Elifuraha Yacobo ist 21 Jahre alt, ein Junge vom Dorf, der wirkt wie ein junger Mann für die Stadt. Doch der Schein trügt. Sein Weg führt ihn derzeit durch trockenes Gebüsch über stillgelegte Bahngeleise zu Bienenstöcken, wo er und seine Kollegen flüssiges Gold ernten, von Bienen, denen er seinen ersten Job im Leben verdanken wird. Noch ist er Lernender in vielen Lebensbereichen. Beruflich in Imkerei.
Aufgewachsen ist Elifuraha in einer Lehmhütte, in einem Weiler, wie es sie im Afrika südlich der Sahara millionenfach gibt. Im Hof picken Hühner was auch immer Essbares sie finden, auf dem Dach trocknen Maiskolben, Taubenfüsse kratzen auf dem Wellblech. Hinter dem Zaun aus Ästen türmen sich runde Felsformationen auf, die der Landschaft etwas Unwirkliches verleihen – als ob ein Riese ein Murmelspiel hat ausufern lassen. Elifurahas Eltern leben von dem, was Feld und Acker hergeben: Die Mutter verkauft auf dem Markt Tomaten und Kabis, der Vater baut Mais und Bohnen an, mehrheitlich für den Eigenbedarf. Auch die Sonnenblumenfelder werfen ein bisschen Geld ab, wenn deren Kerne zu Öl gepresst werden.
Obwohl sie es sich nicht leisten konnten, schickten sie Elifuraha nicht nur in die Primar-, sondern auch in die Sekundarschule. Den Kredit für die Schuluniform und die zahlreichen Gebühren mussten sie teuer zurückzahlen. So teuer, dass die Familie an manchen Tagen mit nur einer Mahlzeit auskommen musste. Und manchmal habe es überhaupt nichts zu essen gegeben, erzählt Elifuraha, der seinen Eltern sichtlich dankbar ist für die Opfer, die sie gebracht, und die Chancen, die sie ihm gegeben haben. Aber für ein Studium aufzukommen, das schafften die Eltern nicht, obwohl er, der älteste Sohn der Familie, gerne Statistiker geworden wäre.
Viel Zeit für Träume
Deshalb verbrachte Elifuraha nach dem Abschluss der Schule viel Zeit mit seinen Freunden im Dorf, half seinem Vater ein bisschen auf dem Feld aus, erhielt ein Stück Land, um selbst Sonnenblumen anzupflanzen. Aufwand und Ertrag stehen jedoch in keinem Verhältnis, denn die Kerne müssen von Hand geerntet und geschält werden. Daraus kann Elifuraha rund 15 bis 20 Liter rohes Sonnenblumenöl pressen, im Wert von maximal 40’000 tansanischen Schilling, 17 Franken.
Doch Sonnenblumen, das lernt Elifuraha zurzeit, sind für mehr gut, und auch mehr als ein Augenschmaus. Sie sind eine wichtige Bienenweide, die bis weit in die Trockenzeit hinein blüht – eine Zeit, in der die anderen Nahrungsquellen für Bienen langsam versiegen. Der werdende Imker profitiert davon sogar doppelt: Obwohl Sonnenblumen sich selbst bestäuben können, verdreifacht sich der Ertrag an Kernen, wenn Bienen in den Sonnenblumen nach Nahrung suchen. Und die Bienen wiederum produzieren mehr Honig.
Jedes Kind sehe, wie Leute im Dorf mithilfe selbst gebauter Bienenstöcke aus ausgehöhlten Baumstämmen Honig gewännen, erzählt Elifuraha. Er habe den Honig geliebt und nicht weiter darüber nachgedacht. Auch später nicht, denn niemand lebe auf dem Dorf nur davon. Als er erfuhr, dass Honigmachen und die Arbeit mit Bienen gelernt werden kann, dass dies ein Beruf ist und damit gutes Geld verdient werden kann, hat er sich für die Ausbildung, die Helvetas im trockenen Landesinneren von Tansania erstmals ermöglicht, angemeldet.
Und er bereut keine Sekunde davon, keinen der Bienenstiche, die er in den vergangenen Monaten während der Ausbildung davongetragen hat, keinen der Kilometer entlang der Bahngeleise, die den Weg zu den Bienenstöcken weisen und auf denen er die schweren Eimer voller Honig und Waben zur Verarbeitung zurückschleppt.
Vielmehr hat er eine Leidenschaft für den Honig und vor allem für die Bienen entwickelt. Sein Lobgesang auf sie beginnt mit dem Einkommen, das aus den sieben Bienenprodukten verdient werden kann – angefangen vom Honig über den teuren Gelée Royale bis hin zum wertvollen Bienengift, das in der Medizin zur Behandlung von Insektengiftallergien und Rheuma genutzt wird und in der Kosmetikbranche als natürliche Alternative zu Botox im Kampf gegen Falten gilt. Pro Gramm bringt es mehr ein, als ein tansanischer Lehrer in einem Monat verdient. Doch Elifuraha erzählt auch von Beziehungen, die der Honig stärkt, denn Honig sei hier in der Gegend oft Teil des Brautpreises, den der Bräutigam an die Familie seiner Zukünftigen zu entrichten hat, und bringe deshalb Liebende zusammen. «Das Beste aber ist, die Bienen kommen in der Natur vor. Es ist für mich nicht teuer, eine eigene Imkerei aufzuziehen. Dafür brauche ich einen Bienenstock und einen Schutzanzug, der Rest kommt von allein.»
Ansteckende Begeisterung
Elifurahas Begeisterung wird in dem Augenblick nachvollziehbar, in dem sein Ausbildner Philemon Kiemi über Bienenzucht spricht. Kiemi scheint Honig im Blut zu haben. Schon als Kind faszinierten ihn die Bienen. Als Jugendlicher brachte er seinen Vater dazu, die Viehzucht aufzugeben und Bienen zu züchten; ein Jahr lang musste er Überzeugungsarbeit leisten. Heute steht da, wo er vor 31 Jahren geboren wurde, das Bienendorf Nyuki Kisaki und das Hauptquartier seines eigenen Honig-Unternehmens. Nyuki Kisaki mit seinen 2000 Bienenstöcken ist die kleinere seiner Bienenfarmen; die grössere heisst Bee City und zählt 5000 Bienenstöcke. Die Kooperative produziert im Jahr fast 30 Tonnen Honig und verarbeitet weitere 60 Tonnen von angeschlossenen Imkern. Für seine Arbeit, die zugleich die Biodiversität fördert und die Natur schützt, wird Kiemi landesweit anerkannt. Aber er will mehr. Mehr Bienenfarmen, mehr Waldfläche, mehr saubere Wasserläufe für die Bienen. Denn diese, ihre Produkte und ihr Schutz sind sein Leben.
Pro 100 Bienenstöcke braucht Kiemi zwei Mitarbeitende. Damit sie genau so sorgfältig und genau so leidenschaftlich arbeiten, wie er sich das vorstellt, bildet er sie seit fünf Jahren gleich selbst aus, führt sie ein in die Geheimnisse der Imkerei und Geschäftswelt. Als er hörte, dass Helvetas Ausbildner sucht für zukunftsweisende Jobs, hat er sein Wissen angeboten. Erstmals können nun Jugendliche aus armen Verhältnissen, deren Familie nicht für Ausbildungskosten aufkommen können, kostenlos eine Imkerei-Ausbildung machen. Doch Kiemi bringt den jungen Frauen und Männern nicht nur die Imkerei bei, sondern auch das Nähen der Schutzanzüge, das Zimmern der Bienenkästen, das Schweissen der Metallständer. Er lehrt sie, wie der Honig sauber verarbeitet, abgepackt und vermarktet wird. Er stärkt ihr Selbstvertrauen und fördert das kritische Denken, denn Erfolg, sagt er, komme nur, wenn jeder Einzelne mit Überzeugung und Begeisterung bei der Sache sei. Nach der Ausbildung stellt er die frisch ausgebildeten jungen Menschen an als Imkerinnen, Näher, Zimmerleute. Nicht alle bleiben; einige machen sich auch selbständig.
Kiemi schätzt Helvetas für den Ansatz der Imkerausbildung, der ans duale Bildungssystem der Schweiz angelehnt ist und Theorie und Praxis kombiniert. Und er lobt das Anreizsystem, ihn als Ausbildner erst vollständig auszuzahlen, wenn die jungen Menschen einen festen Arbeitsplatz haben oder erfolgreich selbständig sind.
Ein Bienenstich zum Anfang
Die Ausbildung im Bienendorf ist kurz, aber intensiv. Sie beginnt mit einem Bienenstich, «um die Jungen zu impfen», sagt Kiemi. Und um zu sehen, ob sie allergisch reagieren. In den Gesprächen mit den jungen Frauen und Männern entsteht jedoch eher das Gefühl, dass damit eine Art Liebe zu Bienen eingeimpft wird. «Sie sind meine Freunde», sagt einer, als er mit einer frischen Wabe in der Hand von der Honigernte zurückkehrt – sein Anzug klebrig, an den Schultern Dutzende wütender Bienen, die sich immer noch dagegen wehren, dass ihnen ihr Futter gestohlen wird. Er absolviert zusammen mit Elifuraha die Ausbildung zum Imker. «Hab keine Angst, wenn du gestochen wirst», sagt dieser lächelnd zu den Besuchern und versucht zu beruhigen, als die Bienen in ihrer Verzweiflung neue Opfer suchen. «Keine Panik. Lächle, das hilft.» Den frisch ausgebildeten Imkerinnen und Imkern hilft dieses Mantra; den Fremden, die die Honigernte beobachten, fällt das Lächeln spätestens nach dem zweiten Stich schwer.
Die Absolventinnen und Absolventen des Kurses wollen lieber früher als später eine eigene Imkerei aufziehen, so wie Kiemi, ihr Ausbildner und Vorbild. Was auf den ersten Blick schmeichelhaft klingt, dürfte für Kiemi selbst eine Herausforderung werden, denn sein Traum, der grösste Imker Afrikas zu werden, erfüllt sich nur, wenn er genügend und gut ausgebildete Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hat. Doch er bildet die jungen Frauen und Männer nicht nur aus Eigennutz aus, darum ist er ein starker Partner für Helvetas. Er entlässt gerne fähige Jungimker in die Selbständigkeit, denn wenn sie so arbeiten, wie er es ihnen beigebracht hat, stärken sie die Bienenpopulation in Tansania. Das ist ihm das Wichtigste, das ist seine Mission.
Neue Perspektiven
Auch für Elifuraha ist im Bienendorf aller Voraussicht nach nicht Endstation. «Ich bin glücklich hier», erzählt er. Zusammen mit einem Freund arbeitet er derzeit mehrheitlich in der Honigverarbeitung, wo die Waben gepresst, der Honig erwärmt, gefiltert und abgepackt wird. Er trägt somit Verantwortung für die Qualität des Honigs. Stolz auf die Arbeit? «Vor der Ausbildung war ich abhängig von meinen Eltern. Nun habe ich gelernt, auf eigenen Füssen zu stehen. Ich verdiene Geld, ja. Aber ich bin noch nicht so stolz, weil ich noch unter jemandem arbeite. Erst wenn ich mein eigenes Geschäft habe, werde ich richtig stolz sein.» Er will seinen Freunden im Dorf zeigen, dass er dank dieser Ausbildung ein funktionierendes Unternehmen aufziehen kann, erst dann habe er es in deren Augen wirklich geschafft. «Aber eigentlich will ich mich nicht unter Druck setzen lassen. Ich habe meine eigenen Ziele.»
Bis Ende Jahr will Elifuraha 30 Bienenstöcke und ein Stück Land besitzen. «Ich spare jetzt schon und habe etwas Material gekauft, um erste Bienenkästen zu bauen. Noch habe ich kein Land, aber ich habe ein Auge auf eine Parzelle in meinem Dorf geworfen. Insgesamt brauche ich 1,5 Millionen tansanische Schilling dafür», 650 Franken. Auf den Einwand, dass er dafür 15 Monate lang arbeiten müsse, ohne einen Rappen für sich auszugeben, meint er:
Elifuraha Yacobo, Imker in Ausbildung
«Man muss klein anfangen. 50’000 jetzt, 50’000 später». Das Land könne er in Raten abzahlen. Nachdenklich schaut er in die karge Landschaft, wo sich die Bienen entlang der Bahngeleise ihr Futter zusammensuchen. «Ich erhalte dank des Trainings neue Perspektiven. Ich habe neue Fähigkeiten. Mein Leben hat eine neue Richtung genommen.»
Elifuraha lernt begierig. Sein neu gewonnenes Wissen will er teilen, damit die Menschen besser auf Bienen achtgeben und sie schützen. Denn der Mensch sei ein Feind der Bienen, erklärt er. «Weil wir Angst haben vor den Bienen, mögen wir sie nicht. Wir verjagen sie, siedeln sie um und schwächen so ganze Bienenvölker, oder wir töten sie sogar. Auch die Chemikalien, die manche Bauern einsetzen, sind Gift für die Bienen. Und wenn wir Bäume fällen, nehmen wir ihnen einen Teil ihrer Lebensgrundlage.» Dabei seien die Bienen so wertvoll.
Afrika ist im Aufbruch, Millionen junger Menschen suchen berufliche Perspektiven.
Helvetas entwickelt zusammen mit Ausbildungsinstituten und Unternehmen verschiedene Kurzlehren für Jugend- liche aus armen Verhältnissen und stellt sicher, dass die Angebote den Bedürfnissen des lokalen Arbeitsmarkts, aber auch denjenigen der jungen Menschen entsprechen. In Tansania haben im ersten Jahr des Projekts über 700 junge Menschen eine Kurzausbildung absolvieren können; die Nachfrage war allerdings viel grösser. In Zusammenarbeit mit Jugendorganisationen und lokalen Handwerksbetrieben will Helvetas in Tansania in den kommenden drei Jahren 3000 Jugendlichen die Chance einer Ausbildung und damit auf einen guten Job geben. Dank der Unterstützung von Spenderinnen und Spendern übernimmt Helvetas die Ausbildungskosten und die Bildungsinstitute verpflichten sich, die jungen Frauen und Männer bei der Arbeitssuche oder Unternehmensgründung zu unterstützen. Die vollen Kurskosten werden erst erstattet, wenn die Lernenden eine Anstellung haben oder erfolgreich selbständig sind. Ein wichtiger Aspekt der Ausbildung ist die Stärkung sozialer Kom petenzen wie Zuverlässigkeit, der Mut, Fragen zu stellen und die Fähig- keit, Informationen einzuholen. Denn junge Menschen müssen heute kreativ nach Problem lösungen und Alternativen suchen können und selbst bewusst ihre Produkte verkaufen. Dafür muss ihr Unternehmergeist geweckt werden, und sie müssen mit Geld umgehen können. In Äthiopien, Nepal und Myanmar hat sich dieser Ansatz nachweislich bewährt.