Millionen Klimavertriebene sind Opfer von moderner Sklaverei. Sie geraten in Zwangsarbeit oder Schuldknechtschaft, müssen sich prostituieren oder werden zwangsverheiratet. Ihr Schicksal wird von der internationalen Politik bisher weitgehend ignoriert. Das muss sich ändern.
Der Klimawandel ist einer der wichtigsten Migrationstreiber. Doch politische Massnahmen im Interesse klimabedingter Flüchtlinge gibt es bisher kaum. 2010 beliess es die UNO im Cancun Adaptation Framework dabei, auf die Notwendigkeit einer verbesserten globalen Zusammenarbeit hinzuweisen, um den Herausforderungen der klimabedingten Migration zu begegnen. Im Pariser Klimaabkommen von 2015 kommt das Thema gerade noch in der Präambel vor: Die Rechte der Migrantinnen und Migranten seien zu achten, fördern und berücksichtigen.
Das Problem dabei: Die internationale Klimapolitik beschäftigt sich mit Mitigation (Minderung der Klimaerwärmung) und Adaptation (Anpassung an den Klimawandel), kaum aber mit «Loss and Damage», den Schäden und Verlusten durch extreme Wetterereignisse wie Dürren, Überschwemmungen und den Meeresspiegelanstieg. Damit werden auch die klimabedingten Migrationsbewegungen, Vertreibungen und Umsiedlungen von der internationalen Politik ausser Acht gelassen. Am kommenden Klimagipfel COP26 in Glasgow wird sich daran nicht viel ändern, auch wenn ein halber Tag des «Presidency Programmes» dem Thema gewidmet ist.
Klimavertriebene – ein heisses Eisen
Dass die klimabedingte Migration in der Diskussion über Loss and Damage möglichst ausgeklammert wird, kann angesichts ihrer Komplexität und den damit verbundenen Herausforderungen nicht erstaunen. Denn laut Schätzungen der Weltbank werden die Folgen des Klimawandels (Ernteausfälle, Wasserknappheit, Meeresspiegelanstieg) bis 2050 über 143 Millionen Menschen zur Migration zwingen, vor allem in Subsahara-Afrika, Südasien und Lateinamerika. Doch niemand will dafür zuständig sein und Verantwortung übernehmen – Klimaflucht ist der Politik ein zu heisses Eisen.
Das zeigte sich auch bei der Ausarbeitung der beiden 2018 verabschiedeten UN-Pakte zu Migration und Flucht. Im Globalen Pakt für Flüchtlinge heisst es: «Klima, Umweltzerstörung und Naturkatastrophen sind für sich selbst genommen keine Ursachen für Fluchtbewegungen, stehen aber immer häufiger in Wechselwirkung mit den Triebkräften solcher Bevölkerungsbewegungen». Da Klimavertriebene somit nicht als Flüchtlinge gelten, werden sie nicht vom Schutz der Flüchtlingskonvention und folglich auch nicht vom Pakt erfasst. Und im «Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration» wird zwar anerkannt, dass es Anpassungsstrategien für Naturkatastrophen, negative Folgen des Klimawandels und Umweltschäden zur Minimierung der Migrationstreiber braucht, dabei wird aber in erster Linie auf die Verantwortung der Herkunftsländer verwiesen.
Die 2016 veröffentlichte Schutzagenda der Nansen Initiative (heute Platform on Disaster Displacement) hingegen zeigt nicht nur die weltweiten Herausforderungen für Umwelt- und Klimavertriebene und deren wichtigsten Bedürfnisse und Rechte auf. Sie verlangt von der Staatengemeinschaft auch Massnahmen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit vor Ort, (grenzüberschreitende) Migrationsmöglichkeiten, Umsiedlung aus gefährdeten Zonen und zudem den Schutz intern Vertriebener. Dabei weist die Agenda auch auf ein erhöhtes Risiko für Frauen und Mädchen hin, Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung zu werden. Bestehende rechtliche Lücken gerade hinsichtlich der grenzüberschreitenden Klimaflucht müssen im zwischenstaatlichen Dialog geschlossen werden. Allerdings geht die Agenda aus heutiger Sicht zu wenig weit: Millionen Klimavertriebene sind heute den verschiedenen Formen moderner Sklaverei ausgesetzt. Eine konsequente Einhaltung der Schutzagenda wäre unabdingbar, ist aber trotz des grossen Engagements der Plattform in weiter Ferne.
Moderne Sklaverei in der Migration
Als moderne Sklaverei bezeichnet die Menschenrechtsorganisation Anti-Slavery International «die schwere Ausbeutung von Menschen zum persönlichen oder kommerziellen Vorteil». Sie kann überall stattfinden und wie ein normaler Job aussehen. Doch die Betroffenen sind Gewalt oder Drohungen ausgesetzt, haben sich unausweichlich verschuldet oder ihnen wurde der Pass abgenommen und es droht die Abschiebung. Viele geraten in die Falle, weil sie anfällig sind für fiese Tricks, Fallen und falsche Versprechungen, oft als Folge von Armut und Ausgrenzung, oder auch mangels Zugang zu Bildung. Oder sie landen auf der Flucht in Lagern und Gefängnissen, von wo aus sie verkauft werden.
Moderne Sklaverei hat viele Formen. Dazu gehören Menschenschmuggel, Zwangsprostitution, Zwangsarbeit, Schuldknechtschaft, traditionelle Sklaverei, Kinderarbeit, Kindersoldaten sowie Zwangs- und Kinderheirat. Für 2016 zählte die Internationale Arbeitsorganisation weltweit 40 Millionen Opfer moderner Sklaverei, davon 70 Prozent Frauen und Mädchen. Etwa 10 Millionen waren Kinder. 25 Millionen Menschen waren in Zwangsarbeit, die Hälfte davon in Schuldknechtschaft. Die anderen 15 Millionen waren zwangsverheiratet.
Informationen darüber, wie gross der Anteil Klimavertriebener bei diesen 40 Millionen Opfern moderner Sklaverei ist, liegen noch nicht vor. Doch wenn Menschen zur Migration gezwungen werden, steigt wegen schwindender Ressourcen und ständiger Unsicherheiten unterwegs das Risiko, in die moderne Sklaverei zu geraten. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) betont denn auch, Migrantinnen und Migranten seien «besonders anfällig für Menschenhandel, Zwangsarbeit und moderne Sklaverei».
Die Spirale der Gewalt durchbrechen
Eine neue Studie von Anti-Slavery International und IIED (International Institute for Environment and Development) verweist auf den Zusammenhang zwischen klimabedingter Migration und moderner Sklaverei und belegt diesen mit Beispielen. So hat Menschenhandel nach dem Tsunami in Indonesien zugenommen und auf den Philippinen sahen sich viele überlebende Frauen des Taifuns Haiyan gezwungen, als Prostituierte zu arbeiten, da sie keine Alternative hatten, anderweitig zu Geld zu kommen, um zu überleben. In Bangladesch wurden Frauen, die durch den Zyklon Sidr verwitwet wurden, von Menschenhändlern zur Prostitution oder Zwangsarbeit gezwungen, und in Assam, im Nordosten Indiens, sehen sich Frauen und Mädchen nach den jährlichen Überschwemmungen zu Kindersklaverei oder Zwangsheirat gezwungen, um über die Runden zu kommen. In Kambodscha schliesslich wurden Bauern, deren Lebensgrundlage durch den Klimawandel untergraben wurde, von den Besitzern einer Ofenfabrik, die ihre Schulden aufkauften, in eine generationenübergreifende Schuldknechtschaft gezwungen. Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen und sie wird länger und länger werden.
Es zeichnet sich also ab, dass ohne Gegenmassnahmen weitere Millionen vom Klimawandel vertriebene Menschen in den kommenden Jahrzehnten den verschiedenen Formen moderner Sklaverei ausgesetzt sein werden. Daher rufen die Autorinnen und Autoren der Studie dazu auf, den Nexus «Klimawandel, Migration, moderne Sklaverei» dringend auf die Agenda der internationalen Entwicklungs-, Klima- und Migrationspolitik zu setzen. Es muss alles daran gesetzt werden, die Spirale in die moderne Sklaverei zu durchbrechen. Regierungen sind also gefordert,
- die Migration auch für Klimavertriebene im Sinn des UNO-Migrationspakts «sicher, geordnet und regulär» auszugestalten.
- in ihren klimapolitischen «National Festgelegten Beiträgen» (NDC) gemäss Pariser Klimaabkommen auch Strategien und Massnahmen für sichere und grenzüberschreitende Migrationswege festzulegen und dabei besonders Schutz vor Sklaverei im Kontext des Klimawandels zu bieten.
- Ziel 8.7 der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung mit Nachdruck umzusetzen, das heisst «sofortige und wirksame Massnahmen zu ergreifen, um Zwangsarbeit abzuschaffen, moderne Sklaverei und Menschenhandel zu beenden und das Verbot und die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, einschliesslich der Einziehung und des Einsatzes von Kindersoldaten, sicherzustellen und bis 2025 jeder Form von Kinderarbeit ein Ende zu setzen».
Damit niemand zurückgelassen wird. Auch nicht auf der Flucht vor den Folgen des Klimawandels.