Mrs Jintana Thongiam harvesting rice, Thailand | © Coop, Switzerland

Privatsektor und Entwicklungszusammenarbeit

Wie verantwortungsbewusste Unternehmen nachhaltige Entwicklung stärken
VON: Matthias Herfeldt - 16. Januar 2025
© Coop, Switzerland

Die allermeisten Unternehmen halten sich an Umweltstandards und die Menschenrechte. Einige international tätige Firmen jedoch setzen sich über diese Regeln hinweg – auf Kosten der Lokalbevölkerung, der Umwelt und des Klimas. Seit Jahren arbeitet Helvetas mit Unternehmen zusammen; allerdings nur dann, wenn nationale und internationale Standards eingehalten werden. Dann nämlich leisten sie einen entscheidenden Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung.  

Am 7. Januar wurde die neue Konzernverantwortungs-Initiative lanciert. Droht nun erneut eine politische aufgeladene und laut ausgetragene Debatte, wie sie im Abstimmungskampf der ersten KVI-Initiative im Jahr 2020 zu beobachten war? Leider gingen in jenem Abstimmungskampf differenzierte Positionen und nuancierte Ansichten unter. Daher wollen wir als grosse und politisch breit abgestützte Entwicklungsorganisation eine nüchterne und sachliche Einordnung bieten. 

Helvetas unterstützt die neue Initiative, weil sie sich an UNO- und OECD-Standards für Wirtschaft und Menschenrechte orientiert, um für alle Firmen gleich lange Spiesse zu schaffen und negative Auswüchse zu verhindern. Heute profitieren oft jene wenigen Konzerne, die gesetzliche Schlupflöcher oder mangelhafte Rechtsumsetzung nutzen, weil dies zu tieferen Kosten und zu höheren Gewinnen führt. 

Künftig sollen die vielen Unternehmen belohnt werden, die bereits heute aus einer unternehmerischen Verantwortung heraus mögliche schädliche Auswirkungen bedenken und im Sinne einer umfassenden Nachhaltigkeit nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale und ökologische Aspekte berücksichtigen. 

Wir sind der Überzeugung: Die neue Initiative schadet der Wirtschaft nicht. Ganz im Gegenteil. Denn: Forderungen nach Geschwindigkeitsbeschränkungen oder Gurtpflicht im Strassenverkehr bedeuten ja z.B. auch keine Frontalopposition gegen den motorisierten Individualverkehr, sondern sie erhöhen schlicht die Sicherheit, minimieren Risiken und Schäden und senken letztlich die Gesundheitskosten für die gesamte Gesellschaft. 

Ohne die Wirtschaft geht es nicht 

Aus unserer 70-jährigen Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit in über 30 Ländern in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa wissen wir: Ohne privates Unternehmertum geht es nicht. Deshalb fördern wir lokale (Klein-)Unternehmen und wecken bei Menschen den Unternehmergeist, damit sie ein eigenes Business aufbauen. 

Zum Beispiel in Äthiopien, wo wir uns in der Berufsbildung von Jugendlichen engagieren. Dafür arbeitet Helvetas vorwiegend mit privaten Ausbildungsinstituten zusammen. Diese orientieren sich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und vermitteln den Absolvent:innen auch betriebswirtschaftliches Know-How. Die Zusammenarbeit mit den Ausbildungsanbietern ist anreizorientiert ausgestaltet. Das volle Honorar wird ihnen erst ausbezahlt, wenn die Jugendlichen tatsächlich eine Anstellung finden oder ein eigenes Unternehmen gründen.  

Ein anderes Projekt unterstützt ethnische Minderheiten im gebirgigen Norden Vietnams dabei, das touristische Potential der Region zu nutzen und einen sanften Tourismus aufzubauen. Und in Bolivien arbeitet Helvetas mit Kleinbauernfamilien im Amazonasgebiet, damit diese auf eine umweltschonende Art hochwertigen Kakao produzieren und zu vermarkten lernen. 

Damit sich schwache Volkswirtschaften dynamisieren können, braucht es aber auch (möglichst ökologischen) internationalen Handel und (nachhaltigkeitsbewusste) Investitionen ausländischer Unternehmen. Helvetas arbeitet deshalb in Dutzenden von Projekten mit Unternehmen aus der Schweiz und anderen Ländern zusammen. Gemeinsam etablieren wir nachhaltige – d.h. umweltschonende und sozial verantwortungsbewusste – Wertschöpfungsketten, fördern die Qualität von Berufsausbildung oder kreieren neue Finanzinstrumente, bei denen nicht nur Investor:innen auf ihre Rechnung kommen, sondern von denen auch benachteiligte Bevölkerungsschichten in unseren Projektländern profitieren.  

Beispiel: Coop und Helvetas für Bio-Fairtrade-Reis 

Seit über einem Jahrzehnt engagiert sich Helvetas im Auftrag von Coop bzw. ihrer Tochtergesellschaft Reismühle Nutrex für die biologische Produktion und den fairen Handel von Basmati-Reis in Indien und Jasmin-Reis in Thailand. Das Projekt sichert einerseits das Auskommen der Bauernfamilien, zum anderen fördert es die ökologische Nachhaltigkeit der Reisproduktion: Bäuerinnen und Bauern lernen, wie sie sich an die aufgrund des Klimawandels veränderten Umweltbedingungen anpassen können, wie sie die Biodiversität erhöhen, das knappe Wasser effizienter einsetzen und Treibhausgasemissionen verringern. Schliesslich ermöglicht das Projekt die zuverlässige Lieferung von zertifiziertem Reis von hoher Qualität an Coop.

Beispiel: Volvo und Helvetas für nachhaltiges Transportwesen 

Während in den westlichen Balkanländern viele junge Erwachsene auf der Suche nach Arbeit und Auskommen ins europäische Ausland auswandern, herrscht in der Region ein erheblicher Fachkräfte-Mangel im Transportwesen, namentlich im Hinblick auf die notwendige ökologische Transformation des Sektors. Um Abhilfe zu schaffen, bieten die Volvo-Gruppe in Zusammenarbeit mit Helvetas und der schwedischen Entwicklungsagentur Sida neue spezialisierte Ausbildungsgänge und Weiterbildungen für Mechatroniker und Lkw-Fahrerinnen an – mit einem Fokus auf die Jungend und Frauen. An ausgewählten Partner-Berufsschulen lernen sie, wie Elektro-, Hybrid- und andere Lastwagentypen fachgerecht gewartet und emissionsarm betrieben und gefahren werden. Das Projekt wurde im Jahr 2024 in Serbien, Bosnien-Herzegowina und Nordmazedonien lanciert und soll auf weitere Länder in Osteuropa ausgeweitet werden. 

Beispiel: iGravity und Helvetas für Investitionen mit Sozialwirkung 

iGravity, eine Schweizer Firma mit Fokus auf Impact Investments, entwickelt gemeinsam mit Helvetas einen Green Bond zur Stärkung nachhaltiger Reiswertschöpfungsketten. Der Green Rice Bond (GRB) soll zu Beginn des nächsten Jahres lanciert werden und fokussiert auf Länder in Subsahara-Afrika, wo Reis ein wichtiges Grundnahrungsmittel ist. Aufgrund demographischer Veränderungen und von veränderten Ernährungsgewohnheiten steigt die Nachfrage stetig und muss trotz grossem Anbaupotential zu einem grossen Teil über Importe aus Asien gedeckt werden. Der GRB ist eine Form des sog. Impact Investment, das heisst ein Finanzvehikel, das nebst dem Ziel einer finanziellen Rendite auch eine positive Wirkung für Menschen und Umwelt generiert. 

Geplant ist eine gemischte Finanzierungsstruktur (Blended Finance), die Kapital von privaten und öffentlichen (zu vorteilhaften Bedingungen) Investoren beschafft und diese Mittel, durch lokale und internationale Finanzintermediäre, zur Finanzierung verschiedener Akteure im Reissektor (Produzentenvereinigungen, Verarbeiter, Zwischenhändler usw.) einsetzt. Ein rascher und einfacher Zugang zu Kapital zu guten Konditionen beschleunigt den erwünschten und nachhaltigen Produktivitätsfortschritt entlang der Reis-Wertschöpfungskette. Konkret wollen die Projektpartner mit dem GRB die Ernährungssicherheit für die lokale Bevölkerung erhöhen, ihre Einkommen steigern, die Lebensbedingungen für Kleinbäuer:innen verbessern und den ökologischen Fussabdruck der Reisproduktion reduzieren. Unter anderem dank wassersparender Produktionsmethoden. 

Potential und Grenzen 

Die UNO setzt grosse Hoffnung auf den Privatsektor. Für die Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG) braucht es ein Mehrfaches der Finanzmittel, die die Staaten heute dafür aufbringen (können). Um das Potenzial auszuschöpfen, müssen die Anstrengungen massiv verstärkt werden: 

  • Es braucht allgemein eine stärkere Bereitschaft des Privatsektors, seine gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen, die gesamten Tätigkeiten im eigenen Interesse konsequent an den Erfordernissen der nachhaltigen Entwicklungsagenda (Agenda 2030) auszurichten, und vermehrt auch in Ländern und Sektoren mit höherem Risiko zu investieren. 

  • Es braucht deutlich mehr Impact Investments im Entwicklungskontext: Eine aktuelle Studie von Alliance Sud zeigt, dass lediglich ein gutes Promille aller verwalteten Vermögen der Banken in der Schweiz sog. Impact Investments sind. Und davon entfallen nur ein kleiner Teil auf afrikanische Länder südlich der Sahara (13 Prozent) bzw. auf Sektoren, die Grundbedürfnisse abdecken (Ernährung und Landwirtschaft: 10 Prozent; Wohnen, Wasser, Gesundheit und Bildung zusammen 2 Prozent).  

  • Es braucht verstärkt die Bereitschaft der verschiedenen Akteure (Unternehmen, Staaten und NGOs) zur Zusammenarbeit, wie in den oben dargestellten Beispielen – mit dem Ziel, die wirtschaftliche Profitabilität mit der sozialen Verantwortung und der ökologischen Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen. 

  • Schliesslich ist eine kluge und ausgewogene staatliche Regulierung unausweichlich, wie sie die neue Konzernverantwortungs-Initiative für die Schweiz fordert. Einerseits, weil die Vergangenheit zeigt, dass Freiwilligkeit nicht garantiert, dass soziale und Umweltstandards überall und immer eingehalten werden. Andererseits, um schwarze Schafe einzuhegen und Rückschritte in der nachhaltigen Entwicklung zu verhindern. Denn das können wir uns schlicht nicht mehr leisten. 

© Helvetas
Leiter Kommunikation
Matthias Herfeldt