Millionen von Meerestieren das Leben. Wenn nichts dagegen unternommen wird, wird es bis 2050 mehr Plastik als Fische im Meer geben, denn im Meer hat Plastik eine Haltbarkeit von bis zu 450 Jahren.
Riesige Plastikinseln
Bis zu 18’000 Plastikteile schwimmen nach Schätzungen des UN-Umweltprogramms (UNEP) auf jedem Quadratkilometer Wasseroberfläche. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs: Nur ein Prozent des Mülls treibt über längere Zeit an der Wasseroberfläche, rund 94 Prozent sinken auf den Meeresboden und weitere fünf Prozent werden früher oder später an die Küsten gespült.
Besonders dicht ist der Plastikmüll in den fünf grossen Meereswirbeln im Indischen Ozean, im Süd- und Nordatlantik sowie im Süd- und Nordpazifik. Ein sechster Müllstrudel wird in der Barentssee nördlich von Norwegen und Russland vermutet und zurzeit untersucht. Bekannt ist vor allem der Great Pacific Garbage Patch, der «Müllteppich des Pazifiks», auf dem sich auf einer Fläche von 1,6 Millionen Quadratkilometern etwa 1,8 Billionen Plastikteilchen mit einem Gesamtgewicht von schätzungsweise 80'000 Tonnen befinden. Allerdings sind diese riesigen «Plastikinseln» nicht fest. Sie liegen grösstenteils wenige Zentimeter bis Meter unter der Wasseroberfläche und werden als solche gar nicht wahrgenommen. Es sind weit abgelegene, kaum greif- oder sichtbare Umweltkatastrophen.
Mit Blick auf die Plastikinseln spricht die Forschung von einer «Plastisphäre», einem synthetischen Ökosystem, das sich im Meer entwickelt. Das Plastik im Meer hat ein einzigartiges Zuhause für spezialisierte Organismen geschaffen, von Tieren, die sich auf ihm fortbewegen. Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt dabei die kürzliche Entdeckung von zwei Bakterien, die in der Lage sind, Pet-Flaschen abzubauen – salopp gesagt «Plastik zu essen».
Plastikmüll-Exporte nach Südostasien
Mitverantwortlich für die Vermüllung der Meere sind Industrieländer, die Teile ihres Plastikabfalls in Drittländer entsorgen, zum Teil auch in solche Länder, in denen die Recyclinginfrastruktur schwach ist. Im Juni 2020 zeigte eine Studie der irischen Universitäten von Galway und Limerick auf, dass eine grosse Menge rezyklierter Kunststoffe (speziell Polyäthylen) aus europäischen Ländern in asiatischen Gewässern versenkt werden. Untersucht wurden die Daten der EU-Mitgliedstaaten, des Vereinigten Königreichs, der Schweiz und Norwegens. Obwohl diese Länder selbst eine weltweit führende Infrastruktur zur Abfallbewirtschaftung entwickelt haben, exportierten sie 2017 knapp die Hälfte der getrennten Plastikabfälle in Länder ausserhalb des jeweiligen Ursprungslandes. Ein Grossteil landete in Südostasien. Dort wird das meiste nicht weiterverarbeitet, sondern kommt in überlastete lokale Deponien und wird von dort oftmals im Meer entsorgt.
Bis 2017 ging ein Grossteil des Plastikmülls nach China. Alleine 2016 waren es sieben Millionen Tonnen oder die Hälfte des weltweit anfallenden Plastikabfalls. Weil China mittlerweile aber selbst genug Plastikabfall produziert und seine eigene autarke Recyclingwirtschaft aufbauen will, hat es 2018 ein Einfuhrverbot für Plastikmüll in Kraft gesetzt. Seither gehen Millionen Tonnen Müll an neue Abnehmer in Südostasien, speziell in Malaysia, Thailand, Vietnam, Indonesien oder Indien. Auch die Türkei und Polen sind wichtige Einfuhrländer. Die schiere Menge an Müllimporten als Folge des chinesischen Einfuhrverbots überforderte jedoch deren Häfen und führte dazu, dass illegale Recyclinggeschäfte und Abfalltransporte stark zunahmen. Mittlerweile werden die Auflagen für den Import generell strenger – so gilt in Indonesien ein Einfuhrstopp für bestimmte Plastikabfälle aus westlichen Ländern – und die Industriestaaten bleiben mehr und mehr auf ihrem Abfall sitzen. Als Folge davon wird dieser meist kurzerhand verbrannt oder auf Deponien entsorgt, statt rezykliert zu werden.
Die Schweiz, die in der irischen Studie ebenfalls untersucht wurde, kam glimpflich davon: Sie exportierte 2017 laut Studie gut 23'000 Tonnen Plastikabfälle. Davon wurden 90 Prozent im Einfuhrland rezykliert und die restlichen 10 Prozent landeten in Verbrennungsanlagen oder Deponien. Laut dem Branchenverband Swiss Plastics hingegen werden rund 60'000 Tonnen exportiert, in erster Linie nach Deutschland, das aber seinerseits Plastikmüll unter anderem nach Malaysia und in die Türkei ausführt. Ob darunter auch Schweizer Müll ist, lässt sich nicht feststellen. Auch die bei der Verbrennung von Plastik jährlich entstehenden 800'000 Tonnen Filterasche und die hochtoxische Schlacke werden teilweise ins Ausland exponiert. Was dort damit geschieht bleibt oft im Unklaren.
Internationale Regulierungsbemühungen
Schon 1989 wurden im «Basler Übereinkommen» ein umweltgerechtes Abfallmanagement sowie Kontrollmechanismen für «die grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle und ihre Entsorgung» festgelegt. Es wurde bis heute von 188 Staaten ratifiziert. 2019 wurde es ergänzt und verschärft mit Regeln für den Export von Plastikmüll in Entwicklungsländer. Die neuen Bestimmungen könnten laut Umweltorganisationen mittelfristig einem Exportstopp in Entwicklungsländer von Plastikmüll, der kaum oder gar nicht wiederverwertbar ist, gleichkommen.
Genau dies hat nun die EU beschlossen: Seit dem 1. Januar 2021 gelten verschärfte Regelungen für den Export von Plastikmüll. Unsortierte oder verschmutzte Plastikgemische, die sich nicht einfach rezyklieren lassen, dürfen nicht mehr international gehandelt werden.
Vorläufiger Höhepunkt im Kampf gegen Plastikmüll war die von Ghana, Vietnam, Ecuador und Deutschland einberufene «Ministerkonferenz zur Bekämpfung von Meeres- und Plastikmüll» Anfang September 2021 in Genf und online. An den Diskussionen nahmen mehr als 1000 Vertreterinnen und Vertreter aus 140 Staaten sowie zahlreichen Nicht-Regierungsorganisationen teil. In der Abschlusserklärung betonten die Ministerinnen und Minister die Notwendigkeit eines auf die Agenda 2030 abgestimmten, weltweit verbindlichen Abkommens, um ein gemeinsames Vorgehen gegen die Bedrohungen der Meere und Ozeane durch Meeresmüll zu erreichen. Am besten wäre eine UN-Konvention. Ein von Peru und Ruanda in Genf eingebrachter Resolutionsentwurf soll an der 5. UN-Umweltversammlung (United Nations Environment Assembly) im kommenden Februar in Nairobi die Basis für die Ausarbeitung des geforderten Abkommens sein.
Es stünde der Schweiz gut an, würde sie sich bei der Ausarbeitung des geplanten Abkommens engagieren und dafür Ressourcen und Knowhow bereitstellen. Denn Bundesrat und Verwaltung haben sich 2015 mit der Zustimmung zur Agenda 2030 verpflichtet, zur Umsetzung der 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung 2030 (SDGs) beizutragen. Und SDG 14.1 lautet: «Bis 2025 alle Arten der Meeresverschmutzung, insbesondere durch vom Lande ausgehende Tätigkeiten und namentlich Meeresmüll und Nährstoffbelastung, verhüten und erheblich verringern.» Die Zeit drängt.