Extremwetterereignisse und andere Katastrophen werfen uns bei der Erreichung der Globalen Nachhaltigkeitsziele weit zurück und werden in den kommenden Jahren massiv zunehmen. Das wäre nicht nötig: Mit einer mutigen Klimapolitik und mit einer sorgfältigen, in die nationalen Politiken eingebetteten Katastrophenvorsorge liesse sich viel Elend verhindern und Geld sparen.
Madagaskar, im Februar 2022. Drei Zyklone sind innerhalb eines Monats über die Insel vor der südafrikanischen Ostküste gefegt und haben ganze Regionen verwüstet: abgedeckte Häuser, vernichtete Ernten, zerstörte Infrastruktur, Todesopfer. Die Auswirkungen werfen Entwicklungsfortschritte um Jahre zurück und verschärfen die akute Ernährungskrise der Bevölkerung, die durch Dürren in den Vorjahren und steigende Nahrungsmittelpreise im Zuge des Ukraine-Kriegs weiter zunimmt. Doch ein Zyklon selbst ist nur eine von vielen Komponenten, die zu einer Katastrophe führen. Katastrophal wird er, wenn die betroffene Bevölkerung strukturell benachteiligt ist und wenig Ressourcen hat, die Auswirkungen abzufedern.
Der Klimawandel wird Extremwetterereignisse weiter befeuern. Häufigere und intensivere Ereignisse bedeuten auch, dass die Verwundbarkeit der betroffenen Bevölkerung kontinuierlich grösser wird – ein Teufelskreis. Ein neuer Bericht der UNO (UNDRR 2022) prognostiziert bis zum Jahr 2030 über 560 mittlere bis schwere Katastrophen pro Jahr, davon 90% klimatischer Natur, also Wirbelstürme, Überschwemmungen, Dürren und Hitzewellen. Das sind 1,5 mittlere bis schwere Katastrophen pro Tag; ein Anstieg von fast 40% im Vergleich zu heute.
Mehr Katastrophen bedeuten, dass die 17 Globalen Nachhaltigkeitsziele viel langsamer erreicht werden als geplant, denn die steigenden Schäden und Verluste machen Entwicklungsfortschritte zunichte. Entgegen der Zielsetzung des Sendai Rahmenwerks für die Minderung von Katastrophenrisiken (SFDRR), die durch Katastrophen bedingten Schäden bis 2030 deutlich zu senken, haben sich wirtschaftliche Schäden in den vergangenen Jahren verdoppelt – mit einer hohen Dunkelziffer in Ländern des Globalen Südens. Die Frage stellt sich: Warum ist das immer noch so?
Präventives Denken in der Politik nötig
Der beste Indikator für präventive Arbeit ist eine Katastrophe, die nicht stattfindet oder deren Auswirkungen minimalen Schaden anrichten. Das bedeutet jedoch auch: Erfolgreiche Prävention ist kaum sichtbar und schwierig zu messen. Das erschwert es, die langfristige Katastrophenvorsorge systematisch in nationale Budgets zu integrieren, in das Denken der politischen Entscheidungsträger und -trägerinnen, in das internationale System. Mit der Folge, dass die Risiken, Schäden und Verluste steigen – trotz aller Anstrengungen, die Welt und ihre Bevölkerung resilienter gegen (Natur-)gefahren zu machen.
Aber gerade in Krisenzeiten und mit fortschreitendem Klimawandel wird das Verständnis und Management von Risiken zum Zünglein an der Waage, will die Weltgemeinschaft die globalen Nachhaltigkeitsziele erreichen. Deshalb haben sich Ende Mai 4000 Menschen virtuell und vor Ort auf Bali zur Globalen Plattform zur Minderung von Katastrophenrisiken (GPDRR) getroffen. Die Konferenz fand statt vor dem Hintergrund der steigenden Katastrophenrisiken, der immer kürzer aufeinanderfolgenden oder sich überlagernden Ereignisse und deren Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Frieden. Es ging darum, das Verständnis, dass Katastrophenprävention auch politisch ist, zu erhöhen und tragfähige Allianzen zwischen Staaten, der Zivilgesellschaft, dem Privatsektor und anderen Akteuren zu schmieden.
Es war das erste Treffen dieser Plattform seit dem Ausbruch der Coronapandemie. Und gerade diese hat schmerzhaft vor Augen geführt, wie zentral lokal verankerte Akteure in der akuten Nothilfe sind. Vielfach verstanden sich lokale Katastrophenkomitees als erste Anlaufstellen für Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Sie hatten gelernt, in Krisensituationen vorausschauend zu handeln und konnten in der Pandemie mit ihrem Wissen die Gesundheitskrise anfangs einigermassen managen. Doch je länger die Pandemie andauerte, desto weniger konnten lokale Akteure ausrichten, weil ganze Wirtschaftszweige zusammenbrachen und deshalb die nationale Politik gefragt war, die auf ein solches Szenario nicht vorbereitet war.
All der Herausforderungen zum Trotz kann die Katastrophenvorsorge grosse Erfolge vorweisen – vor allem im kurzfristigen Management: Während im Jahr 1991 noch 138‘000 Menschen bei einem einzelnen Wirbelsturm in Bangladesch ums Leben kamen, haben Frühwarnsysteme und klare Zuständigkeiten bei nationalen und lokalen Behörden massgeblich dazu beigetragen, dass Hunderttausende Menschen nun rechtzeitig gewarnt und auf extreme Windgeschwindigkeiten und Überschwemmungen vorbereitet werden. Sogar während der Pandemie: Als der Zyklon Amphan im Mai 2020 durch den Golf der Bengalen zog, konnten trotz strenger Schutzmassnahmen die meisten Menschen rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden.
Zu wenig Geld, zu wenig Voraussicht
Es ist sowohl ein menschliches Gebot als auch ökonomisch vernünftig, in Katastrophenvorsorge zu investieren – für jeden investierten Dollar lassen sich zwischen 4 und 15 Dollar in der Katastrophenhilfe sparen. Trotzdem wird heute noch nur ein Bruchteil, ein halbes Prozent aller öffentlichen Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit, für Katastrophenvorsorge aufgewendet. Obwohl es genügend Belege für die Wirksamkeit gibt.
Dank Fortschritten in der Auswertung von Wetter- und Klimadaten und besserer Prognosetechnik sind heute über 50% der Extremwetterereignisse vorhersehbar. Gleichzeitig handeln die Verantwortlichen aber in nur einem Prozent der Fälle wirklich vorausschauend. Es ist eine deprimierende Spirale der Reaktion, die sich jedes Jahr, aller Anstrengungen zum Trotz, wiederholt, obwohl der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan schon 1999 dazu aufgerufen hat, zu einer Kultur der Prävention überzugehen.
Seitdem hat sich zwar viel getan: Die Dynamik von Risiken wird besser verstanden, Risiken werden besser gemanagt, es wird in Frühwarnsysteme investiert sowie in langfristige Stärkung von Resilienz, sowohl von Menschen als auch von Öko- und sozialen Systemen. Und doch: Es ist nicht genug. Es braucht ein Umdenken und vielleicht auch ein Bekenntnis dazu, dass Katastrophenvorsorge ein höchst politisches Handlungsfeld ist. Denn Katastrophenvorsorge ist mehr als die technische Komponente der Naturgefahr, es geht vielmehr um strukturelle Ungleichheiten. Ungleichheiten, die marginalisierte Gruppen besonders anfällig dafür machen, unter den Folgen eines Ereignisses stark zu leiden.
Treibender Faktor für eine erhöhte Anfälligkeit ist Armut. Eine dezidierte Armutsbekämpfung mit den Risiken im Blick, kann die Verwundbarkeit von Milliarden Menschen schmälern.
Appell an die Schweiz
In einer Zeit, die von Unsicherheiten und multiplen, sich überlagernden globalen und lokalen Krisen geprägt ist, ist es einfacher, sich nur auf das zu beschränken, was gerade akut ist. So kommen wir aber nicht weiter, sondern verlieren auf der ganzen Linie. Die Konferenz auf Bali hat sensibilisiert und ein klares Statement gemacht: Entweder die Weltgemeinschaft schafft es, zukünftige Investitionen klimafreundlich und risiko-informiert zu gestalten oder sie wird scheitern – und zukünftige Generationen müssen die heutigen hinlänglich bekannten Versäumnisse ausbaden.
Und so ist es auch ein Appell an die Schweiz, die auf Bali auch vertreten war, ihr Engagement im Bereich der Katastrophenvorsorge und des Naturgefahrenmanagements zu erweitern und ihre (entwicklungs-)politische Dimension einzugestehen: Indem die Schweiz ihre Verantwortung als Emittentin von Treibhausgasen wahrnimmt und eine ambitionierte Klimapolitik beschliesst. Indem sie als eine verlässliche Partnerin der Länder auftritt, die von Extremereignissen und klimabedingten Schäden und Verlusten betroffen sind. Indem sie sich dafür einsetzt, Naturgefahrenmanagement aus der technischen Nische heraus- und in die Mitte der Politik und der Gesellschaft hineinzubefördern.