Seit Anfang Jahr ist die Schweiz nicht-ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat und hat bereits erste Erfolge verzeichnet. Das zeigt, dass auch ein vermeintliches «Leichtgewicht» viel erreichen kann, wenn in New York über die Krisen und Konflikte dieser Welt verhandelt wird – selbst in scheinbar aussichtlosen Situationen. Gefragt sind diplomatisches Geschick, Mut und ein Schuss Kreativität.
Es dauerte nicht lange, bis das Aussendepartement von Bundesrat Ignazio Cassis mit einer ersten Erfolgsmeldung aus dem UNO-Sicherheitsrat aufwarten konnte. Nur neun Tage, nachdem die Schweiz offiziell als nicht-ständiges Mitglied am «heissen Tisch» im UNO-Hauptsitz in New York Platz genommen hatte, entschied der Sicherheitsrat, den letzten verbliebenen Grenzübergang nach Nordwest-Syrien für weitere sechs Monate offen zu halten. Zusammen mit Brasilien übernahm die Schweiz die Federführung für eine Erneuerung der Resolution und hatte im Vorfeld der Entscheidung hinter den Kulissen lobbyiert. Trotzdem kam der einstimmige Entscheid letztlich überraschend, hatte sich bisher doch vor allem Russland wiederholt gegen diesen Übergang gewehrt.
Ein konkreter Beitrag
Die Schweizer Delegation demonstrierte damit schon früh ihre Bereitschaft und ihre Fähigkeit, aktiv zur Lösung ganz konkreter Konflikte und Situationen beizutragen. Gemäss swissinfo «kaum mit grossen, kühnen Vorhaben wie Frieden für die Ukraine oder einem Stopp des Atomprogramms im Iran. Vielmehr als Mittlerin bei zahlreichen Entscheidungen zu Konflikten, die im Schatten der Schlagzeilen stehen. Also bei der politisch-diplomatischen Klein- und Feinarbeit. Und erst recht dort, wo es um humanitäre Anliegen geht, um den Schutz von Zivilisten, um Menschenrechte».
Im konkreten Fall von Syrien bedeutet dies, dass über vier Millionen Frauen, Männer und Kinder weiterhin – und auch nach dem verheerenden Erdbeben von Anfang Februar – mit dringend benötigter humanitärer Hilfe versorgt werden können und ihr Überleben nicht allein vom Goodwill des Assad-Regimes abhängt. Dieser Erfolg hat das Potenzial, die Schweiz zu weiteren ambitionierten Schritten zu ermutigen, um im Sicherheitsrat vergleichbare Probleme anzugehen. Denn gerade abseits der täglichen Schlagzeilen gibt es Dutzende «vergessener Krisen», die nicht weniger menschliches Leid verursachen und oft seit Jahren einer Lösung harren.
Das Parlament mischt sich ein
Dieser Meinung ist auch das Schweizer Parlament – und versucht daher, die Agenda des Aussendepartements im Sicherheitsrat im Rahmen seiner Möglichkeiten mitzugestalten. Dabei stellt niemand die vier Prioritäten in Frage, die der Bundesrat der Schweizer Delegation ins Aufgabenheft geschrieben hat: Er will erstens die Handlungsfähigkeit des Rats stärken, zweitens die Auswirkungen des Klimawandels auf die internationale Sicherheit angehen, drittens die Zivilbevölkerung und insbesondere Minderheiten in bewaffneten Konflikten schützen und viertens nachhaltigen Frieden fördern. Über diese wichtigen Grundsatzdebatten hinaus fordert die Politik aber auch konkrete Beiträge zur Lösung schwelender Konflikte.
So hat die Aussenpolitische Kommission des Ständerats (APK-S) Mitte Januar den seit Jahrzehnten anhaltenden Konflikt zwischen Armenien und Aserbeidschan behandelt und die Schweizer Regierung gebeten, im Sicherheitsrat aktiv nach Lösungen zu suchen. Auch hier geht es unter anderem um die Offenhaltung bzw. Wiedereröffnung von Versorgungskorridoren, um das Leiden der armenischen Zivilbevölkerung zu mindern.
Die Schwesterkommission des Nationalrats (APK-N) wies bereits im Juni 2022 auf den Bürgerkrieg in Myanmar und das Schicksal der Rohingya-Flüchtlinge hin, die in Bangladesch ohne Perspektiven auf Rückkehr nach Myanmar oder Perspektiven auf sichere Lebensgrundlagen im Land selbst, im grössten Flüchtlingslager der Welt leben. Sie forderte den Bundesrat auf, sich im Sicherheitsrat aktiv um diese beiden eng miteinander verknüpften, aber von der Weltöffentlichkeit weitgehend vergessenen humanitären Krisen zu kümmern. Weil der Bundesrat seither keine Anstalten machte, der Aufforderung des Parlaments Folge zu leisten, kam das Thema in der APK-N Mitte Januar erneut auf den Tisch, wie der knappen Medienmitteilung zur entsprechenden Sitzung zu entnehmen ist.
Ratspräsidentschaft als Gelegenheit
Dabei böte sich der Schweiz im kommenden Mai, also in gut zwei Monaten, eine hervorragende Gelegenheit, diesen und anderen ähnlichen Krisen die benötigte Aufmerksamkeit zu verschaffen. Dann nämlich wird die Schweiz einen Monat lang den Vorsitz des Sicherheitsrats innehaben. Das bedeutet zwar in erster Linie viel Protokoll und eine gute Koordination der zahlreichen wiederkehrenden Geschäfte, um einen reibungslosen Ablauf der Ratsgeschäfte zu garantieren. Gleichzeitig gibt die Ratspräsidentschaft einem Land aber auch die Möglichkeit, eigene thematische und geografische Schwerpunkte zu setzen und scheinbar aussichtlose Debatten wieder in Gang zu bringen.
Im Einklang mit ihren vier übergeordneten Prioritäten hat die Schweiz daher auch schon einen sogenannten «Signature Event» zum Schutz der Zivilbevölkerung angekündigt – bislang allerdings ohne Verweis auf konkrete Krisensituationen, die dringend einer Diskussion bedürften. Ganz offensichtlich will sich die Schweiz alle Optionen offenhalten und erst den jährlichen Bericht des UNO-Generalsekretärs zum Thema abwarten, der in der Regel Anfang Mai veröffentlicht wird.
Angesichts des demokratisch legitimierten Auftrags des Parlaments, sich um Fälle wie Armenien und Aserbeidschan oder Myanmar und die Rohingya zu kümmern, liegt eine vertiefte Behandlung dieser beiden Fälle auf der Hand. Zwar hat der Sicherheitsrat erst im Dezember 2022 eine Resolution zur humanitären Krise in Myanmar verabschiedet. Nach Ansicht vieler Beobachter:innen weist sie aber erhebliche Lücken auf und wird der dramatischen Situation der Zivilbevölkerung mit Millionen intern Vertriebener in keiner Weise gerecht. Kleine, aber konkrete weitere Schritte könnten auch hier von grosser Bedeutung für hunderttausende Menschen in Not sein.
Dass sie in der Lage und bereit ist, die grosse Bühne des Sicherheitsrats mit dem nötigen diplomatischen Geschick, mit Mut und Kreativität zu nutzen, hat die Schweiz im Fall von Syrien schon früh unter Beweis gestellt. Nun ist es an der Zeit, das erste zählbare Resultat zu bestätigen.