Freihandelsabkommen mit Entwicklungsländern sind hierzulande umstritten. Vielen gelten sie als Ausdruck einer rücksichtlosen Globalisierung. Dass solche Abkommen auch Perspektiven beinhalten, zeigt das neue panafrikanische Freihandelsabkommen. Für die Afrikanische Union ist es alternativlos, und die Kritik daran hält sich in Grenzen.
Für die einen ein Heilsbringer für Entwicklung und Wachstum, für andere ein Globalisierungsinstrument mit wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nachteilen für die Menschen im globalen Süden: Die Diskussion um Freihandelsabkommen (FHA) ist oft ideologisch geprägt. Nüchtern betrachtet, handelt es sich dabei um völkerrechtliche Verträge zur Aufhebung von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen. Zum Beispiel Exportbeschränkungen, Importquoten oder unterschiedliche nationale Standards. Wer nicht gerade Fundamentalopposition betreibt, streitet weniger um die Abkommen als solche als vielmehr um deren Ausgestaltung. Denn die darin enthaltenen – respektive fehlenden – Kriterien bevorteilen normalerweise die reichen Länder des Nordens. Etwa wenn es um den Import billiger afrikanischer Rohstoffe und den Export teurer Industrieprodukte aus Europa geht.
Das Aufkommen des fairen Handels als alternatives Handelskonzept befeuerte seit den 1990er Jahren die Diskussion. Trotz seines wirtschaftliche Schattendaseins war er dem früheren Nestlé-Konzernchef Peter Brabeck ein Dorn im Auge: «Der fairste Handel ist der freie Handel», hielt er 2007 in einer WEF-Diskussionsrunde kategorisch fest. Sozial- und Umweltstandards hätten in Handelsabkommen nichts verloren.
Reizwort Freihandelsabkommen
In der Schweiz haben die Kontroversen über Freihandelsabkommen mit Entwicklungs- und Schwellenländern seither nie aufgehört. Besonders vehement wurde der Streit beim Abkommen mit China, und er schwelt wieder bei der Diskussion um das Abkommen mit Indonesien, über das am 7. März abgestimmt wird. Allerdings sind die Kritikpunkte unterschiedlich gelagert: Beim bilateralen FHA mit China ging es insbesondere um mögliche negative Auswirkungen auf die Menschenrechtssituation und der de facto Akzeptanz von Menschenrechtsverletzungen, wenn ein solches Abkommen unterzeichnet wird. Trotz teils heftiger Kritik wurde es 2014 vom Schweizer Parlament gutgeheissen und Anträge, es dem fakultativen Referendum zu unterstellen, waren chancenlos.
Beim aktuellen Streit um das FHA mit Indonesien geht es hauptsächlich um Palmöl, auch wenn dieses vom eigentlichen Freihandel ausgeschlossen ist: Sein zollbegünstigter Import wird aber verbindlich mit Nachhaltigkeitsbestimmungen verknüpft – ein Novum für ein Freihandelsabkommen. Es ist jedoch fraglich, ob diese Nachhaltigkeitsstandards auch wirklich strikt eingehalten und überprüft werden können. Diese Zweifel haben Entwicklungsorganisationen wie Public Eye und Alliance Sud dazu bewogen, auf eine Parole für die Abstimmung zu verzichten. Einige NGOs sind aber vehement dagegen, andere dafür.
Und schon ist die nächste Kontroverse in Sicht: Im Parlament steht das 2019 im EFTA-Verbund ausgehandelte Abkommen mit den Mercosur-Staaten (Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay) zur Debatte. Wird es von den Eidgenössischen Räten ratifiziert, ist ein Referendum sehr wahrscheinlich. Dieses Mal wird sich die Diskussion vor allem um die Liberalisierungen im Agrarbereich drehen. Zudem fehlen im Abkommen verbindliche Nachhaltigkeitsstandards, wie sie im FHA mit Indonesien vereinbart wurden. Von links bis rechts, von Globalisierungsgegnern bis hin zum Bauernverband, zeichnet sich – aus unterschiedlichen Gründen – Widerstand ab.
Afrika will den Freihandel
Doch Freihandelsabkommen können auch ganz anders gewichtet werden. Bei den weltweit 339 regionalen Abkommen sticht in jüngster Zeit aus entwicklungspolitischer Sicht das neue Afrikanische Kontinentale Freihandelsabkommen hervor: Dieses «African Continental Free Trade Agreement (AfCFTA) ist eingebettet in die langfristige Entwicklungsstrategie der Afrikanischen Union (AU), in die «Agenda 2063: The Africa We Want». Das Freihandelsabkommen trat am 30. Mai 2019 in Kraft und umfasst heute 54 der 55 AU-Mitgliedstaaten – nur Eritrea bleibt aussen vor. Am 1. Januar 2021 startete offiziell die Umsetzung des AfCFTA – mit einer Corona-bedingten Verzögerung von einem halben Jahr.
Das AfCFTA hat zum Ziel, die wirtschaftliche und politische Integration der afrikanischen Länder voranzutreiben und einen gemeinsamen Binnenmarkt zu schaffen. Die einzelnen Staaten verpflichten sich zum gegenseitigen Zollabbau und zu Handelserleichterungen, zum Aufbau von Infrastruktur sowie zur Integration ihrer nationalen Märkte in den neuen panafrikanischen Markt. Die neue Freihandelszone umfasst 1,2 Milliarden Menschen, ein Bruttoinlandprodukt von 2,5 Billionen US-Dollar und etwa 400 Unternehmen mit je einem Jahresumsatz von über einer Milliarde US-Dollar.
Der Anteil des innerafrikanischen Handels am Gesamthandel Afrikas beträgt derzeit 18 Prozent und soll laut AfCFTA-Generalsekretär Wamkele Mene bis zum Jahr 2030 auf 50 Prozent des Gesamthandels steigen, was eine jährliche Zunahme um 35 bis 40 Milliarden US-Dollar bedeuten würde. Einmal abgesehen von den Corona-bedingten Verzögerungen, hängt eine solche Zunahme von der Fähigkeit ab, regionale Wertschöpfungsketten zu beschleunigen. Aber auch von der Art und Weise und dem Tempo, in dem das Abkommen umgesetzt wird. Zentral wird sein, dass Afrika seine Abhängigkeit von Rohstoff- und Agrarexporten nach Europa als grösster Handelspartnerin zu reduzieren vermag. Afrika ist aber laut Wamkele Mene weiterhin offen für internationale «Geschäfte und Investitionen zum gegenseitigen Nutzen, wenn damit menschenwürdige Arbeitsplätze geschaffen und die Lebensbedingungen verbessert werden».
Kritiken und Risiken
Doch ganz unumstritten ist das Abkommen nicht. Schon früh, im November 2016, kritisierten afrikanische NGOs, dass die Verhandlungen nicht transparent seien und die Zivilgesellschaft bei der Ausarbeitung nicht einbezogen werde. Verhandlungen hinter verschlossenen Türen verstärkten die Sorge, das Abkommen könnte vor allem den politischen Eliten zugutekommen. Andere warnen davor, das Abkommen bei seiner jetzt anlaufenden Umsetzung mit einer neoliberalen Agenda zu versehen. Entscheidend sei eine panafrikanische Integrationsstrategie über den Freihandel hinaus, damit das Abkommen tatsächlich zur panafrikanischen Vision beitrage. Einer Vision, wie sie Ghanas früherer Präsident Kwame Nkrumah 1963 bei der Gründung der OAU, der heutigen AU, formuliert hatte: «Wir müssen uns vereinen, um die vollständige Befreiung unseres Kontinents zu erreichen. (…) Durch die Schaffung einer echten politischen Union aller unabhängigen Staaten Afrikas».
Ob das Abkommen den teils überhöhten Erwartungen gerecht werden kann, das heisst: Ob die Regierungen der einzelnen Länder tatsächlich bereit sind, ihre Politiken auf die Ziele der Agenda 2063 auszurichten, wird die Zukunft weisen. Freihandel jedenfalls führt nicht automatisch zu einer gemeinsamen nachhaltigen und inklusiven Entwicklung. Damit es am Schluss nicht viele Verlierer gibt, braucht es politische Reformen, menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen, Umweltschutz sowie Investitionen in die staatliche Grundversorgung, in Produktionskapazitäten und in eine grenzüberschreitende Infrastruktur, um nur einige relevante Stichworte zu nennen. Gerade die Corona-Pandemie führt diesen Bedarf brutal vor Augen.
Die Ziele der Afrikanischen Union mit ihrer Agenda 2063 und der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone sind hochgesteckt, und noch hinkt die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Realität Afrikas weit hinterher. Aber dennoch: Afrika ist im Aufbruch, und ein Freihandel auf Augenhöhe kann die nötigen Perspektiven schaffen.