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Konzernverantwortung zum zweiten

Warum abwarten für die Schweiz keine gute Strategie ist
VON: Bernd Steimann - 07. Januar 2025
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Am 7. Januar wurde die neue Konzernverantwortungs-Initiative lanciert. Vier Jahre nach einer denkwürdigen Volksabstimmung mag dies manchen als Zwängerei erscheinen. Doch es gibt gute Gründe, das Thema gerade jetzt wieder aufs Tapet zu bringen, denn die Ausgangslage hat sich seit 2020 fundamental geändert. 

Knapper fiel eine Volksabstimmung selten aus: Am 29. November 2020 befürworteten zwar 50.7% der Schweizer Stimmbevölkerung die Initiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt», kurz Konzernverantwortungsinitiative (KVI). Doch weil sich gleichzeitig eine Mehrheit der Kantone gegen das Anliegen aussprach, fiel es schliesslich durch. Eine Initiative, die trotz Volksmehr nicht reüssiert, ist sehr aussergewöhnlich – und aussergewöhnlich war auch der äusserst intensive Abstimmungskampf in den Wochen und Monaten vor dem Urnengang. 

Auf der einen Seite eine historisch einmalige Allianz aus über 130 Organisationen der Schweizer Zivilgesellschaft (darunter Helvetas), welche verbindliche Menschenrechts- und Umweltstandards für im Ausland tätige Schweizer Konzerne forderte. Unterstützt wurden sie von den Kirchen sowie zahlreichen Unternehmer:innen. Auf der anderen Seite der Bundesrat und die grossen Wirtschaftsverbände, welche sich gegen die «extreme» und «wirtschaftsfeindliche» Initiative zur Wehr setzten. Ihr wichtigstes Argument: Die Schweiz könne sich keinen Alleingang leisten, sondern solle international koordiniert vorgehen. Dieses Versprechen, von der zuständigen Justizministerin vor der Abstimmung dutzendfach und auf allen Kanälen wiederholt, trug gemäss Nachwahlbefragung massgeblich zur knappen Ablehnung bei. 

Von der Vorreiterin zur Nachzüglerin 

Tatsächlich besass die erste Konzernverantwortungsinitiative noch einen gewissen Pioniercharakter, als Ende November 2020 darüber abgestimmt wurde. Zwar diskutierten damals im europäischen Kontext ein halbes Dutzend Länder ein solches Gesetz, aber erst Frankreich hatte es bereits in Kraft gesetzt. Andere Länder hatten themenspezifische Gesetze beschlossen, etwa die Niederlande (Kinderarbeit), Grossbritannien (Moderne Sklaverei) oder die EU (Konfliktmineralien). Diese regelten die Auslandstätigkeit von Konzernen allerdings nur teilweise und auf sehr unterschiedliche Weise. Gemeinsam war ihnen der Bezug zu den UN Guiding Principles on Business and Human Rights (Ruggie Principles), welche die Vereinten Nationen 2011 publiziert hatten, und die auch der eigentliche Anstoss für die erste KVI gewesen waren. Auch wenn sich der europäische Trend also bereits deutlich abzeichnete, war der bundesrätliche Verweis auf einen Schweizer Alleingang zumindest teilweise korrekt. Allerdings teilten längst nicht alle Beobachter:innen die Befürchtung des Bundesrats, finanzstarke Konzerne würden bei einem Ja zur Vorlage die Schweiz verlassen.

Heute, bloss vier Jahre später, sieht die Sache anders aus – und nicht wenige sind überrascht, dass es so schnell gegangen ist. Denn während sich die Schweiz nach der Abstimmung daran machte, den vom Bundesrat formulierten indirekten Gegenvorschlag – eine erweiterte, aber letztlich wirkungslose Berichterstattungspflicht für Unternehmen in Sachen Umwelt und Menschenrechten – umzusetzen, machte die Europäische Union (EU) rasch Nägel mit Köpfen. Auf Initiative des EU-Justizkommissars wurde die Ausarbeitung einer EU-weiten Konzernregulierung gemäss den Ruggie Principles vorangetrieben. Nach einigem Hin und Her verabschiedete das EU-Parlament im Mai 2024 schliesslich die European Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD, zu deutsch Europäische Lieferkettenrichtlinie), die bald für alle Länder Gültigkeit haben wird. 

Europäische Lieferkettenrichtlinie (EU-CSDDD) – die wichtigsten Punkte 

Zu behaupten, die EU habe damit einfach getan, was die Schweiz zuvor verworfen hatte, würde allerdings zu kurz greifen. Denn die CSDDD, welche nun alle EU-Mitgliedstaaten bis Mitte 2026 in nationales Recht umsetzen müssen, geht inhaltlich über die KVI und vor allem deutlich über die heute in der Schweiz geltende Berichterstattungspflicht hinaus. So müssen EU-Konzerne in Zukunft nicht nur dafür sorgen, dass entlang ihrer Geschäftsbeziehungen im Ausland keine Menschenrechte verletzt werden und die Umwelt nicht verschmutzt wird, sondern sie müssen auch ihre klimaschädlichen Emissionen im Einklang mit den Erfordernissen des Pariser Klimaabkommens reduzieren. Kontrolliert wird die Einhaltung dieser Sorgfaltspflichten von einer unabhängigen Aufsichtsbehörde, welche Untersuchungen anstrengen und Bussen aussprechen kann. Betroffene von Menschenrechtsverletzungen erhalten zudem die Möglichkeit, zivilrechtlich am Konzernsitz Schadenersatz zu fordern. 

Damit geht die CSDDD in drei Punkten – verbindliche CO2-Absenkpfade, Aufsichtsbehörde und Haftung bis in die Lieferkette – weiter als die die erste Konzernverantwortungsinitiative. Hingegen ist der Geltungsbereich der CSDDD viel enger gefasst und betrifft ausschliesslich grosse Unternehmen mit über 1000 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mehr als 450 Mio. Euro. Das sind zwar gerade mal 0.05% aller europäischen Unternehmen – aber in der Regel eben auch jene mit maximal globalisierten Lieferketten und entsprechend hohen Risiken bezüglich Menschenrechte und Umwelt. 

Die Schweiz wartet ab 

Wer nun erwartete, die Schweiz würde das bundesrätliche Versprechen von 2020 rasch einlösen und ihre Sorgfaltspflichten dem internationalen Umfeld anpassen, hatte weit gefehlt. Denn in Bern passierte erst einmal nichts. Selbst eine von 217'509 Personen unterzeichnete Petition vermochte das Parlament zu keiner substanziellen Diskussion zur CSDDD und ihrer Bedeutung für die Schweiz bewegen. Der Bundesrat verwies stattdessen auf fehlende Erfahrungswerte aus der EU und entschied, abzuwarten. 

Das ärgerte nicht nur die einstigen Initianten der KVI, die sich weiterhin für die Sache engagieren, sondern selbst viele bürgerliche Politiker:innen und Unternehmer:innen, von denen sich nicht wenige 2020 noch gegen die KVI ausgesprochen hatten. Letztere forderten im Sommer 2024 mit einem gemeinsamen Appell Bundesrat und Parlament gar dazu auf, das Geschäft so rasch als möglich an die Hand zu nehmen. Auch dieser Aufruf verpuffte weitgehend wirkungslos, zeigte aber immerhin eindrücklich auf, wie sich die Interessen seit 2020 verschoben hatten und das Anliegen bis weit in die politische Mitte anschlussfähig geworden war. 

Ein interessantes Beispiel dafür bietet eine andere EU-Regelung, welche seit einiger Zeit wenigstens innerhalb der Bundesverwaltung diskutiert wird: Die neue EU-Entwaldungsverordnung (EUDR). Damit müssen Unternehmen künftig weltweit sicherstellen, dass für Produkte, die sie in der EU verkaufen, keine Wälder abgeholzt oder geschädigt werden. Das betrifft nicht zuletzt die Schweizer Schokoladeindustrie, welche weiterhin in die EU exportieren möchte. Daher setzen sich nicht nur Umweltorganisationen wie der WWF, sondern auch Grosskonzerne wie Nestlé für einen raschen Nachvollzug der EUDR durch den Bund ein. Denn signifikante Unterschiede zwischen der EU und der Schweiz in der Regulierung von Geschäftspraktiken schaffen Rechtsunsicherheit, was über kurz oder lang zu neuen bürokratischen Hürden und allfälligen Einschränkungen beim EU-Marktzugang führt. Sowohl bei der EUDR wie bei der CSDDD befindet sich die Schweiz mittlerweile also im ‘Alleingang’ – genau das, was der Bundesrat noch vor wenigen Jahren gemäss eigener Aussage vermeiden wollte. 

Druck aus der Bevölkerung 

Weil Bundesbern weiterhin die Arbeit verweigert und auf Zeit spielt, hat die Koalition für Konzernverantwortung Anfang Jahr eine neue Konzernverantwortungsinitiative lanciert. Diese orientiert sich weitgehend an der Europäischen CSDDD. Dazu gehört auch, dass KMU kategorisch von der Regelung ausgenommen sind, was letztes Mal noch nicht der Fall war und für Unmut gesorgt hatte. Anders als die CSDDD verlangt die neue KVI hingegen keine Haftung bei Verfehlungen von Zulieferern, sondern schränkt diese auf Tochterunternehmen ein. Ebenso erlaubt der Initiativtext bei der Klimaklausel Ausnahmen für Unternehmen mit geringen Emissionen.

Obwohl die Unterschriftensammlung nun im Winter startete, sind die Initiant:innen zuversichtlich, die notwendigen 100'000 Unterschriften innert Kürze sammeln zu können. Dank einem eindrücklichen Auftakt mit über 1'000 Sammelaktionen in der ganzen Schweiz scheint es tatsächlich nur eine Frage der Zeit, bis sich Bundesrat und Parlament wieder vertieft mit der Sache werden beschäftigen müssen.