Kohle bleibt begehrt. Vor allem ärmere Länder setzen auf den günstigen Energieträger. Für die Schweizer Energieversorgung ist Kohle nicht relevant. Doch im internationalen Handel mit dem CO2-intensiven Rohstoff ist die Schweiz ein Schwergewicht. Beim gerechten Übergang hin zu einer emissionsfreien Energieversorgung weltweit kommt darum der Schweiz eine besondere Rolle zu.
2021 wurde an der UNO-Klimakonferenz in Glasgow der weltweite Ausstieg aus der Kohle beschlossen. Der Entscheid wurde ein Jahr später in Sharm el-Sheikh bestärkt; die Schlusserklärung hält fest, dass die Länder ihre Kohleaktivitäten zurück- und Subventionen in die Kohleindustrie herunterfahren sollen. Doch in Wirklichkeit passiert gerade das Gegenteil. Fakt ist: Die weltweiten Subventionen für den Verbrauch von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas haben sich laut der Internationalen Energieagentur (IEA) 2022 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt – auf ein neues Allzeithoch von 1'100 Milliarden US-Dollar. Ausschlaggebend dafür ist der russische Angriffskrieg auf die Ukraine.
Westliche Länder haben den Bezug von Öl und Gas aus Russland heruntergefahren. Das Ziel ist, der russischen Regierung die Einnahmen zu entziehen, die zur Finanzierung des Kriegs benötigt werden. Weil man die erneuerbare Energiewende zu wenig konsequent vorangetrieben hat, sehen sich europäische Länder nun gezwungen, innert kürzester Zeit Hafen-Terminals zu bauen, um die entstehende Lücke mit teurem Flüssiggas (LNG) aus Ländern wie den USA, Algerien, Angola, Nigeria und Katar zu füllen. Gleichzeitig nehmen einige Länder Europas ihre Kohlekraftwerke wieder in Betrieb oder verlängern deren Laufzeit um ein paar Monate oder Jahre. Um die steigenden Energiekosten für die Menschen und die Wirtschaft abzumildern, subventionieren die Regierungen fossile Energien oder deckeln deren Marktpreise.
Ärmere Länder setzen weiterhin auf Kohle
Während Europa aus geopolitischen Motiven auf russische Ölimporte verzichtet, findet Putins Regime Käufer in anderen Weltregionen. Vor allem Länder wie China, Indien, Indonesien, Brasilien, Südafrika, Pakistan und Sri Lanka beziehen vermehrt günstiges Öl aus Russland. Gleichzeitig setzen viele Entwicklungs- und Schwellenländer stark auf Kohle, um ihren schnell wachsenden Hunger nach billiger Energie zu stillen. Die Nachfrage nach Kohle ist verheerend für das globale Klima. Denn Kohle ist mit einem Anteil von rund 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen der klimaschädlichste fossile Energieträger.
Laut Global Energy Monitor werden weltweit mehr neue Kohlekraftwerke ans Netz genommen als alte abgeschaltet. Gegenwärtig laufen 2400 Kohlekraftwerke in 79 Ländern. Laut IEA erreichte der Verbrauch von klimaschädlicher Kohle im Jahr 2022 einen neuen Höchstwert. Gerade in Entwicklungsländern hat der Kohleverbrauch in den vergangenen zwanzig Jahren stark zugenommen. Am stärksten abhängig von Kohle sind die ärmsten Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen. In diesen Ländern deckt sie fast die Hälfte des gesamten Energiebedarfs ab.
Internationale Unterstützung für einen gerechten Übergang
Bereits vier Jahre vor dem Glasgower Klimagipfel wurde die Powering Past Coal Alliance (PPCA) auf der Klimakonferenz in Bonn 2017 gegründet; die Schweiz ist Mitglied. Die Allianz setzt sich dafür ein, dass die Industrieländer bis 2030 und die Entwicklungsländer bis 2050 aus der Kohleverstromung aussteigen. In einem Zwischenschritt müssten die Entwicklungsländer ihren Kohlestrom bis 2030 bereits um einen Drittel vermindern – etwa durch die Schliessung der umweltschädlichsten Kraftwerke. Dieser Rückgang wäre viel rascher als derzeit von jenen Regierungen geplant. Und er könnte viele von Kohle abhängige Entwicklungsländer überfordern. Daher benötigen ärmere Länder Unterstützung beim Aufbau erneuerbarer Energiegewinnung.
Rund 90 Prozent der globalen Kohleproduktion erfolgt durch zehn Länder mit China an der Spitze. Danach folgen Indien, USA, Australien, Indonesien, Russland, Südafrika, Deutschland, Polen und Kasachstan. Weitere wichtige Produktionsländer sind die Türkei, Kolumbien, die Mongolei, Serbien und Vietnam. Gerade in ärmeren kohleproduzierenden Ländern finden viele Menschen ein Auskommen in der Branche. Wird ein Bergwerk geschlossen, kann dies Existenzen und die lokale Wirtschaft zerstören. Zurück bleiben oft Perspektivenlosigkeit und gravierende Umweltschäden, für die sich niemand verantwortlich fühlt.
Da es aus politischen und wirtschaftlichen Gründen für viele Regierungen zunächst wenig attraktiv ist, ein Bergwerk oder ein Kohlekraftwerk zu schliessen, werden Kohleausstieg und wirtschaftliche Neuausrichtung von der internationalen Zusammenarbeit unterstützt, so zum Beispiel durch die Weltbank. Zentral dabei ist es, die lokale Bevölkerung von Anfang an in den Veränderungsprozess hin zu einer grüneren Wirtschaft miteinzubeziehen und die Umstände vor Ort gut zu kennen: Wie viele Arbeiter:innen sind betroffen? Wie können anfängliche Einkommenseinbussen abgemildert werden? Welche Qualifikationen bringen die Menschen mit? Gibt es nach Schliessung einer Mine oder eines Kraftwerks alternative Beschäftigungsmöglichkeiten, z.B. im Bereich erneuerbarer Energien?
Kennen die Regierungen Kosten und Vorteile des Kohleausstiegs, können sie die erforderlichen Massnahmen ergreifen und Mittel für nachhaltige Investitionen bereitstellen. An den jüngeren UNO-Klimakonferenzen haben sich reiche Nationen dazu verpflichtet, öffentliche und private Finanzmittel zu mobilisieren, um den Kohleausstieg in Ländern wie Indonesien, Vietnam, Kolumbien, der Mongolei und weiteren Entwicklungsländern zu beschleunigen. Und sie darin zu unterstützen, auf Energieeffizienz und saubere Energiequellen wie Solar- und Windenergie umzusteigen. Derzeit liegt diese Unterstützung allerdings weit unter den Erwartungen.
Lukrative Geschäfte im Schweizer Kohlehandel
Auch wenn für ihre Energieversorgung Kohle nicht relevant ist, dominieren beim schweizerischen Energieverbrauch nach wie vor die nicht-erneuerbaren Energien mit einem Anteil von über zwei Dritteln. Dabei ist der Import von Erdöl am wichtigsten, gefolgt von der Nuklearenergie und Erdgas. Angesichts der grossen Abhängigkeit vom Ausland hat das Parlament in der zu Ende gegangenen Frühjahrssession Schritte unternommen, die heimische Energieproduktion auszubauen. Im Einklang mit der Energiestrategie 2050 und dem Ziel der Energiesicherheit sollen die Sonnen-, Wind- und Wasserkraft vorangetrieben werden.
Dennoch spielt Kohle für die Schweiz eine herausragende Rolle. Denn die Schweiz ist im internationalen Kohlehandel ein globales Schwergewicht. Laut der Organisation Public Eye werden rund 40 Prozent des internationalen Kohlehandels über die Schweiz abgewickelt. Gemäss Einträgen im Handelsregister sind 245 Firmen im Handel und in der Förderung von Kohle tätig. Sie befinden sich im «helvetischen Kohledreieck» Zug – Genf – Lugano. Es sind Schweizer Unternehmen, internationale Holdings, Handelszweige und Briefkastenfirmen. Darunter auch die wichtigsten Kohleförderer Russlands. Während Besitzstrukturen und Steuerverhältnisse intransparent sind, fehlt eine Aufsichtsbehörde, welche Sorgfaltspflichten der Rohstofffirmen in den Bereichen Menschenrechte, Umwelt oder Geldwäscherei überwachen könnte.
Wegen des Kriegs in der Ukraine profitieren Händler:innen von steigenden Preisen und der Preisvolatilität, aber auch von den im internationalen Vergleich tiefen Steuern in der Schweiz. Gleichwohl leiden viele Menschen in der Schweiz und anderswo unter steigenden Energiekosten. Zahlreiche europäische Länder haben daher eine «Zufallsgewinnsteuer» eingeführt. Dabei handelt es sich um eine Steuer für Unternehmen, deren Gewinne nicht aufgrund von innovativen Ideen, klugen Investitionsentscheidungen oder weitsichtiger Geschäftstätigkeit, sondern insbesondere im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg stark angestiegen sind. Die durch diese sogenannte «Windfall Tax» generierten Einnahmen könnten z.B. für ärmere Haushalte in der Schweiz, für den Wiederaufbau der Ukraine oder zur Unterstützung der weltweit notwendigen Energie-Transformation verwendet werden. Der Bundesrat hat aber bereits verlauten lassen, dass er einer Kriegsgewinnsteuer nicht zustimmen wird. Die Schweiz wird sich also vorerst dem internationalen Trend zur Besteuerung von «Übergewinnen» nicht anschliessen.
Im Sinne der dringend erforderlichen Dekarbonisierung und von globaler Klimagerechtigkeit sollte sich die Schweiz in Zukunft weniger als internationale Handelsdrehscheibe für Kohlegeschäfte andienen, als vielmehr den gerechten Übergang zu einer emissionsfreien Energieversorgung weltweit vorantreiben.