Die Mär von der fehlenden Wirksamkeit

85% der Internationalen Zusammenarbeit der Schweiz erreicht ihre gesteckten Ziele
VON: Patrik Berlinger, Bernd Steimann - 11. Juni 2024

Immer wieder wird die Wirksamkeit von Entwicklungsprojekten in Zweifel gezogen. Ein Blick in den neuen Rechenschaftsbericht von DEZA, Seco und der Abteilung Frieden und Menschenrechte räumt die Zweifel rasch aus: Die evaluierten Massnahmen weisen insgesamt eine Erfolgsquote von 80 Prozent aus. Angesichts der krisenhaften Weltlage und anspruchsvollen Situation in vielen Schwerpunktländern ein überaus sehenswertes Resultat. 

Als der Ständerat am 3. Juni 2024 kurzerhand beschloss, bei der Internationalen Zusammenarbeit 2025-2028 (IZA) zwei von elf Milliarden Franken einzusparen, um das Armeebudget zu erhöhen, wurde von bürgerlicher Seite das Argument kolportiert, fast die Hälfte der Schweizer Entwicklungsprojekte sei unwirksam. Benjamin Mühlemann von der FDP meinte dazu salopp: «Es laufen bestimmt wichtige Projekte, aber es laufen auch solche, die man an Effektivität kritisch hinterfragen darf.» 

Der aktuelle Rechenschaftsbericht des Bundes zur IZA-Strategie 2021-2024 beinhaltet zahlreiche Zahlen. Einzig diejenige herauszupicken, mit der sich Schlagzeilen machen lässt, ist Polemik. Ja, gemäss Bericht weisen lediglich 55% der DEZA- und Seco-Projekte eine «dauerhafte Wirkung» auf. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit – eigentlich sogar lediglich ein Sechstel der Wahrheit. Denn die Evaluator:innen messen Entwicklungsprojekte gemäss internationalen Standards nicht nur anhand ihrer «Nachhaltigkeit», sondern beurteilen noch fünf weitere Dimensionen. Dabei zeigt sich, dass erstens 86% der Projekte und Programme einen messbaren Unterschied machen («Impakt»), zweitens 85% aller untersuchten Interventionen ihre gesteckten Ziele erreichen («Effektivität») und drittens 97% der Massnahmen auf die Bedürfnisse und Prioritäten der Begünstigten, der Partnerorganisationen und des jeweiligen Landes abgestimmt sind («Relevanz»). Viertens liefern die Massnahmen in 73% aller Fälle auf wirtschaftliche und zeitnahe Weise Ergebnisse («Effizienz»), wobei fünftens die Projekte in 85% der Fälle gut mit anderen Interventionen in einem Land oder Sektor abgestimmt sind («Kohärenz»). 

Auch wenn die Qualität der Evaluationen infolge heterogener und teils nicht vollständig transparenter Erhebungsmethoden in Frage gestellt werden darf, so liefern die Daten dennoch einen Anhaltspunkt für eine informierte Debatte. Zwar wird die IZA bereits heute im Vergleich zu anderen Bereichen wie Landwirtschaft, Bildung oder Armee am detailliertesten gemessen und öffentlich dokumentiert. Verbesserungspotenzial gibt es aber immer. Deshalb sollen das Monitoring und die Projektevaluation in drei Feldern ausgebaut werden: Verbesserung der Datenlage, Modernisierung der Datenverarbeitung dank Digitalisierung sowie bessere Abrufbarkeit und Kommunikation zu Entwicklungsresultaten.

Über alles gesehen eine gute Erfolgsquote von 80 Prozent  

Bei sämtlichen Dimensionen ausser bei der «Nachhaltigkeit» liegt die Erfolgsquote also zwischen 73% und 97%. Insgesamt weist die Querschnittsauswertung von jährlich zwischen 80 und 100 externen Evaluationen von Projekten, Länderprogrammen und umfassenden thematischen Portfolios eine Erfolgsquote von 80 Prozent aus – unbestritten ein sehr akzeptabler Wert angesichts des herausfordernden Kontexts, in dem Entwicklungsprogramme, Friedensinterventionen und wirtschaftsfördernde Massnahmen durchgeführt werden. 

Ohne Zweifel ist der tiefe Wert bei der «Nachhaltigkeit» unbefriedigend. Allerdings gibt es dafür eine Reihe Erklärungen: So fielen die untersuchten Interventionen in eine Phase, die geprägt war von Krisen und politischen Umbrüchen in zahlreichen Ländern wie Mali, Burkina Faso und Niger sowie Afghanistan, Sudan und Myanmar. Gleichzeitig haben zunehmende Klimaverwüstungen, die Covid-Pandemie und der Krieg in der Ukraine eine Polykrise ausgelöst: Sich überlappende Krisen liessen Lebenshaltungskosten, Ungleichheit und die Staatsschulden ansteigen – und verschärften die Ernährungsunsicherheit, die Menschenrechtslage und unfreiwillige Wanderungsbewegungen in vielen Partnerländern. 

Viele konkrete Erfolge dank der IZA 

Trotz der krisenhaften Weltlage und der teils sehr anspruchsvollen Situation in vielen Schwerpunktländern hat die Schweizer IZA in den Jahren 2020-2022 grosse Erfolge zu verzeichnen. Der Rechenschaftsbericht zeigt zum Beispiel: Im Bereich der «Wirtschaftsförderung» wurden weltweit über 50’000 Mitarbeitende in Finanzverwaltungen ausgebildet und knapp 900 Gemeinden in 19 Partnerländern bei der Mobilisierung von zusätzlichen Steuereinnahmen unterstützt. Die Lebensqualität von mehr als 12 Millionen Menschen in 237 Städten verbesserte sich dank nachhaltiger Entwicklung von städtischen Räumen und Infrastrukturen. Tausende Arbeitsplätze konnten geschaffen und zahlreiche Länder bei rechtlichen und regulatorischen Reformen unterstützt werden, sodass knapp 400’000 KMUs Zugang zu Kapital erhielten. In Bezug auf das Ziel «Umwelt- und Klimaschutz» hat die Entwicklungszusammenarbeit über 16 Millionen Menschen bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt – z.B. durch agrarökologische Landwirtschaft, angepasste Bewirtschaftung von Wald- und Berggebieten oder einen besseren Umgang mit Katastrophenrisiken. Zudem wurde knapp 20 Millionen Menschen der Zugang zu erneuerbarer Energie in Form von Fernwärme, Biomasse und Photovoltaik ermöglicht. 

Im Bereich «menschliche Entwicklung» konnten das IKRK, UNHCR und das Welternährungsprogramm dank Beiträgen der DEZA eine Million Menschen in der Ukraine, über eine Million in Afghanistan und über eine halbe Million im Sudan humanitär unterstützen. Darüber hinaus wurden fünf Millionen Menschen in der Prävention von nicht übertragbaren Krankheiten sensibilisiert und für 1,6 Millionen Kinder ein Zugang zu Primar- oder Sekundarschulbildung geschaffen. Schliesslich hat die Schweizer IZA im Bereich «Frieden und Gouvernanz» 21 Friedensprozesse, unter anderem in Kolumbien und Kosovo, massgeblich mitgeprägt, und in sieben Ländern Waffenstillstandsabkommen verhandelt. In unzähligen Ländern hat die Schweiz Massnahmen zur Korruptionsbekämpfung ausgebaut, transparente und verantwortungsbewusste Verwaltungen gefördert und mehr politische Teilhabe durch die Zivilgesellschaft unterstützt.

Noch eine Behauptung hält einer Prüfung nicht stand

Anlässlich des Entscheids des Ständerats vom 3. Juni 2024, bei der Internationalen Zusammenarbeit 2025-2028 (IZA) zwei von elf Milliarden Franken zugunsten der Armee einzusparen, behauptete Lars Guggisberg von der SVP: «Die Entwicklungshilfe ist massiv gewachsen. Es gab eine Verdreieinhalbfachung in den letzten Jahren.» Die offiziellen Zahlen zur Entwicklung der IZA zeigen jedoch ein anderes Bild: Die öffentliche Entwicklungshilfe (Aide Publique au Development, APD) ist in den vergangenen zehn Jahren lediglich von rund 2,8 auf 3,4 Milliarden Franken angewachsen.

Gar rückläufig sind die Entwicklungsausgaben im Verhältnis zum BIP – die sog. APD-Quote: Gemäss aktuellem Stand der IZA-Strategie 2025-2028, die im Winter 2024 im Parlament verabschiedet werden soll, wird die APD-Quote (ohne Berücksichtigung von Asylausgaben in der Schweiz) künftig noch 0,36 Prozent betragen. Seit 2014 verzeichnete die APD-Quote mit jeweils 0,45 Prozent ihre höchsten Werte in den Jahren 2020 und 2021. Mit dem ständerätlichen Vorschlag, jährlich 500 Millionen von der IZA zur Armee zu verschieben, würde diese Quote aller Voraussicht nach sogar unter 0,3 Prozent rutschen – und damit unter den durchschnittlichen Wert aller OECD-Geberländer (0,37 Prozent im Jahr 2023). Ein für die wohlhabende und «humanitäre» Schweiz beschämend tiefer Wert. Das UNO-Ziel von 0,7 Prozent, das mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung bekräftigt wurde, verlöre die Schweiz komplett aus den Augen.  

Nicht nur hat sich die IZA im Verhältnis zur schweizerischen Wirtschaftskraft (BIP) nicht erhöht. Auch die Wirksamkeit der IZA ist viel besser als gewisse Politiker:innen immer wieder gerne behaupten. Parlament und Bundesrat sollten sich daher vergegenwärtigen: Soll die Sicherheit und Stabilität hierzulande und in Europa verbessert werden, darf die Schweiz nicht nur die Aufrüstung im Inland in Betracht ziehen, sondern muss weiterhin in die Internationale Zusammenarbeit investieren, also in zivile Friedensförderung und die Stärkung der Menschenrechte, in langfristige Entwicklungsprogramme und humanitäre Hilfe, in Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen sowie in nachhaltige Entwicklung und die Stärkung der lokalen Wirtschaft in ärmeren Ländern.

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