Baku | © Keystone - Baku, wo die COP29 stattfindet

Vollgas mit angezogener Handbremse

Vier Hindernisse untergraben das 1,5 Grad-Ziel von Paris
VON: Patrik Berlinger - 30. August 2024
© Keystone - Baku, wo die COP29 stattfindet

Trotz weltweiter Bemühungen im Kampf gegen die Erderwärmung werden die Pariser Klimaziele verfehlt. Was hindert uns am nachhaltigen Fortschritt? Vier «Hebel», auf die es ankommt, damit wir die Klimakatastrophe noch abwenden können.  

In drei Monaten ist die nächste Klimakonferenz COP29 in Baku (Aserbaidschan) bereits wieder Geschichte. Ob auch Geschichte geschrieben wird, wird sich zeigen. Schon vor der COP29 gibt es erfreuliche Anzeichen dafür, dass sich der Übergang zu erneuerbaren Energien beschleunigt. Dennoch ist auch klar: Nach wie vor sind die weltweiten Erfolge bei der Reduktion von klimawirksamen Treibhausgas-Emissionen, bei der Anpassung an die negativen Folgen der Erderwärmung und bei der Bewältigung von Schäden und Verlusten deutlich zu gering. 

Der Weltklimarat (IPCC) sagt aktuell, dass die CO2-Emissionen bis 2030 um 48 Prozent gesenkt werden müssten, um eine reelle Chance zu haben, die globale Erwärmung auf die entscheidenden 1,5 Grad Erwärmung zu begrenzen. Selbst mit all den von den Ländern versprochenen Massnahmen sind wir derzeit auf dem besten Weg, bis zum Jahr 2100 eine Temperatur von 2,7 Grad zu erreichen. Mit dieser Temperatur sähe die Welt anders aus – deutlich unsicherer, gefährlicher und tödlicher

Immer und immer wieder warnt die UNO, dass sich das Fenster zur Abwendung verheerender Klimaauswirkungen und für entschiedenes Handeln schliesst. Die UNO wiederholt aber auch immer wieder: Viele der Massnahmen, die nötig sind, stehen längst zur Verfügung – und sind sogar kostengünstiger als die herkömmlichen und klimaschädlichen Alternativen. Was also hält uns zurück? Zentral für die Bewältigung des Klimawandels sind vier Hindernisse, die es zu überwinden gilt. Hindernisse, denen sich die Politik schleunigst annehmen muss. Gefordert sind alle Länder, auch die Schweiz. 

Hindernis 1: Subventionen für fossile Energie 

2021 wurde an der UNO-Klimakonferenz in Glasgow (COP26) der weltweite Ausstieg aus der Kohle beschlossen. Der Entscheid wurde ein Jahr später in Sharm el-Sheikh (COP27) bestärkt. Auf die Abkehr von der Öl- und Gasförderung mochte sich die Staatengemeinschaft damals aber trotz der Forderung zahlreicher Länder nicht festlegen. Erst auf der COP28 in Dubai 2023 einigte man sich auf einen weltweiten Übergang weg von fossilen Energieträgern. Es ist der erste Beschluss einer Klimakonferenz, der die Zukunft aller fossilen Energien betrifft – neben Kohle also auch Erdöl und Gas. 

Allerdings fehlt eine klare Verpflichtung zum kompletten Ausstieg aus den Fossilen. Und so wird der beschlossene Ausstieg alles andere als konsequent vorangetrieben. Ein Bericht des Internationalen Währungsfonds (IMF) zeigt, dass die Staaten 2022 so viel Geld ausgegeben haben wie noch nie, um Gas, Benzin und Kohle mit Steuergeldern zu subventionieren – ganze 7’000’000’000’000 US-Dollar (rund sieben Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung). So kennt zum Beispiel der Flugverkehr international wie auch in der Schweiz noch immer keine Kerosinsteuer. Auch Treibstoffe für Autos werden künstlich verbilligt, indem sie etwa hierzulande von der CO2-Abgabe befreit sind. 

Hindernis 2: Klimaschädliche Investitionen 

Nach wie vor legen institutionelle Investoren wie Pensionsfonds, Vermögensverwalter und Versicherer ebenso wie Hedgefonds und Banken im grossen Stil Geld in Aktien und Anleihen fossiler Unternehmen an. Eine aktuelle Recherche vom Mai 2024 zeigt: Derzeit sind Anleger mit rund 4’300’000’000’000 US-Dollar in der fossilen Industrie investiert. Damit finanzieren Fondsanleger, Aktionäre und Investorinnen das Geschäftsmodell der Öl-, Gas- und Kohleindustrie, was den nachhaltigen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft (Just Transition) verschleppt. Über 90 Prozent der fossilen Investitionen stammen von Investoren aus 10 Ländern – die USA, Kanada, Japan, Großbritannien, Indien, China, Norwegen, die Schweiz, Frankreich und Deutschland. 

Dadurch, dass der Schweizer Finanzplatz rund einen Viertel des weltweiten grenzüberschreitenden Vermögens verwaltet, hielte er einen wirksamen internationalen «Hebel» zur Eindämmung der Klima- und Biodiversitätskrise in der Hand, legt ihn jedoch nicht um. 2024 muss das Jahr sein, in dem Regierungen, Zentralbanken und Regulierungsbehörden Massnahmen ergreifen, um Finanzströme in Einklang mit den Pariser Klimazielen zu bringen. Institutionelle Investoren müssen ihre Billionen endlich konsequent in Richtung Energiewende und netto Null umschichten. 

Hindernis 3: Kompensation von Klimaschutz in armen Ländern 

Seit Jahren preisen viele Öl- und Gaskonzerne, Fluggesellschaften und Autohersteller, Fastfood- und Getränkemarken, Modehäuser und Tech-Firmen den milliardenschweren Emissionshandel als Grundlage für den Klimaschutz an. Den freiwilligen Kompensationsmarkt nutzen sie als eine Möglichkeit, ihre Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren, während sie ihre Geschäftsmodelle weiterhin auf fossile Brennstoffe und nicht nachhaltige Lieferketten ausrichten. Die Konzerne finanzieren Aufforstungs- und Waldschutzprojekte, die Emissionen anderswo mindern oder aus der Atmosphäre entnehmen sollen. Nebst der Privatwirtschaft wollen mittlerweile auch Staaten einen Teil ihrer Klimaschutzziele billig und ohne Wähler:innen zu vergraulen durch «Offsetting» in ärmeren Ländern erreichen – ganz vorne mit dabei ist die Schweiz. 

Seit es freiwillige Kompensationsgeschäfte gibt, stehen sie in der Kritik. Auch heute noch verleihen sie Firmen ein verantwortungsbewusstes Image (Stichwort «Greenwashing»). Dabei halten die finanzierten Klimaschutz-Projekte häufig in keiner Weise, was sie versprechen. Auch der zwischenstaatliche CO2-Handel hat ein Problem: Immer mehr Länder, etwa Kamerun und Bangladesch, rechnen sich die eingesparte Menge CO2 aus der Aufforstung oder aus verbesserten Kochöfen selbst an, da mit «Paris» sämtliche Länder ihre Emissionen reduzieren müssen. Will heissen: Unterstützen Industrieländer ärmere Staaten beim Klimaschutz, ist das absolut richtig und wichtig. Die Möglichkeit der Auslandkompensation hingegen entbindet weder private Konzerne noch Regierungen von der Aufgabe, Klimaneutralität selbständig und vor 2050 zu erreichen. 

Hindernis 4: Die hohe Verschuldung im Süden 

Laut der UNO haben die Auslandsschulden der Entwicklungsländer mit 11’400’000’000’000 US-Dollar 2023 den höchsten jemals verzeichneten Stand erreicht. Die Schulden sind mehr als doppelt so hoch wie vor einer Dekade und über fünfmal so hoch wie im Jahr 2000 (2,1 Billionen). Bereits 2021 erreichte die Verschuldung ärmerer Länder mehr als 30 Prozent ihrer Wirtschaftskraft (BNE). Die Zahl der Volkswirtschaften, in denen die Schuldzinsen 10 Prozent oder mehr der öffentlichen Einnahmen ausmachen, stieg von 29 im Jahr 2010 auf 50 im Jahr 2022. Mindestens 3,3 Milliarden Menschen leben in Staaten, deren Regierungen mehr für Schuldzinsen als für Gesundheit und Bildung ausgeben. Besonders prekär ist, dass in den ärmsten und einkommensschwachen Entwicklungsländern (LDC) der Schuldendienst besonders stark ansteigt. 

Mit ein Grund ist die internationale Klimafinanzierung: Reiche Länder unterstützen Ärmere darin, eine sozial gerechte Energiewende einzuleiten, um die Erderhitzung zu begrenzen (Mitigation) und sich an negative Klimafolgen anzupassen (Adaptation). An sich ein gutes Vehikel, doch circa drei Viertel dieser durch Industrieländer wie die Schweiz bereit gestellten Mittel sind zinsvergünstigte, rückzahlbare Kredite. Mit der Folge, dass ausgerechnet jene Länder, die kaum etwas für die Klimakrise können, sich bei wohlhabenden Staaten für die existenzsichernde Anpassung zusätzlich verschulden müssen. Entwicklungsländer wenden derzeit fünfmal mehr für die Schuldentilgung als zur Bekämpfung der negativen Folgen der Klimakrise auf. 

Fazit 

Die Beschlüsse an der Klimakonferenz COP28 in Dubai waren wichtig, müssen unbedingt eingehalten und – vor allem – auch umgesetzt werden. Denn es reicht nicht, Ziele zu vereinbaren. In Baku müssen die Regierungen konkrete und effektive Massnahmen einleiten, damit die gesetzten Ziele auch erreicht werden. Die gigantischen Subventionen für fossile Energie, private und klimaschädliche Investitionen, der (Irr-)Glaube an Kompensation von Klimaschutz in armen Ländern sowie die lähmend hohe Verschuldung im Süden führen dazu, dass die Weltgemeinschaft das 1,5 Grad-Ziel verfehlt. Die Politik muss sich schleunigst mit diesen vier Hindernissen befassen – bevor es zu spät ist. 

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Verantwortlicher Politische Kommunikation
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