Nach einem Jahrzehnt steht diesen Sommer wieder eine wichtige internationale Entwicklungsfinanzierungs-Konferenz bevor. Die Erwartungen sind hoch, dass im spanischen Sevilla konkrete und messbare Resultate erzielt werden. Viele sehen in der Konferenz einen «make or break»-Moment des multilateralen Ordnungssystems und für das Schicksal der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen.
Um die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG) der Agenda 2030 bis zum Ende des Jahrzehnts auch nur annährend umsetzen zu können, müssten die Regierungen weltweit deutlich mehr Mittel für die Bekämpfung von Armut und Hunger sowie für Bildung, Gesundheit, Klima- und Biodiversitätsschutz einsetzen. Mit diesem Ziel vor Augen wird vom 30. Juni bis 3. Juli 2025 die vierte Internationale Konferenz für Entwicklungsfinanzierung (Financing for Development, FfD4) durchgeführt.
Die Ausgangslage ist äusserst anspruchsvoll: Noch immer kämpfen viele Länder weltweit mit den Schulden aus der Covid-Krise. Und weil viele Regierungen als Reaktion auf die russische Aggression massiv in die militärische Verteidigungsfähigkeit investieren, bekunden sie zunehmend Mühe, Finanzmittel für nachhaltige Entwicklung im Inland und weltweit bereitzustellen. Prioritäten verschieben sich: Viele Staaten setzen den Rotstift bei vermeintlich weniger zentralen Staatsaufgaben an; im Asylwesen und bei der humanitären Hilfe oder bei sozialen Anliegen und Aufgaben des Service Public.
Wirksame und gerechte Reformen nötig
Angesichts knapper Staatsbudgets und rückläufiger Entwicklungshilfe ist es umso wichtiger, dass sich die UN-Mitgliedstaaten an der FfD4-Konferenz auf Reformen beim internationalen Finanz- und Steuersystem verständigen. In folgenden Themengebieten sind wirksame und gerechte Reformen nötig:
-
Weil die OECD-Mindeststeuer in Bezug auf globale Steuergerechtigkeit versagt, starten in diesem Jahr die Verhandlungen für eine UN-Rahmenkonvention für internationale Steuerkooperation. Wenn die FfD4-Konferenz diese stützt, könnten die Beratungen bereits 2027 ihren Abschluss finden. Damit die UN-Steuerkonvention eine faire und umverteilende Wirkung entfalten kann, muss sie eine progressive Vermögenssteuer für Super-Wohlhabende umfassen. Ebenso braucht es eine globale Mindeststeuer auf Unternehmensgewinne, und zwar im Sinne einer international abgestimmten Gesamtkonzernsteuer für transnationale Unternehmen (Unitary taxation). Damit kann Steuervermeidung verhindert werden bzw. können Konzerne nicht mehr so einfach Milliarden-Gewinne in ihre Sitzstaaten im Norden verlagern.
-
Gleichzeitig muss die Bekämpfung unlauterer Finanzflüsse (Illicit financial flows, IFF) intensiviert werden. Illegitime Geldströme aus Steuerhinterziehung, Korruption und anderen kriminellen Aktivitäten kosten arme Länder jedes Jahr mehrere Milliarden – eine Summe, die öffentliche Entwicklungsgelder weit übersteigt.
- Angestossen werden sollte an der FfD4-Konferenz auch eine Reform der multilateralen Finanzarchitektur. Die Vereinten Nationen sollten die Arbeitsweise der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie anderer internationaler Finanzinstitutionen (IFI) überprüfen, mit dem Ziel, dass diese ihre Arbeit verbindlich an den Menschenrechten, einschliesslich der wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte, ausrichten. Konkreter Handlungsbedarf besteht bei den IWF-Sonderziehungsrechten, die ärmeren Ländern ermöglichen sollten, ihre Liquidität in Krisenzeiten zu erhöhen. Derzeit bevorzugt der Mechanismus wohlhabende Staaten, während ärmere Länder kaum einen Vorteil daraus ziehen. Das muss sich ändern. Das Potenzial für Möglichkeiten neuer Nutzung und innovativer Zuteilung ist gross und sollte im Hinblick auf die nächste Krise ausgeschöpft werden.
-
Der Schuldenstand der ärmeren Länder bleibt auch nach den Corona-Krisenjahren sehr angespannt. Eindringlich warnt die UNO, dass mittlerweile beinahe die Hälfe der Weltbevölkerung in Ländern lebt, die mehr Steuermittel für Zinsen aufwenden müssen, als sie für Bildung oder Gesundheit einsetzen können. Eine ehrgeizige Entschuldung ist unabdingbar, um finanzielle Spielräume zu schaffen. An der FfD4-Konferenz sollte daher ein fairer und verbindlicher multilateraler Entschuldungsmechanismus eingeleitet werden. Im Falle nicht selbst verschuldeter exogener Schocks, etwa durch Klima- und Umweltkatastrophen oder Pandemien braucht es flexible Rückzahlungspläne, damit Schuldner mit den Herausforderungen nicht allein gelassen werden. Ausserdem ist es wichtig, dass alle Staaten, auch die Schweiz, private Gläubiger gesetzlich verpflichten, sich an multilateralen Schulden-Restrukturierungen zu beteiligen.
-
Die Chancen für ein multilaterales Regelwerk für die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten durch international tätige Unternehmen stehen gut. Auch die Schweiz sollte die Verhandlungen zum UN-Treaty on Business and Human Rights, die seit über zehn Jahren laufen, konstruktiv unterstützen. In der Entwicklungszusammenarbeit gab es jüngst einen Boom der Mischfinanzierungen (Blended Finance), wobei mithilfe öffentlicher Gelder private Investitionen mobilisiert werden sollen. Wichtig ist, dass bei der Förderung privatwirtschaftlicher Investitionen die bi- und multilateralen Geber die Einhaltung der Menschenrechte und die Umwelt- und Sozialstandards gewährleisten. Die FfD4-Konferenz sollte anstossen, dass die Auswirkungen von Mischfinanzierungen und öffentlich-privaten Partnerschaften (PPP) auf die Menschenrechte, eine nachhaltige Entwicklung und die Budgetsituation in Ländern des globalen Südens untersucht werden.
-
Schliesslich sollten die wohlhabenden Länder an der FfD4-Konferenz – nebst der Unterstützung der notwendigen und gerechten finanz- und steuerpolitischen Reformen – ihre Zusage bekräftigen, für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) mindestens 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung (BNE) bereitzustellen. Dazu haben sich die Regierungen 2015 mit der Verabschiedung der Agenda 2030 sowie am UN-Zukunftsgipfel 2024 mit dem «Pact for the Future» bekannt.
Strukturelle Schritte nötig
Das Jahrzehnt seit der Abschlusserklärung der dritten Internationalen Konferenz für Entwicklungsfinanzierung im Jahr 2015, der Addis Ababa Action Agenda (AAAA), war geprägt von multiplen Krisen: Corona-Pandemie, fortschreitende Erderwärmung und teure Klimakatastrophen, eine globale Staatsschuldenkrise und eskalierende Konflikte. Die Agenda 2030, die ebenfalls 2015 verabschiedet wurde, liegt wegen ungenügender Fortschritte und einiger Rückschritte «auf der Intensivstation». Es ist daher nicht übertrieben zu sagen, dass an der diesjährigen FfD4-Konferenz über das Schicksal der SDGs entschieden wird, die ohne mehr und bessere Entwicklungsfinanzierung nicht umgesetzt werden können.
Angesichts der gegenwärtigen Schwächung der regel-basierten Weltordnung bleibt zu hoffen, dass sich die 193 Regierungen der Welt zusammenraufen – und die internationale Staatengemeinschaft zeigt, dass sie bei der Bewältigung globaler Probleme zu einer multilateralen Zusammenarbeit fähig ist und im Interesse Aller einen solidarischen Ausgleich erzielen kann. Als einer der wichtigsten Finanzplätze weltweit, und dank ihrer multilateralen Soft Power und der beispiellos tiefen Verschuldung im weltweiten Vergleich kann und sollte die Schweiz in Sevilla eine aktive und positive Rolle spielen.