Am UNO-Klimagipfel ist ein Solidaritätsfonds zur Entschädigung armer Länder für die Folgen der Klimaveränderung beschlossen worden. Nun gilt es, den Fonds mit ausreichend Geld aufzufüllen. Zentral dabei: Schäden und Verluste dürfen nicht aus dem öffentlichen Entwicklungshilfe-Budget bezahlt werden. Stattdessen müssen jene zahlen, die tatsächlich für die Klimakrise verantwortlich sind. Auch die Schweiz muss mit konkreten und gangbaren Finanzierungsvorschlägen an die nächste Klimakonferenz 2023 reisen.
Am jüngsten UNO-Klimagipfel (COP27) gelang bei der Entschädigung finanzschwacher, klima-exponierter Länder des globalen Südens ein Durchbruch. Tatsächlich einigte sich die Staatengemeinschaft auf die Einrichtung eines Fonds für Schäden und Verluste. Ein grosser Schritt in Richtung «Klimagerechtigkeit». Der Fonds ist allerdings noch ein «Empty Pot», der nun mit angemessenen und verlässlichen finanziellen Mitteln ausgestattet werden muss. Woher die Gelder kommen sollen, und für welche Länder sie bestimmt sind, darüber verhandeln die Staaten im nächsten Jahr an der Klimakonferenz in Dubai.
Die Schweiz wird sich der Diskussion nicht entziehen können. Sie gehört zu den wohlhabenden Industrieländern mit grossem Klimafussabdruck und entsprechend grosser Klimaverantwortung. Damit die Schweizer Verhandlungsdelegation mit konkreten Ideen an die COP28 reisen kann, bedarf es einer guten Vorbereitung. Der neu gewählte Vorsteher des Umweltdepartements, Albert Rösti, und sein Parteikollege, Wirtschaftsminister Guy Parmelin, sind dazu angehalten, gangbare Vorschläge für eine sozialverträgliche und verursachergerechte Mobilisierung neuer Gelder auszuarbeiten.
Die drei Pfeiler zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen
Schäden und Verluste sind trotz Bemühungen im Klimaschutz (Mitigation) und in der Anpassung an die negativen Klimafolgen (Adaptation) nicht vermeidbar. Sie umfassen die Zerstörung von Existenzgrundlagen, von Häusern und Gebieten, für die ein wirtschaftlicher Wert berechnet werden kann. Negative Klimafolgen für die Land- und Forstwirtschaft sowie für die Fischerei sind ebenso gemeint wie der Ausfall kritischer Infrastrukturen und die Unterbrechung von Lieferketten. Hinzu kommen nicht-wirtschaftliche Verluste wie der Tod von Familienangehörigen, das Verschwinden von Kulturen und Lebensweisen oder das Trauma der erzwungenen Vertreibung aus der angestammten Heimat. Solche Verluste sind schwierig zu monetarisieren, haben aber schwerwiegende Auswirkungen auf das Wohlergehen der betroffenen Menschen. Um nur ein Beispiel aus dem laufenden Jahr zu nennen: Rekordmonsun und Gletscherschmelze, die zu unvorstellbaren Überschwemmungen in Pakistan geführt haben, betreffen 33 Millionen Menschen und kosten das Land schätzungsweise 30 Milliarden US-Dollar.
Über viele Jahre haben sich die wohlhabenden Industrieländer dafür eingesetzt, die Entschädigung von Schäden und Verlusten über Katastrophenrisiko-Versicherungen und die humanitäre Hilfe im Rahmen der Internationalen Zusammenarbeit zu finanzieren. Doch, während diese Instrumente unbestritten einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der schlimmsten Schäden leisten, erfassen und decken sie nicht annähernd das ganze Ausmass des Problems. Die verfügbaren Mittel reichen für den globalen humanitären Bedarf bei weitem nicht; nie war die Finanzierungslücke bei der Humanitären Hilfe grösser als heute.
Entwicklungs- und Klimafinanzierung bereits zu tief
Die Länder, die bereits heute unter verheerenden Klima-Verwüstungen leiden, befürchten, dass es Jahre dauern wird, bis es der internationalen Staatengemeinschaft gelingt, den neuen Fonds für Klimaschäden zu füllen. Und das aus gutem Grund: Bislang zahlen die Industrieländer noch nicht einmal, worauf sie sich schon 2009 verpflichtet hatten – nämlich jährlich 100 Milliarden US-Dollar, um die Entwicklungsländer beim Klimaschutz und in der Anpassung zu unterstützen. Dafür sollten gemäss Vereinbarung neue Gelder generiert werden; die Staaten sollten sich nicht aus dem Etat für die Entwicklungszusammenarbeit bedienen.
Aktuelle Zahlen der OECD zeigen: Derzeit werden 83 Milliarden US-Dollar eingesetzt – der grösste Teil davon weder zusätzlich zur Entwicklungsfinanzierung noch ausreichend, um Klimaanpassungsmassnahmen zu finanzieren, etwa für wassersparende Landwirtschaftsmethoden, zum Bau von Dämmen oder Wasserauffangbecken, für Massnahmen in der Risikoverminderung bei Naturkatastrophen oder zur Vorbeugung von Verwüstung und Küstenerosion.
Dass die wohlhabenden Länder das 100-Milliarden-Ziel verfehlen, liegt auch an der Schweiz. Nicht nur setzt der Bundesrat den «fairen Anteil» der Schweiz an der Internationalen Klimafinanzierung zu tief an. Er sorgt auch dafür, dass die Schweiz praktisch den gesamten Anteil aus dem Entwicklungshilfe-Budget zahlt. Der Schweizer Beitrag an die Internationale Klimafinanzierung ist also weder ausreichend noch neu und zusätzlich zur Entwicklungszusammenarbeit.
Finanzierungsvorschläge gemäss Verursacherprinzip
Im Hinblick auf die schweizerische Finanzierung von Schäden und Verlusten bedeutet das zweierlei: Erstens dürfen die Beiträge nicht erneut aus dem bestehenden Entwicklungshilfe-Budget finanziert werden. Zweitens darf es innerhalb der bestehenden Klimafinanzierung nicht einfach zu einer Verschiebung der Mittel weg von Mitigation und Anpassung hin zu Schäden und Verlusten kommen. Notwendig sind innovative Finanzierungsquellen. Und diese müssen verursachergerecht und sozialverträglich mobilisiert werden. Vier Ansätze, die international diskutiert werden, sind für die Schweiz relevant und zu prüfen:
Subventionen umlenken: Der Beschlusstext der COP27 anerkennt, dass die globale Energiekrise die Welt dazu zwingt, die Energiesysteme sicherer, zuverlässiger und widerstandsfähiger zu machen. Bereits in diesem Jahrzehnt gilt es, den sauberen und gerechten Übergang zu erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Mit dem Green Deal schien Europa der gewünschten Klimaneutralität bis 2050 näher zu kommen. Eine 2020 veröffentlichte «Investigate Europe»-Recherche zeigt jedoch, wie gross die Hürden sind: Die EU-Regierungen sowie Grossbritannien, Norwegen und die Schweiz subventionieren fossile Brennstoffe jedes Jahr mit mindestens 137 Milliarden Euro. Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin werden auch in der Schweiz künstlich verbilligt – Kosten, die von der Allgemeinheit und nicht vom Verursacher getragen werden. Die Schweiz muss die klimaschädlichen Subventionen für fossile Brennstoffe auslaufen lassen und das Geld anderweitig einsetzen: Zum einen, um ärmere Bevölkerungsteile und schlecht an den öffentlichen Verkehr angebundene Randregionen in der Schweiz gezielt zu unterstützen, und zum anderen, um die Behebung von Schäden und Verlusten in den am meisten betroffenen Ländern mitzufinanzieren.
Flugabgabe erheben: Flüge können nur so günstig angeboten werden, weil die Flugbranche von speziellen Privilegien profitiert. Die Preise widerspiegeln nicht die wahren Kosten, die das Fliegen auf Gesellschaft und Umwelt hat. Auch darum hat sich der Flugverkehr weltweit seit 1990 fast verdreifacht. Der Trend trifft auch auf die Schweiz zu. Selbst die Covid-Pandemie hat daran wenig geändert. Die Schweiz sollte eine Flugabgabe oder Kerosinsteuer einführen, wie dies viele andere Länder bereits kennen. Das sorgt für mehr Kostenwahrheit und setzt die richtigen Anreize für individuellen Klimaschutz – und könnte zusätzlich Mittel für die Entschädigung von Klimaschäden generieren.
Fossil-Unternehmen besteuern: Um das Netto-Null-Ziel bis zur Mitte des Jahrhunderts zu erreichen, spielen Schweizer Unternehmen eine enorm wichtige Rolle: Multinationale Konzerne tragen über ihre Geschäftstätigkeiten in ärmeren Ländern massgeblich zu den globalen Emissionen und damit zur Klimakrise bei. Allein die direkt kontrollierte und importbedingte Treibhausgaslast von international tätigen Unternehmen mit Sitz in der Schweiz entspricht laut der Studie «Klimastandort Schweiz» von McKinsey dem Sieben- bis Zehnfachen des Schweizer Inlandausstosses. Besonders relevant ist der Rohstoffhandel mit Öl, Gas und Kohle. Recherchen von Public Eye zeigen: Schweizer Firmen wickeln 40 Prozent des weltweiten Handels mit Kohle ab. Der mit der Förderung, dem Transport und der Verbrennung verbundene CO2-Ausstoss entspricht den jährlichen Emissionen der USA. Rohstofffirmen wie Glencore, Trafigura und Vitol, deren Geschäftsmodell auf Kosten des globalen Klimas und der Umwelt in ärmeren Ländern geht, erzielen derzeit riesige Gewinne. Eine neue Gewinn- oder Umsatzabgabe zur Entschädigung von Klimaschäden in Entwicklungsländern ist im Sinne der Verursachergerechtigkeit mehr als gerechtfertigt.
Finanztransaktionssteuer einführen: Das Pariser Klimaabkommen 2015 nimmt auch die Finanzbranche in die Verantwortung. Der weltweit relevante Schweizer Finanzsektor muss sich also ebenfalls nach dem Pariser Klima-Ziel ausrichten. Aktuell können schweizerische Finanzinstitute wie Banken und Vermögensverwalter, Pensionskassen und Versicherungen – auf Initiative des Bundesamtes für Umwelt und in Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen – freiwillig an einem Klimatest teilnehmen. Die Ergebnisse machen auf einzelne positive Beispiele aufmerksam, zeigen aber vor allem, dass der Schweizer Finanzsektor weit vom Netto-Null-Kurs entfernt ist. Nach wie vor wird massiv in fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas investiert, wodurch Klimakatastrophen im Süden zusätzlich befeuert und die weltweiten Anstrengungen in Richtung Klimaneutralität unterwandert werden. Bei der Performance in Sachen Klima- und Biodiversität hinken die beiden Schweizer Grossbanken ihren europäischen Konkurrenten hinterher. Anstatt sich auf Freiwilligkeit zu verlassen, braucht es verpflichtende Zielvorgaben und glaubwürdige Klimapläne. Leider fehlen auch in den vom Bundesrat letzte Woche verabschiedeten Massnahmen für einen nachhaltigen Finanzplatz verbindliche Anforderungen an Finanzinstitute. Abgaben auf Investitionen in klimaschädliche Industrien (z.B. im Sinne einer Transaktionssteuer) würden einen angemessenen Anreiz für klimaverträgliches Handeln bieten und könnten gleichzeitig Finanzmittel zur Entschädigung von Schäden an Infrastruktur und Verlust von Existenzen in vulnerablen Ländern mobilisieren.
Will sich die Schweiz an der multilateralen Diskussion über den neuen Fonds und dessen Äufnung beteiligen, können Parlament und Bundesrat nicht zuwarten. Diese Vorschläge gilt es rasch und ernsthaft zu prüfen.