Fakten statt Behauptungen

Argumente für eine starke Internationale Zusammenarbeit der Schweiz
VON: Patrik Berlinger - 17. Juli 2024

Für die Internationale Zusammenarbeit (IZA) schlägt der Bundesrat dem Parlament einen Zahlungsrahmen von 11,27 Milliarden Franken für den Zeitraum 2025-28 vor. Damit werden die vier Instrumente der IZA finanziert: humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit, wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie Förderung von Frieden und Menschenrechten

1.5 Milliarden, d.h. knapp 15 Prozent der gesamten IZA-Mittel will der Bundesrat für die Ukraine einsetzen – für humanitäre Hilfe und vor allem für den Wiederaufbau. Zudem hat der Ständerat im Juni 2024 vorgeschlagen, der IZA noch einmal 2 Milliarden bzw. fast 20 Prozent des Budgets zu kürzen und für die Aufstockung des Militärs zu verwenden. 

Mit den Kürzungen müsste sich die Schweiz aus mehreren Schwerpunktländern zurückziehen und ihre humanitäre, friedens- und entwicklungspolitische Arbeit stark zurückfahren. Mit absehbaren Folgen für ärmere Länder: weniger humanitäre Hilfe, weniger Unterstützung bei Gesundheit und Ernährungssicherung, weniger Klimaschutz und Anpassung an Überschwemmungen und Dürren. Mädchen, die nicht in die Schule können. Und mehr junge Menschen in Afrika, die kein Auskommen finden und sich deshalb auf den Weg machen. 

Die Erklärungen und Rechtfertigungen für die Kürzungen bei der IZA sind abenteuerlich und falsch. Darum präsentiert Helvetas nachfolgend Richtigstellungen und Gegenargumente. Noch ist es nicht zu spät: Der Nationalrat kann den ständerätlichen Kahlschlag bei der Entwicklungszusammenarbeit bis Ende Jahr korrigieren.   

Behauptung: Die vorgeschlagenen Kürzungen fallen nicht ins Gewicht. 

Falsch. Die Kürzungen bei der Internationalen Zusammenarbeit (IZA), die etwas mehr als drei Prozent der Ausgaben des Bundes ausmacht, fallen massiv ins Gewicht. Denn zusätzlich zu den zwei Milliarden für die Armee wollen Bundesrat und Parlament von 2025 bis 2028 der Ukraine 1,5 Milliarden Franken für humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau zur Verfügung stellen – ebenfalls aus der IZA-Kasse. Insgesamt würde so ein Drittel der gesamten IZA-Mittel für die Stärkung der ärmsten Länder der Welt wegfallen – ungefähr so viel Geld wie die DEZA in ihren Partnerländern für ihre bilaterale Entwicklungszusammenarbeit einsetzt. Die Schweiz müsste wohl jedes vierte Länderprogramm schliessen und sogar beim IKRK sparen, bei der Flüchtlingsorganisation UNHCR, beim UNO-Welternährungsprogramm und bei vielen weiteren internationalen Organisationen. Damit würde sich die Schweiz international ins Abseits manövrieren und von ihrer humanitären Tradition verabschieden. 

Behauptung: Die Welt wandelt sich zum Besseren – wir haben die Herausforderungen im Griff. 

Das stimmt leider nicht. Zwar wurden in den vergangenen Jahrzehnten grosse Fortschritte erzielt. Doch während die einen immer mehr Reichtum anhäufen und im Luxus leben, sorgte die Corona-Pandemie für den grössten Rückschlag in der weltweiten Armutsbekämpfung seit 1990. Der russische Angriffskrieg verschlimmert die Lage zusätzlich. Im Jahr 2023 waren über 360 Millionen Menschen in rund 70 Ländern auf humanitäre Hilfe angewiesen. Gerade mal 40 Prozent der dafür benötigten Ressourcen sind finanziert. Die Zahl der Vertriebenen steigt auf unglaubliche 120 Millionen Menschen. Die fortschreitende Erderwärmung führt zu immer häufigeren und schlimmeren Waldbränden, Überschwemmungen und Dürren – mit schwerwiegenden Folgen für die Ernährungssicherung. Bereits ist (wieder) ein Zehntel der Weltbevölkerung von Hunger betroffen. Weltweit ist die Demokratie auf dem Rückzug und autokratische Systeme machen sich breit. Die Internationale Zusammenarbeit (IZA) ist also relevanter denn je. 

Behauptung: «Entwicklungshilfe» bringt den Menschen in der Schweiz nichts. 

Und ob! Denn erstens profitiert die Schweizer Wirtschaft: Die Internationale Zusammenarbeit (IZA) hilft Schweizer Unternehmen, neue Märkte zu erschliessen, indem in den entsprechenden Ländern politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen verbessert werden. Zweitens geht die IZA globale Herausforderungen wie Klimawandel, Flucht und Vertreibung, Pandemien und Artenschwund an – das kommt auch unmittelbar der Schweiz und ihren Bewohner:innen zugute. Und drittens fördert die IZA weltweit Frieden und Sicherheit, indem sie in armen und krisengeschüttelten Ländern Perspektiven schafft, damit die Menschen eine Zukunft vor Ort sehen oder wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Übrigens, laut einer ETH-Umfrage kennt die Bevölkerung der Schweiz den hohen Nutzen der IZA und wünscht sich daher mehrheitlich eine stärkere Entwicklungszusammenarbeit anstelle eines Ausbaus der Armee. 

Behauptung: Die Schweiz tut schon genug für die Ärmsten. 

Zwar bekämpft die Schweiz mit ihrer Entwicklungszusammenarbeit Hunger und Armut und stärkt nachhaltige Entwicklung weltweit. Gleichzeitig untergraben aber gewisse Politikbereiche wichtige Erfolge der Entwicklungspolitik – entsprechend gross ist der sogenannte negative Spillover der Schweiz: Immer noch finanzieren unsere Grossbanken fossile Projekte im Ausland. Unser Finanzplatz fördert Gewinnverschiebungen und Steueroptimierung zum Leidwesen von Entwicklungsländern. Wir leben mit unserem grossen Klimafussabdruck auf Kosten der Ärmsten und des Planeten. Hinzu kommt: Zwar erhält die Schweiz für ihre IZA regelmässig gute Noten. Sie setzt dafür aber laut der UNO und der OECD deutlich zu wenig Finanzmittel ein. Andere Staaten leisten im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftskraft (BIP) deutlich mehr Entwicklungszusammenarbeit

Behauptung: Ein Grossteil der Projekte ist wirkungslos. 

Falsch. Unabhängige Evaluationen bescheinigen der Internationalen Zusammenarbeit (IZA) im aktuellen Rechenschaftsbericht des Bundes eine Erfolgsquote von durchschnittlich 80%. Und das, obwohl Entwicklungsprogramme naturgemäss häufig in unsicheren Regionen durchgeführt werden. Seit Jahren wird die Wirkung der IZA im Vergleich zu anderen Bereichen wie Landwirtschaft oder Armee am detailliertesten gemessen und öffentlich dokumentiert. IT- oder Beschaffungsskandale wie sie beim Militär immer wieder vorkommen, oder klima- und biodiversitätsschädigende Subventionen in der Landwirtschaft könnte sich die Entwicklungszusammenarbeit nicht leisten. Ausserdem ist die IZA lernfähig: Entwicklungsprogramme werden kontinuierlich auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort abgestimmt, um die bestmögliche Wirkung zu erzielen. So hilft die IZA in vielen Ländern mit, bessere Lebensperspektiven zu schaffen und die Folgen der Erderwärmung und von Konflikten und Krisen abzumildern. Ohne Entwicklungszusammenarbeit sähe es daher deutlich schlimmer aus. 

Behauptung: Das Geld aus der Schweiz stärkt autoritäre und korrupte Regime. 

Ganz im Gegenteil: In unfreien, schlecht regierten Ländern zielt die Entwicklungszusammenarbeit darauf ab, den Handlungsspielraum von zivilgesellschaftlichen Akteuren wie Mitarbeitenden von lokalen NGOs, Menschenrechtsverteidigern und freien Journalisten ebenso wie Politiker:innen der Opposition und indigenen Völkern zu erweitern. Je mehr sich Regierungen von demokratischen Werten verabschieden, desto wichtiger ist eine unabhängige, informierte und kritische Zivilgesellschaft als Sprachrohr benachteiligter Bevölkerungsgruppen und als Beobachterin von Menschenrechtsverstössen. Wo immer möglich arbeitet die Internationale Zusammenarbeit (IZA) nicht mit Regierungen, sondern direkt mit lokalen Behörden, lokalen NGOs, KMUs, Community-basierten Organisationen und Akteuren aus der Wissenschaft zusammen. Dies gilt ganz besonders dort, wo die Regierung intransparent und gegen ihre eigene Bevölkerung arbeitet. 

Behauptung: In Bezug auf Migration verfehlt die Entwicklungszusammenarbeit ihr Ziel. 

Richtig ist, dass die Internationale Zusammenarbeit (IZA) im Bereich der Migration viel erreicht: Die Entwicklungszusammenarbeit schafft für die Menschen in ärmeren Ländern Perspektiven und faire Chancen. Mit der IZA trägt die Schweiz dazu bei, Grundbedürfnisse zu sichern, Bildung, Gesundheit und Frieden zu fördern, die Menschen vor den Folgen des Klimawandels zu schützen und die Zivilgesellschaft zu stärken. Wo das gelingt, haben Menschen keinen Grund, ihre Heimat zu verlassen. Und überall dort, wo Menschen fliehen müssen, leistet die Humanitäre Hilfe einen Beitrag zum Schutz der Menschen auf der Flucht. Im Übrigen geht es nicht darum, Migration «einzudämmen», sondern Migration, wo sie stattfindet, sicher und human zu gestalten. 

Behauptung: Das Klimaproblem wird masslos überschätzt. 

Falsch. Bereits heute sehen wir: Die Klimaveränderung verknappt das Wasser, gefährdet die Ernährungssicherheit und richtet immer grössere wirtschaftliche Schäden an. Besonders betroffen sind arme Bevölkerungsteile, Minderheiten und Frauen in Entwicklungsländern, denen es an Ressourcen und Widerstandskraft fehlt, um sich ausreichend gegen klimabedingte Extremwetterereignisse zu schützen. Umso wichtiger ist die Internationale Zusammenarbeit (IZA), denn im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit leistet die Schweiz und andere Länder wichtige Unterstützung für ärmere Länder. Dabei stärkt die IZA nicht nur die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) der Menschen, etwa durch Massnahmen zur Anpassung (Adaptation) wie die Förderung von wassersparender agrarökologischer Landwirtschaft, den Bau von Küstendeichen und Wasserreservoiren oder ein vorausschauendes Katastrophenmanagement. Die IZA trägt auch zur Reduktion der Treibhausgasemissionen bei, z.B. durch effektive Massnahmen im Klimaschutz (Mitigation) wie die Förderung von erneuerbaren Energien und nachhaltigen Wertschöpfungsketten, fossilarme Mobilität und eine CO2-arme Stadtentwicklung. Das nützt auch der Schweiz, die sich überdurchschnittlich rasch erhitzt und selbst immer stärker mit zunehmenden Extremwetterereignissen zu kämpfen hat. 

Behauptung: Der «Entwicklungshilfe» fehlt es an unternehmerischem Denken.  

Ganz im Gegenteil. Akteure der Entwicklungszusammenarbeit wie die DEZA und das Seco, aber auch Entwicklungsorganisationen unterstützen in vielen Projektländern gezielt die lokale Wirtschaft. Die Entwicklungszusammenarbeit unterstützt KMUs und ermöglicht ihnen eine erschwingliche Finanzierung ihrer Tätigkeiten. Ein wichtiger Fokus liegt auf der fachlichen Ausbildung junger Menschen sowie dem Aufbau fairer und sauberer Lieferketten, von denen möglichst viele Menschen profitieren. Ist das lokale Gewerbe erfolgreich, schafft es gute Arbeitsplätze und nachhaltige Wertschöpfung vor Ort, ganz im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe. 

Behauptung: Die Schweiz muss sich für ihre Sicherheit jetzt auf die militärische Stärke konzentrieren.  

Nein, denn wir müssen Sicherheit umfassender denken: Es gibt weitere Bedrohungen, das hat die Covid-Pandemie gezeigt, und das zeigen Klimafolgen wie Überschwemmungen, die auch uns betreffen. Die Covid-Pandemie, Kriege und zunehmende Klimaverwüstungen lassen seit einigen Jahren Lebenshaltungskosten, Ungleichheit und die Staatsschulden ärmerer Länder ansteigen. Und sie verschärfen den weltweiten Hunger und unfreiwillige Wanderungsbewegungen in vielen Ländern des Südens. Vor diesem Hintergrund darf die Schweiz nicht nur die eigene Aufrüstung im Blick haben, sondern muss umso stärker auch in die Internationale Zusammenarbeit (IZA) investieren. Denn zivile Friedensförderung und die Stärkung der Menschenrechte, langfristige Entwicklungsprogramme und humanitäre Hilfe, Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen sowie nachhaltige Entwicklung und die Stärkung der lokalen Wirtschaft in ärmeren Ländern tragen nachweislich zu weltweiter Sicherheit und Stabilität bei. Ausserdem – und das sagen ausgewiesene Sicherheitsexpert:innen – sind Kürzungen bei der IZA geopolitisch nicht weise: Damit überlassen wir das Feld zunehmend China und Russland, die das Vakuum füllen. 

Behauptung: Die Schweiz muss sparen und darf sich nicht noch stärker verschulden. 

Das ist in der gegenwärtigen Lage ein gefährliches Spiel. Denn die Welt steht vor riesigen Herausforderungen. Die Corona-Pandemie hat zu einer Zunahme der Armut geführt. Die Gewalt in der Ukraine hat eine neue Dimension erreicht. Weltweit sind Demokratien auf dem Rückzug, und die Menschenrechte geraten vielerorts unter Druck. Kriege und Klimaverwüstungen sorgen für immer mehr Armut, Hunger und Vertreibung. Doch anstatt in internationale Zusammenarbeit, weltweiten Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung zu investieren, halten bürgerliche Politiker:innen strikte an der schweizerischen Schuldenbremse fest. Und dies, obwohl die Schulden im Verhältnis zur schweizerischen Wirtschaftskraft (BIP) sogar zurückgehen. Dabei wäre die Schweiz mit einer leicht höheren Schuldenquote immer noch Weltspitze – ohne Einbussen beim Wohlstand hinnehmen zu müssen. Jetzt nicht zu handeln, kostet in Zukunft mehr. 

Patrik Berlinger | © Maurice K. Gruenig
Verantwortlicher Politische Kommunikation
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