Über drei Jahre nach ihrer Einreichung geistert die Konzernverantwortungsinitiative (KOVI) weiterhin durchs Bundeshaus und schreckt Parlament und Bundesrat in regelmässigen Abständen auf. Im vergangenen Dezember befasste sich erneut der Ständerat im Rahmen der Aktienrechtsrevision mit der Vorlage. Wie erwartet hat er aus dem akzeptablen indirekten Gegenvorschlag des Nationalrats einen zahnlosen Papiertiger gemacht.
In der Herbstsession hatte sich der alte Ständerat geweigert, auf den indirekten Gegenvorschlag des Nationalrats einzutreten, und so die Diskussion auf die Zeit nach den Wahlen verschoben. Wer nun auf frischen Wind in der neu gewählten «chambre de refléxion» gehofft hatte, wurde enttäuscht. Zwei Gegenvorschläge, die im Nationalrat und auch in der eigenen Rechtskommission jeweils eine Mehrheit gefunden hatten und laut Initiativkomitee zu einem Rückzug der KOVI geführt hätten, wurden in der Wintersession rundweg abgelehnt. Stattdessen schwenkte der Ständerat bereitwillig auf einen neuen, dritten Gegenvorschlag ein, den Bundesrätin Karin Keller-Sutter erst wenige Monate zuvor ins Spiel gebracht hatte: Dieser orientiert sich an einem seit 2016 geltenden EU-Minimalstandard und schlägt für Grossunternehmen lediglich eine jährliche Berichterstattungspflicht zu Umwelt und Menschenrechten vor.
Vermutlich hat nicht zuletzt der Wirtschaftsdachverband economiesuisse zur ungewohnten bundesrätlichen Pirouette beigetragen, doch noch einen indirekten Gegenvorschlag aus dem Hut zu zaubern. Denn 2017 hatte die Regierung die Initiative ohne Wenn und Aber zur Ablehnung empfohlen. Nachdem sich der Nationalrat im Rahmen der Aktienrechtsrevision aber überraschend deutlich für einen griffigen Gegenvorschlag ausgesprochen hatte, der einen Rückzug der Initiative erlaubt hätte, stieg die Nervosität in gewissen Wirtschaftskreisen wieder deutlich an. Denn wie die Initiative sah auch der indirekte Gegenvorschlag des Nationalrats eine Haftungsklausel vor, um Unternehmen, die ihre Sorgfaltsprüfungspflicht bezüglich Umwelt und Menschenrechten verletzen, zur Rechenschaft zu ziehen. Diesen Haftungsmechanismus scheut economiesuisse wie der Teufel das Weihwasser und warnt eindringlich vor einer «internationalen Klageindustrie».
Der Papiertiger des Bundesrats
Der Gegenvorschlag Keller-Sutter, der im Dezember vom Ständerat dank SVP, FDP und Teilen der CVP gutgeheissen wurde, vermeidet jegliche Sanktionsmöglichkeiten, selbst wenn ein Unternehmen wiederholt gegen internationale Menschenrechts- und Umweltstandards verstösst. Stattdessen sieht er vor, dass Unternehmen ab einer gewissen Grösse einmal pro Jahr über ihre Sorgfaltsprüfung in den zwei genannten Bereichen Bericht erstatten. In «begründeten Fällen» können sie sich gar von dieser Berichterstattungspflicht befreien lassen. Sanktionen sind keine vorgesehen, selbst nicht für notorische Wiederholungstäter.
Das tönt nicht nur nach einem zahnlosen Papiertiger, sondern ist es tatsächlich auch. Wie die NZZ wenige Tage vor der Beratung im Ständerat berichtete, kam eine Untersuchung der School of Business and Economics der Freien Universität Berlin jüngst zum Schluss, dass die entsprechende EU-Regelung «kein geeignetes Instrument ist, um gegen die Missachtung von Menschenrechten oder anderen gesellschaftlichen Verantwortungen vorzugehen». So würden Unternehmen die negativen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit regelmässig unterschlagen, Positives dafür umso mehr hervorheben. Das Fazit der Studie: «Nur wenn den Firmen rechtlich verbindlichere Vorgaben gemacht werden, erzielt die Berichtspflicht eine Wirkung.»
Keine Konsensbereitschaft des Ständerats
Normalerweise wird die NZZ von den Mitgliedern des Ständerats stets aufmerksam gelesen und gerne zitiert – diesmal aber unterblieb jeglicher Hinweis auf diese Studie und deren eigentlich wenig erstaunlichen Erkenntnisse. Stattdessen vertraut eine Mehrheit der kleinen Kammer darauf, dem Stimmvolk in der kommenden Volksabstimmung eine solch lauwarme Regelung als knallharte Linie verkaufen zu können und die Anliegen der KOVI damit ein für alle Mal zu versenken. Denn am Urnengang führt nach dem jüngsten Entscheid kein Weg vorbei. Zwar kommt das Geschäft im Frühling wieder zurück in den Nationalrat. Doch die die grosse Kammer wird ihren Entscheid kaum nochmals überdenken, und dass die beiden Räte in einer allfälligen Einigungskonferenz einen brauchbaren Konsens erzielen, der den Initiantinnen und Initianten als Alternative zur KOVI genügen würde, ist nicht zu erwarten.
Somit kommt die KOVI im September oder November dieses Jahres an die Urne. Während sich economiesuisse und Swiss Holdings zumindest vordergründig siegesgewiss geben, gibt es in Wirtschaftskreisen nicht wenige, die die gewählte Strategie für äusserst riskant halten. Nicht von ungefähr hatten gewichtige Stimmen wie das Groupement des Entreprises Multinationales (GEM), die Fédération des Entreprises Romandes oder die Migros im Wissen um die grossen Sympathien in der Bevölkerung für die KOVI-Anliegen den Gegenvorschlag des Nationalrats öffentlich unterstützt – ebenso wie dutzende Unternehmerinnen und Unternehmer und bürgerliche Politikerinnen und Politiker. Zu gewinnen gibt es für die Wirtschaft jedenfalls kaum etwas – zu verlieren hingegen schon. Denn selbst wenn economiesuisse im Herbst an der Urne obsiegen würde, so wäre lediglich der Status Quo verteidigt. Ein Abstimmungskampf gegen einen wirksamen Schutz von Menschenrechten und Umwelt sowie gegen weit über hundert Organisationen aus der Schweizer Zivilgesellschaft würde am Wirtschaftsdachverband, dessen Reputation ohnehin schon arg ramponiert ist, aber kaum spurlos vorübergehen.