Die Gletscher-Initiative verlangt eine ehrgeizige Klimapolitik. Dazu gehört ein Verbot fossiler Energieträger bis 2050. Da dem Bundesrat das Anliegen zu weit geht, präsentiert er dem Parlament einen direkten Gegenentwurf. Der Nationalrat wird Anfang März über beide Vorlagen befinden. Seine Umweltkommission arbeitet derweilen an einem indirekten Gegenentwurf.
Am 27. November 2019 wurde die Gletscher-Initiative «Für ein gesundes Klima» eingereicht. Innerhalb von sieben Monaten hatten knapp 115'000 Stimmberechtigte unterschrieben. Die Initiative will einen neuen Klima-Artikel in der Bundesverfassung verankern: Darin verpflichtet sich die Schweiz bis 2050 auf Netto-Null Emissionen und ein Verbot fossiler Energieträger. Nach dem Scheitern des CO2-Gesetzes an der Urne im Juni 2021 hat die Initiative noch einmal an Bedeutung gewonnen. Bei einer Annahme und raschen Umsetzung wäre die Schweiz wohl gerade noch im Zeitplan, wie er im sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarats vorgegeben wird, um die Klimaziele von Paris zu erreichen. Anfang März berät der Nationalrat als Erstrat das Geschäft.
Ein direkter Gegenvorschlag ohne Verbote
Der Bundesrat will kein Verbot fossiler Energieträger und lehnt die Initiative daher ab. Dem Stimmvolk die Initiative ohne Gegenvorschlag vorzulegen, war ihm aber zu riskant: Zu populär ist das Anliegen, die Schweiz auf Klimakurs zu bringen und «das Schwinden unserer Gletscher» zu stoppen. Bei einem alternativlosen Abstimmungsvorschlag könnte das gesellschaftspolitisch breit verankerte und konsequente Engagement für Klimaschutz und Gletscher an der Urne obsiegen, zum Leidwesen von Wirtschaft und Politik, die dann ernst machen müssten.
Deshalb liess der Bundesrat einen direkten Gegenentwurf ausarbeiten, den er im September 2020 in die Vernehmlassung gab. Darin machte er sich zwar das Hauptziel der Initiative zu eigen, Netto-Null-Treibhausgasemissionen bis spätestens 2050 zu erreichen. Ein Verbot fossiler Energieträger wie Heizöl, Benzin und Kohle bis 2050 hingegen «geht dem Bundesrat zu weit», wie Bundesrätin Simonetta Sommaruga bei der Präsentation der bundesrätlichen Botschaft an das Parlament im August 2021 festhielt. Gemäss Gegenentwurf soll der Verbrauch fossiler Brenn- und Treibstoffe nicht verboten, sondern so weit vermindert werden, «als dies technisch möglich, wirtschaftlich tragbar und mit der Sicherheit des Landes und dem Schutz der Bevölkerung vereinbar ist». Das ist wenig ambitioniert und nicht mit dem Pariser Abkommen vereinbar.
Der direkte Gegenentwurf droht, sofern das Parlament ihm zustimmt, die Chancen der Initiative zu schmälern. Die Erfahrung zeigt: Wenn beide Vorlagen zur Abstimmung kommen, entscheidet bei einem doppelten Ja die Stichfrage, was den Gegenentwurf bevorteilt. Denn wer der Initiative zustimmt, wird dies im Sinne einer Second-Best-Option wohl auch beim Gegenentwurf tun, um nicht zu riskieren, dass beide Vorlagen abgelehnt werden.
Verzögerung wider besseren Wissens
Mit seinem direkten Gegenentwurf spielt der Bundesrat klimapolitisch auf Zeit, weil dieser Verfassungsartikel erst in ein Ausführungsgesetz übersetzt werden muss. Dafür haben Bund und Parlament bis zu fünf Jahre Zeit – also bis etwa 2027. Die Regierung hätte der Initiative auch einen indirekten Gegenvorschlag in Gesetzesform entgegenstellen können, der bei Annahme durch das Parlament direkt in Kraft gesetzt würde, sofern die Initiative an der Urne scheitert.
Weil angesichts des rasch voranschreitenden Klimawandels die Zeit drängt, wurde der Bundesrat denn auch in zahlreichen Vernehmlassungsantworten aufgefordert, anstelle des direkten einen solchen indirekten Gegenvorschlag vorzulegen. Im Ergebnisbericht des Vernehmlassungsverfahrens verweist das zuständige Bundesamt für Umwelt ausführlich auf diese Forderung. Der Bundesrat hingegen geht in seiner Botschaft nur am Rand darauf ein und hält fest, dass «der Konkretisierung von klimapolitischen Zielen und Elementen ihrer Umsetzung am ehesten mit Änderungen des CO2-Gesetzes Rechnung getragen» werde. Nach der Ablehnung des revidierten CO2-Gesetzes werde er «aufgrund einer Analyse des Abstimmungsergebnisses und dessen Ursachen möglichst rasch über eine neue Vorlage zur Weiterentwicklung der Klimapolitik entscheiden».
Genau diese Weiterentwicklung der klimapolitischen Gesetzesbestimmungen wollten viele Akteure, die sich an der Vernehmlassung beteiligt hatten (darunter auch Helvetas), mit einem indirekten Gegenvorschlag erreichen. Allerdings muss dem Bundesrat zugestanden werden, dass er sich wegen der vorgegebenen Fristen hätte sputen müssen. Denn er musste aufgrund gesetzlicher Vorgaben dem Parlament seine Botschaft bis August 2021 unterbreiten, weniger als zwei Monate nach dem unerwarteten Scheitern des CO2-Gesetzes im Juni.
Einfallsreiche Umweltkommission
Diesem Fristen-Dilemma begegnete die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates (UREK-N), indem sie im Oktober 2021 beschloss, der Gletscher-Initiative einen indirekten Gegenentwurf gegenüberzustellen, «damit rasch eine griffige Lösung auf Gesetzesstufe vorliegt». Dafür reichte sie eine parlamentarische Initiative ein, um das gültige CO2-Gesetz von 2011 inhaltlich weitgehend dem direkten Gegenvorschlag des Bundesrats anzupassen. Diese Gesetzesrevision soll nur in Kraft treten, wenn die Gletscher-Initiative zurückgezogen oder in der Volksabstimmung abgelehnt wird. Nachdem die UREK des Ständerats im November 2021 grünes Licht für das Anliegen ihrer Schwesterkommission gab, nahm die UREK-N die Arbeit an einem entsprechenden Gesetzesentwurf auf. Dieser soll dem Nationalrat in der kommenden Sommersession vorgelegt werden.
Parallel dazu beschloss die UREK-N am 15. Februar 2022 mit 14 zu 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen, ihrem Rat die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen, da das grundsätzliche Verbot von fossilen Brenn- und Treibstoffen zu einschneidend sei. Mit 14 zu 11 Stimmen sprach sie sich für den direkten Gegenentwurf aus. So wird nun der Nationalrat am 2. und 3. März als Erstrat über die Gletscher-Initiative und den direkten Gegenvorschlag befinden – im Wissen, dass er sich im Sommer nochmals mit der Materie beschäftigen wird, wenn der Gesetzesentwurf der UREK-N traktandiert ist. Der Ständerat wird das Gleiche wohl im Sommer und Herbst tun. In der Wintersession dürften dann allenfalls nötige Bereinigungen vorgenommen werden.
Es braucht ein JA zur Initiative
Voraussichtlich 2023 werden die Stimmberechtigten über Initiative und direkten Gegenentwurf abstimmen. Um schon jetzt ein klares Zeichen zu setzen, wäre das Parlament gut beraten, angesichts der bedrohlichen Folgen der Klimaerwärmung nicht auf Zeit zu spielen, in der Klimapolitik ambitioniert voranzugehen und die Gletscher-Initiative zur Annahme zu empfehlen, ohne Wenn und Aber.
Denn das Klima kümmert sich nicht um die Politik und wartet auch nicht auf sie. Umso wichtiger wird es sein, dass die Schweizer Bevölkerung ein klares Signal setzt: Indem sie die Gletscher-Initiative annimmt und sich unmissverständlich für eine ambitionierte Klimapolitik und einen Umbau des Energiesystems ohne fossile Energieträger bis 2050 ausspricht. Die Initiative verankert den Klimaschutz und die Ziele des Pariser Klimaabkommens in der Verfassung. Weniger geht nicht – auch im Interesse der kommenden Generationen.