Die Forderung nach «Klimagerechtigkeit» ist mit den Klimaprotesten weltweit im Aufwind. Sie bedeutet, dass Verursacher und Verursacherinnen des Klimawandels ihren fairen Teil der Verantwortung dafür übernehmen. Dies gilt insbesondere auch bei der Klimafinanzierung, die zusätzlich zur Entwicklungszusammenarbeit zu leisten ist. Die Schweiz ist weit davon entfernt.
«What do we want? Climate Justice! When do we want it? Now!» Die Klimajugend hat diesen Sommer die Klimakrise und die Forderung nach Klimagerechtigkeit zuvorderst auf die politische Agenda gehievt. Die jungen Leute fordern eine konsequente Klimapolitik und einen Systemwechsel – eine Abkehr von fossilen Brennstoffen – und zwar jetzt. Der Sonderbericht des Weltklimarats über die Folgen einer globalen Erwärmung um 1,5 °C hat aufgezeigt, dass die Welt es jetzt noch gerade schaffen kann, die Klimakatastrophe abzuwenden – aber nur wenn alle auch wirklich alles daransetzen. Im Sinne der Klimagerechtigkeit sind das die älteren den jüngeren Generationen schuldig.
Diese Verantwortung gilt aber nicht nur gegenüber zukünftigen Generationen, sondern auch gegenüber Heutigen. In Entwicklungsländern sind die Folgen des Klimawandels schon längst spürbar und treffen jene am härtesten, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben. Ihnen fehlen die Mittel, um sich an den Klimawandel anzupassen.
Ungleiche Belastungen
Die Auswirkungen des Klimawandels sind sehr ungleich verteilt. Ein Bauer im Wallis, der wegen Trockenheit seine Kühe opfern muss, ist stärker betroffen als eine Bewohnerin einer Schweizer Grossstadt, die beim Kauf eines Ventilators vor einem leeren Regal steht. Und während Skifahrer sich lediglich auf Kunstschnee als das neue Normal einstellen müssen, bedroht der auftauende Permafrost das Leben der Bergbevölkerung ernsthaft.
Dass es sich bei der Klimakrise wirklich um eine akute Krise handelt, zeigt sich in Entwicklungsländern wie Bangladesch deutlich: Nasrin Begum, 32 Jahre und Mutter von drei Kindern, lebt in der Nähe eines Flusses in einer vom Meeresspiegelanstieg besonders betroffenen Gegend im Süden von Bangladesch. Bevor sie im Rahmen eines Entwicklungsprojekts einen Regenwasser-Auffangbehälter erhalten hat, trank ihre Familie entweder salziges Wasser mit schwerwiegenden Folgen für ihre Gesundheit oder sie holte mühselig Wasser aus einem Teichsandfilter. Das wiederum kostete viel Zeit, die bei der Einkommenserwirtschaftung fehlte.
Vor sechs Monaten wurde ihr Haus vom Fluss weggerissen. Trotz der scheinbar ausweglosen Situation gibt Nasrin ihr Bestes und hält ihre Familie buchstäblich über Wasser. Sie weiss heute, dass der Klimawandel ihre Situation verschärft. Deshalb erzählt sie ihre Geschichte; sie will die Menschen im globalen Norden aufrütteln. Allerdings hört niemand zu.
Erginge es Familien in der Schweiz wie jener Nasrins, würde sofort gehandelt. Doch Menschen, die unter dem primär von Industrieländern verursachten Klimawandel leiden, aber tausende Kilometer entfernt leben, geniessen hierzulande keine Priorität. Dies verdeutlichen nicht zuletzt die ungenügenden Schweizer Beiträge an die globale Klimafinanzierung.
Klimafinanzierung: ungenügend und doppelt gezählt
Die Industrieländer haben sich im Rahmen des Pariser Abkommens verpflichtet, jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Mitigation (Reduktion von Treibhausgasen) und Adaption (Schutz vor den Auswirkungen der fortschreitenden Klimaveränderung) in Entwicklungsländern beizusteuern – entsprechend ihrer Klimaverantwortung und Wirtschaftsleistung.
Alliance Sud, der entwicklungspolitische Think-and-Do-Tank der grossen Schweizer Entwicklungsorganisationen, darunter Helvetas, fordert von der Schweiz einen fairen Beitrag von einer Milliarde US-Dollar pro Jahr und kritisiert, dass die Schweiz denselben Franken zwei Mal deklariert: einmal als öffentliche Entwicklungshilfe und ein zweites Mal als Klimafinanzierung. Dies trotz des Bekenntnisses der Industrieländer, dass die Klimafinanzierung mit «neuen und zusätzlichen Mitteln» zu leisten sei.
Klimaziele sind auch Entwicklungsziele
Die Geschichte von Nasrin steht stellvertretend für viele. Menschen, die ohnehin unter der Armutsgrenze leben, sind am meisten von den Auswirkungen des Klimawandels wie Dürre, Überschwemmungen, oder häufiger auftretenden Extremwettereignissen betroffen, wie die Menschen in Mosambik, die dieses Jahr gleich zwei Mal von einem heftigen Wirbelsturm getroffen wurden.
Heute sind Entwicklungsorganisationen wie Helvetas gefordert, zusätzlich zur täglichen Entwicklungszusammenarbeit Massnahmen gegen die Folgen des Klimawandels umzusetzen. Dies ist auch sinnvoll, denn idealerweise laufen die Massnahmen zur Umsetzung von Entwicklungs- und von Klimazielen Hand in Hand. Das Problem dabei ist, dass für diese zusätzliche Arbeit nicht mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden und die klimawandelbedingten Massnahmen zu Lasten der Budgets der Entwicklungszusammenarbeit gehen. Dieses Problem wird sich weiter verschärfen, denn in Zukunft werden alle Entwicklungsprojekte den Klimawandel in der Planung und Umsetzung berücksichtigen müssen.
Vorbeugen ist besser als heilen: Der Schweizer Wald wird bereits heute mit Bäumen aufgeforstet, die einem wärmeren Klima trotzen können. Genau gleich müssen Entwicklungsorganisationen im Sinne der Nachhaltigkeit bereits heute Methoden anwenden, die dem sich ändernden Klima langfristig Rechnung tragen. Zum Beispiel dürreresistentes Saatgut, Schutz von Mangroven in Küstengebieten oder sichere Brücken, damit Märkte, Schulen und Spitäler auch bei Hochwasser erreichbar sind.
Dafür braucht es sofort neue und zusätzliche Mittel für die Klimafinanzierung, damit der Handlungsspielraum der Entwicklungszusammenarbeit nicht weiter ausgehöhlt wird. Solange das nicht erreicht ist, leben Industrienationen nicht nur auf Kosten zukünftiger Generationen, sondern auch auf Kosten der Ärmsten.