Die Metalle der Seltenen Erden sind heute nicht mehr wegzudenken. Keine Zukunftstechnologie, die darauf verzichten könnte. Daher genügt es nicht, die Abhängigkeit von China, das den Markt dominiert, zu reduzieren. Es braucht Investitionen in die Wiederverwertung von Elektroschrott im Interesse von Umweltschutz und nachhaltiger Entwicklung. Der Bund muss vorangehen.
Sie gehören in Zeiten von Elektromobilität und Informationstechnik zu den wichtigsten Rohstoffen. Handys, Laptops, Flachbildschirme, Digitalkameras oder Windturbinen sind ohne sie nicht denkbar. Der boomende Elektroautomarkt ist auf sie angewiesen. Gesellschaft und Wirtschaft sind von ihnen so abhängig wie nie zuvor. Und doch spricht man kaum über sie: die Metalle der Seltenen Erden, kurz «Seltene Erden». Ausserhalb von Rohstoffbranche und Industrie wissen die meisten Menschen kaum, worum es dabei geht. Man kennt Erdöl und Erdgas, Aluminium und Edelmetalle, Sand, Kies und Ton – aber Seltene Erden?
Kurz gesagt handelt es sich um 17 Metalle, die nur gemeinsam und jeweils in geringen Vorkommen in der Erdkruste vorhanden sind. Sie werden aus Erzen gewonnen und zu Metallen und Oxiden weiterverarbeitet. Der Name entstand in den Anfängen ihrer Gewinnung: Selten, da man früher annahm, die Mineralien, in denen sie vorkommen, seien sehr selten, was aber für einige nicht gilt. Erden, da sie in Form von Oxiden isoliert und gewonnen wurden (Erden als ältere Bezeichnung für Oxide). Wie Lithium, Indium oder Tantal gehören sie zu den Seltenen Metallen – den «Rohstoffen für die Zukunftstechnologien».
Die Gewinnung der Seltenen Erden ist aufwendig, gefährlich und mit einem hohen Energieaufwand verbunden. Sie findet vor allem in China statt. Seltene Erden werden in einem mehrstufigen und komplexen Trennverfahren aus Erzen herausgelöst. Beim Auswaschen mit Säuren bleiben giftiger Schlamm und toxische Abfälle zurück. Der Schlamm wird in künstlichen Teichen gelagert, die ohne strenge Kontrollen für das Grundwasser gefährlich werden können. Zudem kann Radioaktivität austreten, da viele Erze Seltener Erden zusätzlich radioaktive Substanzen enthalten.
Schweizer Sorgen und Interessen
Mit Blick auf die Bedeutung der Seltenen Erden und die Abhängigkeit von China beauftragte das Parlament 2012 den Bundesrat, einen Bericht über die Versorgungssicherheit für die Schweizer Industrie zu erstellen. Dieser fand zwar, dass die «Rohstoffversorgung in erster Linie Sache der Privatwirtschaft» sei, er werde aber dennoch den gewünschten Bericht verfassen. Diesen legte der Bundesrat im Dezember 2018 schliesslich vor. Darin kam er – mit Verweis auf das liberale Welthandelssystem – zum Schluss, dass das Versorgungsrisiko für die Schweiz gering sei. Die Lage auf dem Weltmarkt hatte sich entspannt, nachdem China auf Intervention der WTO im März 2014 seine 2010 eingeführten Exportbeschränkungen für Seltene Erden zurückgenommen hatte und der Preis deutlich gesunken war. Zudem hielt der Bundesrat fest, die Schweizer Industrie benötige nur geringe Mengen und in erster Linie indirekt in Form verarbeiteter Produkte wie Batterien und Magnete. Es müssten aber «in der langen Frist Recycling und Substituierung der Seltenen Erden in Betracht gezogen werden».
Im September 2020 griff ein weiteres Postulat diese Aspekte auf und forderte einen Zusatzbericht, der nebst der Versorgungssicherheit speziell Auskunft geben sollte über die Unterstützungsmassnahmen des Bundes hinsichtlich Substituierung und Wiederverwertung. Denn: «Seltene Erden sind ökologisch, ökonomisch und letztlich auch politisch ein zentrales Thema für die Schweiz. Es braucht dringend eine umfassende Strategie.» Der Bundesrat lehnt das Postulat ab, will aber den Bericht von 2018 entsprechend aktualisieren. Der Vorstoss ist im Parlament hängig.
Chinas Vormachtstellung
China verfügt über 80 Prozent der Verarbeitungsanlagen für Seltene Erden und hatte lange Zeit eine Art Monopolstellung bei deren Förderung. 2020 wurden laut dem US Geological Survey weltweit 240'000 Tonnen gefördert: durch China (58%), gefolgt von den USA (16%), Myanmar (13%), Australien (7%) und Madagaskar (3%). Die weltweiten Vorkommen werden auf 120 Millionen Tonnen geschätzt, verteilt auf China (37%), Vietnam und Brasilien (je 18%), Russland (10%) sowie Indien (6%). Dazu kommen kleinere Vorkommen in Australien und verschiedenen amerikanischen, afrikanischen und asiatischen Ländern. Viele dieser Länder waren bisher wegen der aufwendigen und gefährlichen Ausbeutung nicht willens oder in der Lage, die wertvollen Metalle zu fördern.
Inzwischen ist der Welthandel mit Seltenen Erden wieder in Unruhe, da China aufgrund geostrategischer Interessen erneut laut über Exportkontrollen nachdenkt. Hintergrund sind Waffenlieferungen US-amerikanischer Rüstungsfirmen an Taiwan. Deren Rüstungsgüter, unter anderem Kampfjets, enthalten Seltene Erden aus China. Als Retourkutsche für US-Sanktionen gegen chinesische Firmen, die mit Nordkorea oder Iran Geschäfte machen, will China nun diese Rüstungsfirmen auf seine schwarze Liste setzen. In der Folge sind die Preise für einzelne Seltene Erden in den letzten Monaten massiv angestiegen.
Damit Seltene Erden nicht mehr als «politische Waffe» eingesetzt werden können, ist seit einiger Zeit eine Diversifizierung der Produktion im Gange – im Interesse der wirtschaftlichen Sicherheit des Westens. Die USA hat ihr wichtigstes Bergwerk reaktiviert und fördert zudem Projekte in Australien, Kanada und Grönland. Die EU investiert in neue Minen in Serbien und der Ukraine und hofft auf einen Produktionsbeginn in zehn Jahren. Gleichzeitig wurde 2019 in Brüssel der Branchenverband Rare Earth Industry Association (REIA) gegründet, um mehr Transparenz in der gesamten Lieferkette der Seltenen Erden zu schaffen. Dabei konzentriert sich REIA «auf die Entwicklung einer integrierten, risikoarmen und nachhaltigen Wertschöpfungskette für verschiedene Produkte aus Selten Erden». REIA soll als erster Verband ausserhalb Chinas dazu beitragen, die Abhängigkeit Europas von China zu reduzieren.
Recycling von Elektroschrott
Durch die Entwicklung und Verbreitung grüner Technologien wird die Versorgungslage mit Seltenen Erden mittel- bis langfristig kritisch werden. Dies betrifft insbesondere die erneuerbare Energieversorgung und die Automobilindustrie mit ihrem Bedarf an Batteriezellen. Lieferengpässe und höhere Preise gefährden den Ausbau dieser Zukunftstechnologien, von denen die Schweiz als postindustrielle Gesellschaft massgeblich abhängig ist. Sie sollte deshalb ein grosses Interesse daran haben, sorgsam mit diesen Rohstoffen umzugehen. Dass die Zukunft nur im Recycling liegen kann, entspricht auch Ziel 12.5 der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung: «Bis 2030 das Abfallaufkommen durch Vermeidung, Verminderung, Wiederverwertung und Wiederverwendung deutlich verringern».
Dabei geht es in erster Linie um Elektroschrott: Handys, Computer und andere Elektrogeräte. Laut dem Global E-Waste Monitor 2020 landeten 2019 weltweit knapp 54 Millionen Tonnen auf den Müll. Das waren 7,3 Kilogramm pro Person. In Westeuropa waren es über 20 Kilogramm pro Person. Nur 43 Prozent davon wurden sachgerecht entsorgt.
Bei null muss das Forschungsland Schweiz nicht beginnen: Der bereits 1951 gegründete Entwicklungsfonds Seltene Metalle (ESM) unterstützt Forschungs- und Entwicklungsprojekte zur Wiederverwertung. Mit der Diskussion über Kreislaufwirtschaft und «Urban Mining» kommt weiter Bewegung in die Sache. So investiert Swico, der Wirtschaftsverband der ICT- und Online-Branche, in ein Projekt, das die Rückgewinnung der Seltenen Erden zum Ziel hat. Und im Rahmen des Forschungsprogramms Switzerland Innovation Tech4Impact Initiative von Swiss Innovation gelang es im Dezember 2020, eine Technologie zur Rückgewinnung von Seltenen Erden aus Elektroschrott zu entwickeln.
Doch eine kontrollierte Rückgewinnung, bei der nicht ein vergleichbarer Energie-, Wasser- und Chemikalienverbrauch anfällt wie in der Primärproduktion, ist wirtschaftlich noch wenig ertragreich. Daher ist der Bund gefordert, solche Forschungs- und Entwicklungsprojekte für Seltene Erden im Interesse der Kreislaufwirtschaft und der Zukunftstechnologien unter anderem im Rahmen seines Forschungskonzepts Umwelt 2021-2024 stärker zu fördern – als ein zentrales Element der Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030, die zurzeit ausgearbeitet wird.