Dürren und Hitzewellen im Norden und im Süden Afrikas, Zyklone und Überschwemmungen im Osten: Die dramatischen Folgen der Erderwärmung zeigen sich immer deutlicher. Im Vorfeld der Weltklimakonferenz im November sollte der aktuelle Klimabericht für Afrika auch für die Schweiz ein Weckruf sein. Der Kontinent braucht dringend mehr Unterstützung bei der Anpassung, der Katastrophenvorsorge und der Bewältigung von Klimaschäden.
Ein neuer Klimabericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) «The State of the Climate in Africa 2021» vom 8. September 2022 zeigt deutlich und eindrücklich auf, wie in Afrika Gletscher verschwinden, wichtige Seen schrumpfen und die Niederschlagsmuster gestört sind. Der steigende Wasserbedarf steht begrenzten und unvorhersehbaren Niederschlägen gegenüber, was Konflikte und Vertreibung verschlimmert. Gemäss WMO waren 2021 mehr als 14 Millionen Menschen intern vertrieben, davon knapp 12 Millionen wegen Gewalt und Konflikten. Rund 2,5 Millionen waren gezwungen, ihre Heimat wegen Fluten, Stürmen oder Trockenheit zu verlassen – eine Verdopplung gegenüber dem Vorjahr. Das sind mehr Menschen als in der Westschweiz und dem Tessin leben.
Bei der Vorstellung des Berichts in Mosambik wählte der Generalsekretär der WMO, Petteri Taalas, klare Worte: «Die sich verschärfende Krise und die drohende Hungersnot am dürregeplagten Horn von Afrika zeigen, wie der Klimawandel Wasserschocks verschärfen kann. Das Leben von Hunderttausenden von Menschen ist bedroht. Gemeinschaften, Länder und ganze Regionen werden destabilisiert». Der Ort der Präsentation war nicht zufällig gewählt: Innert zwei Monaten fegten 2019 zwei Zyklone über Mosambik und zerstörten Hunderttausende Häuser und vernichteten Ernten und Lebensgrundlagen von unzähligen Familien. Auch in diesem Jahr traf ein Zyklon mit starken Regenfällen auf die ostafrikanische Küste, erneut mit Millionen betroffenen Menschen.
Steigende Meere und extremere Wetter
Bereits seit Jahrzehnten ist die Klimaveränderung in Afrika spürbar. Der Tschadsee, ein abflussloser Binnensee am Südrand der Sahara, aufgeteilt unter den Staaten Kamerun, Nigeria, Niger und Tschad hat laut dem jüngsten WMO-Bericht seit den 1960er Jahren 90 Prozent seiner Fläche verloren. Gleichzeitig schmelzen die wenigen Gletscher, z.B. auf dem Kilimandscharo, schneller ab als sonst wo auf der Erde. Allein zwischen 1912 und 2020 hat sich die Eisschicht um 85 Prozent verringert. Bis 2030 dürfte der Gletscher vollends verschwunden sein.
Auch der Meeresspiegel steigt an den meisten afrikanischen Küsten schneller an als im globalen Mittel. Überschwemmungen und Küstenerosion nehmen zu und werden heftiger. Die Weltbank schätzt die Kosten wegen Fluten und Erosion in den Küstenregionen von Benin, Elfenbeinküste, Senegal und Togo auf jährlich knapp 4 Milliarden USD oder 5,3 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens. Gleichzeitig versalzt das Grundwasser in tiefgelegenen Städten wie z.B. der 18-Millionen-Megacity Lagos in Nigeria, was die Trinkwasserversorgung gefährdet und die landwirtschaftliche Bewässerung beeinträchtigt. Bis 2030, so der Klimabericht für Afrika, werden bis zu 116 Millionen Menschen in Afrika dem Risiko des Meeresspiegelanstiegs ausgesetzt sein.
Bereits stark spürbar und belegt sind die klimabedingten Wetterextreme: In Burundi, im Kongo, im Südsudan und in Nigeria leiden die Menschen unter schwerwiegenden Überflutungen. Andernorts, am Horn von Afrika in Äthiopien, Kenia und Somalia leiden die Menschen unter mehrjährigen Dürreperioden und Hitzestress. Dürrekatastrophen haben in den letzten 50 Jahren mehr als eine halbe Million Menschen das Leben gekostet und in der Region wirtschaftliche Verluste in der Höhe von 70 Milliarden Dollar verursacht. Die Expertinnen und Experten haben ausserdem berechnet, dass wegen des Temperaturanstiegs in Afrika seit 1961 die landwirtschaftliche Produktivität geschrumpft ist – um 34 Prozent – mehr als in jeder anderen Region der Welt. Laut WMO-Bericht trifft der hohe Wasserstress derzeit rund 250 Millionen Menschen auf dem Kontinent. Bis 2030 werden voraussichtlich bis zu 700 Millionen Menschen wegen Wasserstress ihr Daheim verlassen müssen.
Bericht fordert deutlich mehr Unterstützung bei Frühwarnung
Gemäss Prognosen der UNDRR, der UNO-Organisation, die sich mit Naturkatastrophen und Risikominderung beschäftigt, wird es weltweit bis 2030 über 560 Katastrophen pro Jahr geben, davon 90 Prozent klimatischer Natur, also Wirbelstürme, Überschwemmungen, Dürren und Hitzewellen – ein Anstieg von 40 Prozent im Vergleich zu 2015. Gleichzeitig haben gerade mal vier von zehn Afrikanerinnen und Afrikanern Zugang zu Frühwarnung für extreme Wetterlagen. Überall wo Frühwarnsysteme und meteorologische Daten fehlen, sind Menschen den Folgen der Klimaveränderung ungeschützt ausgesetzt. Deshalb startet die WMO im Auftrag von UNO-Generalsekretär António Guterres eine Kampagne, um in den nächsten fünf Jahren den Zugang zu Frühwarnsystemen zu verbessern.
In der Zwischenzeit haben mehr als 40 afrikanische Regierungen ihre nationalen Klimastrategien überarbeitet und zugesagt, ihre Anstrengungen bei der Anpassung an den Klimawandel (Adaptation) und der Eindämmung der Klimakrise (Mitigation bzw. Klimaschutz) auszubauen.
Dabei gilt es, sich vor Augen zu halten: Während der afrikanische Kontinent gerade mal zwei bis drei Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verursacht, weist die Schweiz einen sehr grossen Klimafussabdruck pro Kopf auf. Entsprechend gross ist ihre (unsere) Verantwortung, nach geeigneten Lösungen zu suchen, um die weltweite Klimakrise zu bewältigen. Durchaus auch aus Eigeninteresse, denn die Schweiz erwärmt sich doppelt so stark wie der Anstieg der mittleren globalen Temperatur. Trockenere Sommer und mehr Hitzetage sowie heftigere Niederschläge und schneearme Winter sind die Folgen. Die Schweiz ist also nicht nur Mitverursacherin der Klimakrise, sondern auch Opfer. Auch sie hat ein grosses Interesse daran, dass die Weltgemeinschaft das Klimaproblem in den Griff kriegt.
UNO-Generalsekretär adressiert auch die Schweiz
Die Schweiz sollte daher die durch den Ukrainekrieg ausgelöste Energiekrise zum Anlass nehmen, erneuerbare Energien voranzutreiben, um möglichst rasch klimaneutral zu werden. Dabei sollte sie darauf verzichten, den zu hohen Emissionsausstoss und mangelnde Klimaschutzbemühungen über den Zukauf von Reduktionszertifikaten im Ausland auszugleichen. In der laufenden Herbstsession werden in der Schweizer Klimapolitik Fortschritte erzielt. Der Ständerat hat am 15. September Ja zum indirekten Gegenvorschlag gesagt und macht den Weg für einen bedingten Rückzug der Gletscher-Initiative frei. Der Kompromissvorschlag wird für einen raschen und wirksameren Klimaschutz in der Schweiz sorgen.
Gleichzeitig sollte die Schweiz an der Weltklimakonferenz in Ägypten im November (COP27) ein Zeichen setzen und ihre finanziellen Zusagen erhöhen, um ärmere Länder bei der Umsetzung notwendiger Anpassungs- und Klimaschutzmassnahmen stärker zu unterstützen. Im Verbund mit den anderen Industrieländern hat sich die Schweiz 2015 dazu verpflichtet, neben der bestehenden Entwicklungshilfe zusätzliche Mittel für die internationale Klimafinanzierung bereitzustellen. Die weltweite Bekämpfung der Klimakrise duldet keinen weiteren Aufschub.
Wie der WMO-Bericht für Afrika eindrücklich zeigt, hat die Ernährungssicherheit wegen Dürren und Überflutungen bereits stark abgenommen. Und mit jedem Zehntelgrad Erwärmung nehmen die Risiken zu. Mit seiner Kampagne für Frühwarnung spricht UNO-Generalsekretär António Guterres auch die Schweizer Regierung an, das Engagement im Bereich der Katastrophenvorsorge und des Naturgefahrenmanagements auszubauen und die Internationale Zusammenarbeit (IZA) entsprechend auszubauen.
Schliesslich sollte die Schweiz eine verlässliche Partnerin von ärmeren Ländern sein, die von Extremereignissen und klimabedingten Schäden und Verlusten betroffen sind. Im Vorfeld der Klimakonferenz im November haben sich die G7-Staaten auf Vorschlag von Deutschland auf einen neuen Klimarisiko-Schutzschirm geeinigt. Der Schirm, mit dem Klimaschäden in den verwundbarsten Ländern gelindert werden sollen, soll 400 Millionen Menschen einen Versicherungsschutz gewähren. Vorgesehen sind öffentliche und private Versicherungen, staatliche soziale Sicherungssysteme und der Aufbau von Katastrophenreserven in Staatshaushalten. Neben den G7-Ländern sind weitere Industrieländer aufgefordert, sich finanziell – mittels Zuschüsse oder konzessionären (vergünstigten) Krediten – am Schirm zu beteiligen. Spätestens an der COP27 wird sich die Schweiz dazu äussern müssen. Es stünde der Schweiz gut an, sich dem neuen Schutzschirm anzuschliessen.