Der WeltRisikoBericht 2020 bringt es wieder einmal an den Tag: Die Anstrengungen der Weltgemeinschaft für eine nachhaltige Entwicklung und intakte Umwelt genügen in keiner Weise, um den globalen Risiken als Folge von extremen Naturereignissen begegnen zu können. Bedroht sind insbesondere arme und exponierte Länder. Es braucht dringend klimagerechte Massnahmen, um die Widerstandskraft verletzlicher Staaten und Gesellschaften zu stärken.
Seit 2011 gibt das deutsche Bündnis Entwicklung Hilft jährlich den WeltRisikoBericht heraus. Entstanden ist dieser Zusammenschluss verschiedener Hilfswerke nach der Tsunami-Katastrophe von 2004. Der Bericht enthält jeweils auch den gleichnamigen Index, der seit 2017 vom Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht (IFHV) der Ruhr-Universität Bochum berechnet und wissenschaftlich verantwortet wird. Er versteht sich als eine Grundlage für die politische und gesellschaftliche Entscheidungsfindung. Der aktuelle WeltRisikoBericht 2020 zeigt, dass klimagerechtes Handeln Not tut, auch um der Klimamigration entgegenzuwirken.
Das Katastrophenrisiko ist komplex
Für die Berechnung des WeltRisikoIndex’ werden die «Gefährdung» (Exposition) und die «Verwundbarkeit» (Vulnerabilität) von Staaten und Gesellschaften analysiert. Die beiden Werte werden kombiniert, woraus sich eine Einschätzung des Katastrophenrisikos ergibt. Denn das Risiko, dass sich extreme Naturereignisse zur Katastrophe entwickeln, ist immer nur zum Teil von deren Stärke selbst abhängig. Ebenso entscheidend sind die gesellschaftlichen und staatlichen Fähigkeiten, negative Auswirkungen von Naturgefahren zu bewältigen und sich daran anzupassen.
Wie komplex die Bestimmung von Katastrophenrisiken ist, verdeutlicht die Vielfalt der Indikatoren: Um die «Gefährdung» zu bestimmen, wird untersucht, wie stark eine Bevölkerung oder eine Region den Auswirkungen extremer Naturereignisse (Erdbeben, Stürme, Überschwemmungen, Dürren, Meeresspiegelanstieg) ausgesetzt ist. Der Grad der «Verwundbarkeit» hängt von der Anfälligkeit und von den Bewältigungs- und Anpassungskapazitäten eines Landes ab.
- «Anfälligkeit» bezeichnet die Wahrscheinlichkeit einer Gesellschaft, im Falle eines extremen Naturereignisses Schaden davonzutragen. Sie beschreibt strukturelle gesellschaftliche Merkmale und geht aus den Daten zur öffentlichen Infrastruktur, Wohnsituation, Ernährung, Armut, Wirtschaftskraft gemäss Bruttoinlandprodukt und Einkommensverteilung hervor.
- Die «Bewältigungskapazitäten» erfassen die Fähigkeiten einer Gesellschaft, negative Auswirkungen von Naturgefahren und Klimawandel minimieren zu können. Sie ergeben sich aus der Leistungsfähigkeit der Regierung und Verwaltung, der vorhandenen Katastrophenvorsorge und Frühwarnung sowie der medizinischen Versorgung, der materiellen Absicherung (Versicherungsschutz) und der Qualität der sozialen Netze (Familie und Nachbarschaft).
- Zu den «Anpassungskapazitäten» gehören die langfristigen Strategien von Gesellschaften, mit künftigen negativen Auswirkungen von Naturgefahren und Klimawandel umzugehen. Sie hängen ab von der gesellschaftlichen Gleichberechtigung, der Bildungs- und Forschungsqualität sowie davon, ob die Ökosysteme geschützt und natürliche Ressourcen nachhaltig bewirtschaftet werden.
Das mag technisch klingen, doch die sorgfältige Erhebung und Auswertung der verschiedenen sozialen, ökonomischen, physischen und umweltbezogenen Komponenten ist Voraussetzung für eine verlässliche Einschätzung der Katastrophenrisiken. Erst daraus lassen sich geeignete Massnahmen ableiten, um diese Risiken zu reduzieren. In der Entwicklungszusammenarbeit spricht man von Disaster Risk Reduction.
Besonders gefährdet: Ozeanien und Subsahara-Afrika
Im aktuellen Bericht wird das Katastrophenrisiko für 181 Länder bestimmt. Das Ergebnis ist beunruhigend: Rund 40 Prozent der Länder weisen ein «sehr hohes» oder «hohes» Risiko auf, 20 Prozent haben ein «mittleres» Risiko, bei den restlichen 40 Prozent gilt es als «gering» oder «sehr gering». Wenig erstaunlich ist, dass dabei die Inselstaaten im Südpazifik und in der Karibik mit ihrer exponierten Lage besonders gefährdet sind. Allen voran Vanuatu, das auch hinsichtlich seiner Verwundbarkeit schlecht gerüstet ist. Nebst dem Meeresspiegelanstieg tragen Stürme und Erdbeben zum Risikoprofil vieler Insel- und Festlandstaaten bei. Zudem erhöhen erhebliche Defizite bei den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen das Katastrophenrisiko vieler dieser Länder. Dies gilt insbesondere für rund 80 Prozent der 44 untersuchten Staaten in Subsahara-Afrika, deren Risiko als «sehr hoch» oder «hoch» eingestuft wird. Das Katastrophenrisiko, bilanziert der Bericht, ist sehr heterogen und geographisch stark konzentriert: Die globalen Hotspots liegen in Ozeanien, Südostasien, Mittelamerika sowie West- und Zentralafrika.
Die Index-Daten verdeutlichen aber auch, dass exponierte Länder ihr Katastrophenrisiko verringern können, sofern sie in der Lage sind, ihre eigenen Kapazitäten zu stärken und damit ihre Verwundbarkeit zu verringern. Dies gilt nicht nur für reiche Länder wie Japan und die Niederlande, sondern zum Beispiel auch für Costa Rica, Uruguay, Malaysia, Mauritius und Kuba. Allerdings führen die schweren Katastrophen und spürbaren Auswirkungen des Klimawandels der letzten Jahre dazu, dass die Risikoprofile vieler Länder noch vielfältiger und komplexer werden. Auch Regionen, die den Gefahren bisher kaum ausgesetzt waren, werden künftig gezwungen sein, neue politische und gesellschaftliche Kapazitäten zur erfolgreichen Bewältigung und Anpassung zu entwickeln.
Zunehmende Klimamigration
Zu den «neuen» Risiken gehört die zunehmende klimawandel-bedingte Migration als Folge der Erderwärmung und den sich verändernden Extremwetterlagen: Plötzlich auftretende Stürme oder Überschwemmungen zwingen Betroffene, vorübergehend landesintern oder in Nachbarländer auszuweichen. Bei schleichenden Veränderungen wie Dürren, Wasser- und Boden-Versalzung versuchen Gemeinschaften, sich zuhause daran anzupassen – Migration bleibt der letzte Ausweg. Der Meeresspiegelanstieg hingegen führt zur irreversiblen Migration in benachbarte Regionen. Schätzungen darüber, wie viele Menschen wegen des Klimawandels migrieren werden müssen, variieren. So geht eine Weltbank-Studie aus dem Jahre 2018 von 143 Millionen Menschen aus Lateinamerika, Subsahara-Afrika und Südostasien bis 2050 aus, während Forschende der Universität Hamburg schon 2014 von bis zu 200 Millionen Betroffenen in den nächsten 30 Jahren sprachen, wenn nicht rasch in Anpassungsmassnahmen investiert werde.
Den Folgen des Klimawandels und speziell auch der Klimamigration muss in der künftigen Risikoanalyse ein grosses Gewicht beigemessen werden. Dies ist umso wichtiger, als dass die damit verbundenen Probleme international noch zu wenig Aufmerksamkeit erhalten und die Verantwortung den jeweiligen Herkunftsländer zugeschoben wird. Doch Umwelt- und Klimavertriebene haben Rechte und Bedürfnisse, festgehalten sind diese in der Schutzagenda zur Nansen-Initiative (seit 2016: Platform on Disaster Displacement). Dabei geht es um die Stärkung der Widerstandsfähigkeit vor Ort, um Migrationsmöglichkeiten, um Umsiedlungen aus gefährdeten Zonen und um den Schutz intern Vertriebener.
Der aktuelle WeltRisikoBericht belegt die Notwendigkeit klimagerechten Handelns. Damit soll verhindert werden, «dass zukünftig noch mehr Menschen aufgrund unwiederbringlich zerstörter Lebensgrundlagen ihr Zuhause verlassen müssen und ihre Existenzgrundlage verlieren».