Ignazio Cassis und Pascale Baeriswyl UN New York  | © Eskinder Debebe / United Nation

Zwei Jahre Schweiz im UNO-Sicherheitsrat

Allen Widrigkeiten zum Trotz: Unser Land konnte etwas bewegen
VON: René Holenstein, Bernd Steimann - 18. Dezember 2024
© Eskinder Debebe / United Nation

In den vergangenen zwei Jahren konnte die Schweizer Diplomatie zeigen, dass sie auch auf höchster Ebene Akzente setzen kann. Angesichts der tiefen Gräben in der Weltpolitik ist das eine beachtliche Leistung. Während die Schweiz dafür international gewürdigt wird, werden die UNO und der Multilateralismus im Inland zunehmend – und völlig zu Unrecht – geringgeschätzt. 

Die zweijährige Mitgliedschaft der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat (2023/2024) fiel in eine Zeit zunehmender globaler Instabilität und Blockbildung. Die Zahl der Konflikte hat dramatisch zugenommen: Vor 25 Jahren wurden weltweit etwa 20 Konflikte registriert, heute sind es über 120. Nur wenige davon schaffen es jedoch in die Schlagzeilen. Während der Fokus der Öffentlichkeit primär auf der Ukraine und dem Nahen Osten liegt, geraten viele «vergessene Krisen» aus dem Blickfeld: In Äthiopien hat ein seit sechs Jahren andauernder Bürgerkrieg Hundertausende Menschenleben gefordert. Im Sudan hungern 26 Millionen Menschen; 13 Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht. Und in der Demokratischen Republik Kongo ist die Zahl der intern Vertriebenen auf über sieben Millionen Menschen angestiegen. Dabei verletzen die Kriegsparteien das Kriegsvölkerrecht oft gezielt und systematisch, ignorieren die Neutralität humanitärer Akteure und erschweren oder verhindern Hilfe für die notleidende Bevölkerung. Durch Sparübungen in reichen Ländern gerät derweil die internationale Finanzierung für humanitäre Hilfe massiv unter Druck

Parallel dazu verschärfen sich die Spannungen zwischen den Weltmächten, und neu formierte Machtblöcke führen zu einer immer stärkeren Polarisierung. Das zeigt sich etwa bei Beratungen an Klima- und Umweltkonferenzen oder bei der gemeinsamen Lösungsfindung in Migrations- und Handelsfragen. Dies alles verunmöglicht Konfliktlösungen mittels internationaler Diplomatie zusehends. So konnte der UNO-Sicherheitsrat trotz rund 75 (!) Sitzungen seit Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine keine einzige Resolution zu diesem Konflikt verabschieden. Auch im Nahostkonflikt sind die Gräben offensichtlich: Von elf vorgeschlagenen Resolutionen zum Krieg in Gaza wurden sieben blockiert, nur vier wurden verabschiedet. 

Schweizer Diplomatie setzt wichtige Akzente 

Der Bundesrat hatte 2022 vier thematische Prioritäten für die zweijährige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat festgelegt: Friedensförderung, Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten, «Klimasicherheit» und die Stärkung der Effizienz des UNO-Sicherheitsrats. Ausgehend davon konnte die Schweizer Diplomatie – nachdem sie bereits 2023 wichtige Impulse gesetzt hatte – auch im Jahr 2024 einige konkrete Erfolge erzielen. So nahm der Rat im Mai 2024 die von der Schweiz eingebrachte Resolution 2730 zum Schutz des humanitären Personals an. Sie bekräftigt die Forderung, «das humanitäre Personal und UNO-Personal» in Konfliktsituationen unter besonderen Schutz zu stellen. Bereits im März 2024 verabschiedete der Rat eine von den zehn nicht-ständigen Ratsmitgliedern ausgehandelte Resolution zu einem Waffenstillstand in Gaza. Diese Resolution trug auch die Handschrift der Schweiz, die in ihren Stellungnahmen die Einhaltung der völkerrechtlichen Verpflichtungen durch alle Kriegsparteien in den Vordergrund stellte. 

Auch in regionalen Dossiers wie Westafrika, Syrien und Bosnien-Herzegowina übernahm die Schweiz eine gewichtige vermittelnde Rolle bei Verhandlungen und Beschlüssen. In der Friedensförderung betonte sie die Rolle der Frauen für Sicherheit und Frieden sowie den Zusammenhang zwischen Klima und Sicherheit. Darüber hinaus prägte sie die Ratsagenda aktiv mit, etwa durch die Organisation hochrangiger Debatten zur Ukraine und Nuklearsicherheit sowie zu Klimafragen. Als ‘Hüterin des Völkerrechts’ mit dem UNO-Zweitsitz in Genf setzte sich die Schweizer Vertretung in New York zudem – wenn auch oft in generischer, unbeherzter, diplomatischer Sprache – für den Schutz von Zivilpersonen und die Förderung der Menschenrechte ein. Auch innovative Ansätze wie die «Wissenschaftsdiplomatie» wurden von der Schweiz im Rat eingebracht. 

Der Wert des diplomatischen Engagements bleibt oftmals im Verborgenen 

Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Helvetas begrüssten die Mitgliedschaft der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat von Beginn weg. Schon früh schlugen sie dem Aussendepartement EDA konkrete Prioritäten vor, um Sicherheits- und Entwicklungspolitik miteinander zu verknüpfen. Dazu gehörten der globale Hunger, die Klimapolitik, die Rolle der Frauen für Frieden und Sicherheit, das humanitäre Völkerecht und die Stärkung der Menschenrechte – aber auch konkrete Konflikte und humanitäre Krisen, bei welchen die Schweiz zu einer Lösungsfindung beitragen sollte. Auch das EDA zeigte Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und etablierte ab 2021 halbjährliche Austauschtreffen mit Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen und der Wissenschaft. Dazwischen fanden Treffen im kleineren Kreis zu spezifischen Themen statt. Als sich das Parlament mit der Rolle der Schweiz im Sicherheitsrat befasste, setzte es zusätzliche inhaltliche Schwerpunkte, so etwa die humanitäre Krise in Myanmar, die Lage der Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch, oder die globale Hunger- und Ernährungskrise

Einige dieser Themen fanden Eingang in die offizielle Schweizer Position, und in einzelne Verlautbarungen und Stellungnahmen, über welche der Bund auch via Social Media regelmässig informierte. Für Aussenstehende ohne Kenntnis der diplomatischen Codes und Prozesse jedoch blieb es meist schwierig bis unmöglich, den Wert einzelner Vorstösse zu beurteilen und konkrete Fortschritte zu erkennen. Auch in der breiten Öffentlichkeit blieb das Engagement der Schweiz meist unbeachtet. Wurde die Rolle der Schweiz im Sicherheitsrat vor 2023 noch kontrovers diskutiert (Stichwort: Vereinbarkeit mit der schweizerischen Neutralität), so gab es seit Januar 2023 kaum mehr eine öffentliche Auseinandersetzung. Man kann das als positives Zeichen für die reibungslose Arbeit der Schweizer Diplomatie werten – oder aber als verpasste Chance, einer breiten Öffentlichkeit den Wert des internationalen Engagements der Schweiz zu vermitteln. 

Starker Auftritt in New York, mangelnde Verantwortung in Bern 

Diskussionspotential wäre auf jeden Fall vorhanden gewesen. In New York vertrat die Schweiz eine völker- und menschenrechtsorientierte Haltung, während die Bundespolitik in Bern dazu widersprüchlich blieb. Während der Bundesrat in New York wiederholt die Schweizer Solidarität mit der Ukraine betonen liess, zeigt er sich bei der tatsächlichen Unterstützung des kriegsgebeutelten Landes zurückhaltend – und zweigt die entsprechenden Gelder erst noch aus dem Budget der Entwicklungszusammenarbeit ab. Ebenso weigert sich die Schweiz, alle Russland-Sanktionen der EU zu übernehmen, wobei besonders die weiterhin erlaubte Rechtsberatung für russische Oligarchen sowie die anhaltenden Umgehungsgeschäfte im Öl- und Gashandel über Tochterfirmen von Schweizer Rohstoffhändlern zu reden geben.  

Offensichtlich ist die Diskrepanz auch in der Klimapolitik. Während die Schweiz im Sicherheitsrat innovative Ansätze zur Verbindung von Klima und Sicherheit einbrachte, rutscht sie im Climate Change Performance Index auf den 33. Platz ab. Kritisiert wird insbesondere der ungenügende Klimaschutz im Inland, die sehr grosse Klimakompensation in ärmeren Ländern sowie der Finanzmarkt, der nach wie vor viel zu schwach reguliert wird und ungehindert in fossile Industrien weltweit investiert. Und an der COP29 wurde deutlich, dass es der Schweiz auch an der Bereitschaft fehlt, ihre Klimaunterstützung für ärmere Länder angemessen auszubauen.

Besonders inkonsistent und kurzsichtig ist schliesslich die kurz vor Weihnachten beschlossene Kürzung des Budgets für die Internationale Zusammenarbeit (IZA). Zwar sind die konkreten Auswirkungen auf das entwicklungs-, friedens- und menschenrechtspolitische Engagement der Schweiz noch nicht im Detail bekannt. Klar ist aber, dass mehrere Programme und Projekte beendet werden müssen, was den bis anhin guten Ruf der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit beeinträchtigen wird.  

Notwendig ist eine weltoffene und solidarische Aussenpolitik 

Allen engagierten Statements und wichtigen Resolutionen im Sicherheitsrat zum Trotz gerät die Schweiz mit ihrem internationalen Engagement also immer mehr ins Hintertreffen. Die zunehmende innenpolitische Skepsis gegenüber der UNO und dem Multilateralismus allgemein, die Rückbesinnung auf kurzsichtige Eigeninteressen und der damit verbundene Rückzug ins Innenpolitische gefährden die Glaubwürdigkeit der Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen und als ‘Hüterin des Völkerrechts’.

Zuversichtlich stimmt hingegen, dass die Schweiz von 2025 bis 2027 Mitglied des UNO-Menschenrechtsrats sein und im kommenden Jahr gleich dessen Präsidium übernehmen wird. Dadurch lassen sich verschiedene Initiativen aus dem Sicherheitsrat weiterverfolgen. Das wird sie aber nur dann glaubwürdig tun können, wenn sie ihre Aussen- und Entwicklungspolitik konsequent auf die Agenda 2030 und deren Ziele für nachhaltige globale Entwicklung ausrichtet. Nur so gelingt es der Schweiz, nicht nur durch klare Worte auf dem diplomatischen Parkett, sondern auch durch messbare Taten in der Welt ihren Ruf als glaubwürdige Kraft für Menschlichkeit, Frieden und Gerechtigkeit wieder zu stärken.  

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