Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen, konnte Mona Sherpa nur dank einer Hilfsorganisation eine Schulbildung absolvieren. Mit 18 geheiratet, befreite sie sich fünf Jahre später aus der erniedrigenden Ehe und sorgte fortan alleine für ihre Tochter. Heute ist sie stellvertretende Landesdirektorin von Helvetas Nepal. Aus der schwierigen Vergangenheit hat sie viel gelernt: «Ich merkte plötzlich, dass ich mit diesem Kampf nicht alleine bin. Und ich habe beschlossen weiterzukämpfen gegen all die Ungerechtigkeiten, die Frauen widerfahren. So wurde ich zu der Frau, die ich heute bin».
Wie muss ich mir das Leben als Frau in Nepal vorstellen?
Eigentlich fühlt es sich heute gut an, eine Frau in Nepal zu sein. Früher war die Misere der Frauen grösser. Sie hatten wenig Rechte und kaum Perspektiven, und sie waren Gefangene religiöser, kultureller und sozialer Zwänge. Heute geht es vorwärts, die Situation hat sich verbessert. Die meisten Frauen können zur Schule gehen, wir können am politischen und gesellschaftlichen Prozess teilhaben, und wir können uns wehren. Wir Nepali-Frauen haben die Denkweise verändert, die Gesellschaft hinkt jedoch hinterher. Noch sind wir weit davon entfernt, gleichberechtigt zu sein.
Was heisst das konkret?
Wir sind zwar ausgebildet, werden aber trotzdem diskriminiert – im Alltag, in der Politik, wirtschaftlich, kulturell. Eine Arbeitsstelle zu finden, ist schwierig, der Lohn ist tief. Männer verdienen meist mehr für dieselbe Arbeit. Nach der Lohnarbeit erledigen wir Frauen noch alle Hausarbeit, unbezahlt und ohne Wertschätzung. Viele von uns erleben Gewalt. Zu Hause, am Arbeitsplatz, an der Universität. Wir müssen für unsere Identität kämpfen, für unsere grundlegenden Rechte, für ein Leben in Würde.
Wie schaffen die Frauen es, die Energie dafür aufzubringen?
Fortschritte sind nur möglich, weil wir Frauen in Nepal zusammenhalten und uns gegenseitig unterstützen, egal woher wir kommen, aus welchem Landesteil, welcher Religion, welcher Kaste. Es ist ein gemeinsamer Kampf von Dalitfrauen (sog. «Unberührbaren»), von Bäuerinnen und Städterinnen, von sozialen Bewegungen und Frauenorganisationen, denn auch wenn die Voraussetzungen unterschiedlich sind, wir sind alle betroffen. Was wir bisher erreicht haben, verdanken wir dem Wir-Gefühl, dem Gemeinschaftssinn, der Solidarität unter Frauen.
Was braucht es denn, um die nepalesischen Frauen zu stärken?
Empowerment heisst, Frauen von innen und von aussen zu stärken. Es fängt bei der Frau selbst an: Sie muss sich stark fühlen. Sie muss den Mut aufbringen, aufzustehen und sich für ihre Rechte und ihre Würde einzusetzen. Dafür braucht es ein Umfeld, das sie unterstützt. Empowerment bedeutet aber auch Bildung, Zugang zu Informationen, die Möglichkeit, eigenes Geld zu verdienen. Ganz wichtig ist, dass sich die Frauen nicht alleine fühlen in ihrem Kampf. Dazu müssen Frauen sich treffen und austauschen können. Dann braucht es Raum für Frauen in der Politik und in der Öffentlichkeit. Und schliesslich braucht es Gesetze: ein faires Erb- und Landrecht, ein Diskriminierungsverbot. Empowerment bedeutet, ein eingefahrenes System zu verändern. Daran muss die ganze Gesellschaft arbeiten.
Wie tragen die Projekte von Helvetas in Nepal und Ihre eigene Arbeit dazu bei?
In unseren Projekten bringen wir Frauen zusammen, informieren sie über ihre Rechte und Möglichkeiten, wir fördern ihre Fähigkeiten und bringen ihnen Führungswissen bei. Aber vor allem vernetzen wir Frauengruppen, Organisationen und Institutionen, stossen Diskussionen und Aktionen an. Wir arbeiten dabei auch mit ganzen Gemeinschaften zusammen und beziehen die Privatwirtschaft mit ein, damit sie verstehen, dass es ohne Gleichstellung und Einbezug der Frauen keine Entwicklung gibt. Wir unterstützen Frauen, damit sie sich gegen diskriminierende oder gar gesundheitsgefährdende Praktiken, wie etwa die Verbannung in schäbige Hütten während der Menstruation, wehren können. Ziel unserer Projekte ist Chancengleichheit im politischen, wirtschaftlichen und öffentlichen Leben für Frauen und andere benachteiligte Gruppen.
Können Sie uns von einem Beispiel erzählen, das Mut macht?
Vor zwei Jahren habe ich zwei schüchterne, stille Dalitfrauen kennengelernt. Sie kamen in unsere Trainings. Wir haben zusammengearbeitet, diskutiert, zusammen gelernt. Und stellen Sie sich vor: Dieses Jahr kandidierten die beiden bei den lokalen Wahlen. Auch wenn sie nicht gewählt wurden, so sind es heute Frauen mit reichen Erfahrungen. Stark und voller Energie. Sie wissen, was sie bei den nächsten Wahlen anders machen wollen, denn sie werden wieder kandidieren. Wir von Helvetas haben sie unterstützt, mit ihnen die notwendigen Fertigkeiten erarbeitet. Die Unterstützung im Dorf hat ihnen Vertrauen gegeben. Gekämpft haben sie. Gewonnen haben alle Frauen.