Der Bundesrat hat seine Strategie der Internationalen Zusammenarbeit (IZA) 2025-2028 in eine dreimonatige Konsultation geschickt. Überzeugend am Entwurf ist, dass sich die Schweiz auch in Zukunft in den relevanten und drängenden Bereichen engagieren wird. Nicht akzeptabel ist hingegen, dass die wichtige und dringende Ukrainehilfe zu Lasten des bewährten Engagements in der Entwicklungszusammenarbeit in den ärmsten Ländern gehen soll.
Seit Jahren trägt die Internationale Zusammenarbeit (IZA) der Schweiz dazu bei, weltweit Leben zu retten, Armut zu lindern, wirtschaftliche Perspektiven zu schaffen und Frieden zu fördern. Nun hat der Bundesrat seinen Entwurf für die Internationale Zusammenarbeit 2025 bis 2028 in eine öffentliche Vernehmlassung geschickt. Darin setzen die DEZA und das Seco auf Kontinuität: Die bewährten Schwerpunkte Migration und Gesundheit, lokale Wirtschaft und menschenwürdige Arbeit, Klimawandel und Ernährungssicherheit sowie Konfliktbeilegung und Friedensförderung sollen beibehalten werden. Wie bis anhin verfolge die IZA das Ziel, Armut zu lindern und nachhaltige Entwicklung in den Dimensionen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt zu fördern. Auch künftig soll sich die IZA an der Nachhaltigkeits-Agenda 2030 orientieren und zu deren Umsetzung beitragen.
Während die Ziele der IZA, die gewählten Partnerländer und die thematischen Schwerpunkte kaum grundsätzliche Fragen aufwerfen, sorgen drei Vorschläge im Entwurf bereits heute für Kopfschütteln: Erstens will der Bundesrat für die notwendige Unterstützung der Ukraine keine zusätzlichen Gelder sprechen. Zweitens möchte er die Humanitäre Hilfe zu Lasten der langfristigen Entwicklungszusammenarbeit ausbauen. Und drittens hat der Bundesrat immer noch keine Vorstellung davon, wie sich die Schweiz ab 2025 stärker an der internationalen Klimafinanzierung beteiligen wird.
Die Unterstützung der Ukraine ist wichtig – aber sie darf nicht auf Kosten ärmerer Länder gehen
Vor vier Jahren beschlossen Bundesrat und Parlament, die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika bis zum Ende der laufende Strategieperiode 2024 zu beenden. Die Politik begründete diesen Schritt damit, dass die Entwicklungshilfe geografisch stärker gebündelt werden soll. Konkret: Der Rückzug aus Lateinamerika würde zusätzliche Gelder für ärmere Regionen und Länder, etwa für Subsahara Afrika, Nordafrika und den Mittleren Osten freimachen. Doch nun möchte der Bundesrat davon nichts mehr wissen: Stattdessen will er die in Lateinamerika eingesparten Gelder und darüber hinaus weitere Mittel aus der Entwicklungszusammenarbeit in die Ukraine umlenken. Für die nächsten vier Jahre sind 1,5 Milliarden von gesamthaft 11,45 Milliarden Franken für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe in der Ukraine reserviert. 13 Prozent des gesamten Budgets sollen ein einem Land eingesetzt werden.
Selbstverständlich ist die Unterstützung der Ukraine wichtig und notwendig. Dass die Hilfe aber nicht zusätzlich zum mehr oder weniger gleichbleibenden IZA-Budget geleistet wird, sondern zulasten der Unterstützung ärmerer Länder in Afrika, Lateinamerika und Asien geht, ist verstörend und nicht akzeptabel. Dies umso mehr, weil der Bundesrat keine Gelegenheit auslässt zu betonen, wie grosszügig das humanitäre Engagement der Schweiz in der Ukraine sei. Besonders stolz gibt man sich, mit der Wiederaufbaukonferenz in Lugano 2022 bereits früh den Grundstein für eine nachhaltige Wiederherstellung der Ukraine gelegt zu haben. In der Tat steht die Schweiz als Ausgleich für die mangelnde Unterstützung bei militärischen Gütern und die zurückhaltende Kooperation beim Aufspüren russischer Oligarchengelder im besonderen Masse in der Verantwortung, mit grosszügiger humanitärer Hilfe und beim Wiederaufbau voranzugehen. Allerdings sticht die Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern nicht gerade hervor.
Im vergangenen Sommer beschloss das Parlament eine beispiellose Aufrüstung des Militärs. Nun gilt es, die langfristige internationale Konfliktprävention im Gleichschritt zu stärken. Thomas Greminger, Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik und ehemaliger Generalsekretär der OSZE gibt in einem Gastkommentar in den Medien zu bedenken: «International wächst […] die Überzeugung, dass nur ein ganzheitlicher Ansatz im Bereich Sicherheitspolitik langfristig erfolgversprechend ist. Staatliche Sicherheitspolitik braucht neben Investitionen ins Militär auch Massnahmen im Bereich der Aussen- und Entwicklungspolitik. […] Ein umfassendes Hilfspaket für die Ukraine ist unbestritten. Dieses darf jedoch nicht auf Kosten anderer Regionen, die benachteiligt werden, gesprochen werden».
Zusätzliche Unterstützung wäre im Übrigen auch aus völkerrechtlicher Sicht gerechtfertigt. So schreibt der emeritierte Professor und Völkerrechts-Experte Rainer J. Schweizer in einem Gastbeitrag: «Dieser Krieg wird andauern, und seine schrecklichen Auswirkungen sind nicht zu ermessen. Gerade deshalb müssen in der Schweiz die jetzt dringlichen Ausgaben für die mittelbare Bewältigung dieses europäischen Kriegs unabhängig von der Internationalen Zusammenarbeit und von den vielfältigen anderen Verpflichtungen im Ausland […] ausserordentlich erbracht werden. […] Sie sind zur Verteidigung der europäischen und schweizerischen Grundwerte vorrangig zu erbringen und ausserordentlich zu behandeln».
Sicherheits- und friedenspolitisch konsistent wäre daher, für die Ukraine nebst den bestehenden IZA-Rahmenkrediten einen separaten Rahmen zu schaffen, wie es historisch mit dem «Osthilfegesetz» und dem Kohäsionsbeitrag an die neuen EU-Mitglieder gemacht wurde. So könnte der «Zeitenwende» angemessen Rechnung getragen werden: Nicht nur profitiert die Schweiz von den europäischen Bemühungen um Frieden und Stabilität in Europa. Auf lange Sicht werden die Investitionen auch im wirtschaftlichen Interesse der Schweiz sein.
Krisenbewältigung ist wichtig – gleichzeitig müssen aber auch die Ursachen bekämpft werden
Der zweite kontroverse Punkt im Entwurf ist die Absicht des Bundesrats, die humanitäre Hilfe deutlich auszubauen. Zunächst macht dies Sinn. Denn der weltweite humanitäre Bedarf steigt stärker als die von der internationalen Gemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel. In den vergangenen Jahren ist die humanitäre «Finanzierungslücke» stetig grösser geworden. Problematisch ist jedoch, dass der humanitäre Ausbau von 19 auf neu 25 Prozent des IZA-Budgets zu Lasten der langfristigen Entwicklungszusammenarbeit geht. Während Nothilfe auf Katastrophen und Krisenherde reagiert, ist es die Entwicklungshilfe, die dazu beiträgt, dass sich die Lebensbedingungen in armen und unsicheren Ländern verbessern und Krisenherde gar nicht erst entstehen. Entwicklungszusammenarbeit stärkt die Zivilgesellschaft und geht – anders als die Nothilfe – die Ursachen von Armut und Hunger, von politischer Instabilität und Gewalt, von Ungerechtigkeit und Vertreibung an. Im Zentrum stehen der Zugang zu gesunder und erschwinglicher Ernährung, Bildung und Chancengleichheit, die Stärkung eines nachhaltigen lokalen Privatsektors und Aussicht auf gute Verdienstmöglichkeiten sowie verantwortungsvolle und transparente Behörden.
Dazu sagt Prof. Peter Messerli, Nachhaltigkeitsexperte und Leiter der Wyss Academy for Nature: «Es reicht nicht, den Symptomen der Krisen nachzurennen. Wir dürfen uns nicht darauf ausrichten, nur noch die Feuer löschen zu wollen. Globale Nachhaltigkeit und die Entwicklungsziele der Agenda 2030 lassen sich nur erreichen, wenn wir die zugrundeliegenden Probleme der Armut und Ungleichheit angehen und «Systeme» gerechter und umweltfreundlicher gestalten – zum Beispiel das Ernährungssystem, das Energiesystem oder das Finanzsystem. Ein entscheidender Impuls zur Unterstützung von nachhaltigen und tiefgreifenden Veränderungen ist die Entwicklungszusammenarbeit».
Auch der Entwurf der neuen IZA-Strategie hält richtigerweise fest: «Die IZA unterstützt die Entwicklungsländer bei ihrer Umsetzung der Agenda 2030, aber auch bei der Verabschiedung von Reformen, die es ihnen ermöglichen sollen, sich an der Seite der Schweiz wirksam für die Bewältigung globaler Herausforderungen [wie Klimawandel, Umweltschutz, Hunger, Vertreibung, Epidemien etc.] einzusetzen». Daher gilt: Ja zum Ausbau der humanitären Hilfe – aber nicht zu Lasten der nachhaltigen Entwicklungszusammenarbeit.
Klimamassnahmen werden wichtiger – doch es braucht dafür eine verursachergerechte Finanzierung
Schliesslich schlägt der Bundesrat vor, wie bereits in der aktuellen Strategieperiode 1,6 Milliarden Franken über vier Jahre für Klimaschutz und Anpassung an die Folgen der Erderwärmung einzusetzen. Klimafragen stärker in den Fokus der Entwicklungszusammenarbeit zu rücken, ist angesichts der folgenschweren Erderwärmung notwendig. Damit aber die Verpflichtungen der Schweiz im Rahmen des Pariser Klimaabkommens nicht immer stärker die eigentlichen Aufgaben der IZA in der Armutsbekämpfung und der Linderung von Not verdrängen, muss der Bundesrat, sozialverträgliche und verursachergerechte Finanzierungsinstrumente ausarbeiten. Nicht zuletzt deshalb, weil seit längerem klar ist, dass die Schweiz ihren Beitrag am international vereinbarten Klimafinanzierungsziel ab 2025 noch einmal deutlich wird erhöhen müssen.
Rupa Mukerji, Klimaexpertin der Helvetas, Lead-Autorin des Weltklimarates IPCC und zivilgesellschaftliches Mitglied der offiziellen Verhandlungsdelegation der Schweiz an der letztjährigen Weltklimakonferenz meint dazu: «Der wachsende Unterstützungsbedarf der Entwicklungsländer bei der Anpassung und im Kampf gegen den Klimawandel kann nicht durch das gleichbleibende IZA-Budget gedeckt werden. Spätestens für die Zeit nach 2025 muss der Bundesrat neue und zusätzliche Mittel für die internationale Klimafinanzierung mobilisieren. Es braucht nun endlich eine klare und verbindliche Strategie mit dem Ziel, verursachergerechte Instrumente wie eine Flugabgabe, eine Finanztransaktionssteuer oder eine Besteuerung der fossilen Industrie einzuführen. Die Einkünfte müssen für eine stärkere Unterstützung beim Klimaschutz und der Anpassung an die dramatischen Klimafolgen in Entwicklungsländern verwendet werden».
Zeitenwende: Ausserordentliche Lagen verlangen nach ausserordentlichen Schritten!
Viele Partnerländer der Schweizer IZA leiden noch immer unter den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Covid-Pandemie. Zudem fehlen ihnen die Mittel, um die indirekten Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine – höhere Inflation, steigende Energiepreise und teurere Nahrungsmittel – aufzufangen. Hinzu kommen die Auswirkungen der Klimaveränderung – häufigere Stürme, Hitzewellen, Überschwemmungen. Der Agenda 2030-«Halbzeitbericht» von UNO-Generalsekretär António Guterres ist eine niederschmetternde Lektüre: Bei den meisten SDGs ist die Welt nicht auf Kurs.
Das anerkennt auch der Bundesrat im IZA-Entwurf. Dennoch ist er nicht bereit, in den kommenden Jahren zusätzliche Mittel für die «öffentliche Entwicklungszusammenarbeit» (Aide publique au développement, APD) bereit zu stellen. Schlimmer noch: Im Verhältnis zur schweizerischen Wirtschaftsleistung (BNE) geht die APD-Quote sogar zurück – von 0,56 Prozent im Jahr 2022 auf 0,42 Prozent bis 2028. OECD-konform können bei der APD-Quote Betreuungskosten für Asylsuchende in der Schweiz mitberücksichtigt werden. Schaut man sich nur die Entwicklungszusammenarbeit an, die tatsächlich in den Ländern des globalen Südens geleistet wird, dann rutscht die Schweiz sogar auf historisch tiefe 0,36 Prozent ab. Damit würde die Schweiz gerade mal noch die Hälfte der internationalen Unterstützung leisten, zu der sie sich seit 1970 wiederholt bekannt hat. Zuletzt wurde dieser Zielwert in der Agenda 2030 bekräftigt.
Aktuell haben Parteien, Verbände, Organisationen und interessierte Kreise Gelegenheit, im Rahmen einer öffentlichen Vernehmlassung zum Vorschlag des Bundesrats Stellung zu nehmen. Helvetas setzt sich dafür ein, dass sich die Schweiz mit der Ukraine solidarisch zeigt und zugleich angemessene Mittel zur Bekämpfung von Armut und Ungleichheit einsetzt. Angesichts der akuten Herausforderungen sollte die Schweiz die Schuldenbremse lockern und entschieden in nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz, in Ernährungssicherheit und Anpassung an Klimaverheerungen, in Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, in Frieden und Menschenrechte weltweit investieren. Aus Solidarität. Aus Verantwortung. Und aus Eigeninteresse.