Das zu Ende gehende Jahr bot aussergewöhnliche Momente. Es brachte eine selten gesehene Mobilisierung junger Menschen, die überall auf der Welt für eine konsequente Klimapolitik demonstrierten. Gleichzeitig verspricht die neue Zusammensetzung des Schweizer Parlaments eine neue Offenheit für klima- und entwicklungspolitische Anliegen. Auch im kommenden Jahr wird sich Helvetas für eine solidarische und international verantwortungsvolle Schweiz einsetzen und ihr internationales Engagement zugunsten armer und benachteiligter Menschen vorantreiben.
In der vergangenen Legislaturperiode standen entwicklungspolitische Anliegen im Gegenwind. So lehnte das Parlament den Beitritt zum UN-Migrationspakt ab, kürzte die Budgetanteile für internationale Zusammenarbeit und verfolgte eine zahnlose Klimapolitik. Der Bundesrat legte einen Botschaftsentwurf zur internationalen Zusammenarbeit 2021-2024 vor, in dem unklar bleibt, ob Schweizer Interessen oder Armutsbekämpfung das Leitprinzip bilden. Und er wollte gar die Ausfuhr von Kriegsmaterial in Bürgerkriegsländer erlauben. Es machte bisweilen den Anschein, als seien Werte wie Solidarität und Gerechtigkeit völlig aus den politischen Zielsetzungen verschwunden.
Klima-Jugend und ein grünes Parlament
Dann gehen – für viele in dieser Vehemenz unerwartet – rund um den Globus Millionen von hauptsächlich jungen Menschen auf die Strasse, um für eine ernsthafte nationale und globale Klimapolitik und für Klimagerechtigkeit zu demonstrieren. Sie meinen damit die Ungerechtigkeit, dass die Folgen des Klimawandels (Stürme, Überflutungen, Dürren und der Anstieg des Meeresspiegels) diejenigen am heftigsten treffen, die dazu am wenigsten beigetragen haben. Diese Debatte über Klimagerechtigkeit hat Signalwirkung, denn Menschen handeln oft erst, wenn ihr Gerechtigkeitssinn geweckt wird. Und das geschieht jetzt.
Auch in der Schweiz demonstrierten regelmässig Zehntausende junge Menschen. Dieses Engagement hat in kürzester Zeit einiges bewegt: Die Parteifarbe Grün hat bei den Eidgenössischen Wahlen deutlich gewonnen – und die Frauen auch. Das macht Hoffnung auf parlamentarische Mehrheiten für eine klimabewusste Schweiz, und auch auf mehr Offenheit für eine global verantwortungsvolle internationale Zusammenarbeit. Die neuen Mitglieder der beiden Räte können nach vier Jahren weitgehender Blockade zwischen links und rechts endlich Bewegung in entwicklungspolitische Themen bringen. Dies ist dringend nötig, denn die Forderung nach Klimagerechtigkeit verlangt auch ein verstärktes Engagement für eine nachhaltige Entwicklung in den besonders betroffenen und verletzlichen Regionen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Solange über 820 Millionen Menschen chronisch zu wenig zu essen haben, wie dies der aktuelle Welthunger-Index belegt, solange grosse Teile der Bevölkerung in den ärmsten Ländern wegen des Klimawandels, des ungebremsten Ressourcenverbrauchs seitens wohlhabender Gesellschaften und verantwortungsloser Machthaber ihrer Lebensgrundlage beraubt werden, darf die Schweiz in ihren Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung nicht nachlassen.
Politikkohärenz und EZA-Gelder
Es gab letztes Jahr ermutigende Entwicklungen hin zu mehr internationaler Verantwortung: So hat das Parlament vor allem auch dank der hartnäckigen Arbeit seitens Entwicklungsorganisationen ein Beschaffungsgesetz verabschiedet, in dem Nachhaltigkeitskriterien verankert sind. Und in gerade einmal drei Monaten konnten über 130'000 Unterschriften für eine Volksinitiative gegen Schweizer Waffenexporte in Bürgerkriegsländer gesammelt werden. Dies vor Augen, appellieren wir an das neue Parlament, Klimagerechtigkeit und Frieden stärker in die politische Debatte miteinzubeziehen und international Verantwortung mitzutragen. Wir rufen gerade die neuen Parlamentsmitglieder auf, sich im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung für eine kohärente Politik einsetzen, damit wir mit der anderen Hand nicht wieder wegnehmen, was wir mit der einen gegeben haben. Das gilt für viele Politikfelder, besonders aber für die Handels-, Steuer- und Aussenpolitik. Es braucht eine Wirtschaftspolitik, die auch für die Ärmsten Perspektiven schafft, und die nicht nur Eliten zugutekommt. Das ist der beste Beitrag für soziale Stabilität und Frieden.
Wenn im kommenden Jahr über die Mittel für die Internationale Zusammenarbeit debattiert wird, seien die Mitglieder von National- und Ständerat daran erinnert, dass es einen Parlamentsbeschluss aus dem Jahr 2011 gibt, gemäss dem die Schweiz mindestens 0,5 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) einsetzen sollte. Im Rahmen der Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung hat die offizielle Schweiz sich sogar zu 0,7 Prozent bekannt. Der Bundesrat hingegen schlägt nun für die Zeit von 2021 bis 2024 Ausgaben in der Grössenordnung von lediglich 0,45 Prozent vor. Angesichts der verschiedenen, sich verstärkenden internationalen Herausforderungen wäre es nur recht und billig, wenn sich auch die Schweiz mit mehr Mitteln für deren Lösung engagiert. Denn tatsächlich fliessen heute weniger als 5 Prozent des Bundeshaushalts in die gesamten «Beziehungen zum Ausland».
Solidarität und Verantwortung
Helvetas setzt sich seit ihrer Gründung dafür ein, arme und benachteiligte Menschen in Entwicklungsländern zu unterstützen, die Ursachen von Armut zu überwinden, dabei aber die Umwelt zu schonen, und sich gleichzeitig in der Schweiz für eine kohärente Aussen- und Wirtschaftspolitik zu engagieren, die den Bedürfnissen der Menschen in den Entwicklungsländern gerecht wird. Dieses solidarische Handeln auf der Grundlage der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit wird auch im kommenden Jahr Richtschnur für unsere Arbeit in rund 30 Partnerländern sein.
Gleichzeitig werden wir uns gemeinsam mit verbündeten Organisationen in der Schweiz weiterhin dafür einsetzen, dass Bundesrat und Parlament in ihrer aussen- und entwicklungspolitischen Ausrichtung ihrem verfassungsmässigen Auftrag nachkommen, «zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen» beizutragen (BV Art. 54.2). Die Schweiz muss sich noch viel ambitionierter als bisher für die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und für das Pariser Klimaabkommen einsetzen. Bundesrat und Parlament stehen in der Pflicht, wir werden sie auch im kommenden Jahr daran erinnern.