Das Stromgesetz, über das am 9. Juni abgestimmt wird, eröffnet der Schweiz zahlreiche Chancen. Es fördert nicht nur den nachhaltigen Ausbau erneuerbarer Energien, sondern hilft der Schweiz auch, rascher aus Klimakompensationen in Entwicklungsländern auszusteigen. Und es bietet der Schweiz die Grundlage, damit sie sich stärker engagiert, dass der Abbau kritischer Rohstoffe fairer und sauberer gestaltet wird.
Mehr als zwei Jahre beriet das Parlament über das Gesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien. Im September 2023 verabschiedete es der Ständerat einstimmig, der Nationalrat mit lediglich 19 Gegenstimmen. Kaum je fand eine politische Vorlage einen derart breiten Konsens. Getragen wird das Gesetz von den Grünen und der SP, von FDP, Mitte und EVP sowie von grossen Teilen der SVP. Während sich Albert Rösti in den vergangenen Jahren immer wieder skeptisch gegenüber dem Klimawandel geäussert hatte, verteidigt der SVP-Bundesrat und Energieminister das Stromgesetz heute aus Überzeugung. Gegen das Gesetz hat die Fondation Franz Weber das Referendum ergriffen, das von der SVP – entgegen der Haltung ihrer parteiinternen Energieexperten – unterstützt wird. Deshalb kommt es am 9. Juni 2024 zur Abstimmung.
Neben der Politik spricht sich eine breite Allianz von Wirtschaft und Zivilgesellschaft für den Energie-Mantelerlass aus: Nicht nur Wirtschaftsverbände wie Economiesuisse, der Gewerbeverband und die Auto-, Bau- und Strombranche stehen dahinter. Auch Umweltorganisationen wie Bird Life und Pro Natura, Greenpeace und WWF, die Schweizerische Energiestiftung und die Klima-Allianz unterstützen das Anliegen. Im Sinne globaler Klimagerechtigkeit hat auch das entwicklungspolitische Kompetenzzentrum Alliance Sud die Ja-Parole beschlossen. Beinahe sieben Jahre nach der Annahme der Energiestrategie 2050 kommt das Stromgesetz spät. Aber der geschickt und sinnvoll austarierte Kompromiss schafft nach Jahren der Verzögerung durch gewisse politische Kreise die notwendigen Grundlagen, damit rasch mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie Wasser, Sonne, Wind und Biomasse produziert werden kann. Das Gesetz
- sorgt für konkrete Schritte in Richtung Netto-Null-CO2 im Energiesektor.
- ermöglicht mehr Energieeffizienz und den vom Volk beschlossenen Atomausstieg bei gleichzeitig raschem Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere von Solarenergie. Über 80 Prozent davon entstehen auf Gebäuden, an Fassaden, über Parkplätzen und entlang von Autobahnen.
- fördert den Ausbau von Erneuerbaren im Einklang mit dem Natur- und Landschaftsschutz.
- fördert die Versorgungssicherheit mit einheimischer Energie. Der russische Krieg gegen die Ukraine zeigt, wie risikoreich Energie-Importe aus teils autokratisch geführten Ländern sein können. Anstatt Jahr für Jahr acht Milliarden Franken für Öl und Gas ins Ausland fliessen zu lassen, können nachhaltige Investitionen in der Schweiz getätigt werden.
- ist stark im eigenen Interesse. Denn schon lange wissen wir: Die Schweiz erhitzt sich doppelt so stark wie die Welt als Ganzes.
Auslandkompensationen sind keine Alternative
Die energiepolitische Erneuerung im Inland mittels des Stromgesetzes ist auch entscheidend, um zu verhindern, dass die Schweiz ihre Klimaverantwortung noch stärker auf arme Länder abwälzt. CO2-Kompensationen in Entwicklungsländern können kein Ersatz für ausreichenden Klimaschutz im Inland sein. Ebenso wenig entbinden Auslandkompensationen ein Land von der Aufgabe, Klimaneutralität selbständig und vor 2050 zu erreichen.
Heute aber unterstützt die Schweiz Klimaprojekte im Ausland in der Absicht, sich die erzielten Emissionsreduktionen im Globalen Süden ans inländische Klimaziel anrechnen zu lassen. Das ist zwar gemäss Pariser Abkommen erlaubt. Mit ihrem hohen Auslandanteil steht die Schweiz aber international ziemlich alleine da. Wenig verwunderlich ist denn auch, dass das unabhängige Klimaportal Climate Action Tracker die schweizerischen Kompensationen im Rahmen bilateraler Abkommen mit Entwicklungsländern kritisch beurteilt und die konkreten Klimamassnahmen der Schweiz bislang als «ungenügend» bewertet.
Selbstverständlich ist es wichtig und im eigenen Interesse, dass die Schweiz ärmere Länder in ihren Klimaschutzbemühungen unterstützt. Diese Unterstützung in Form von finanziellen Zuschüssen, vergünstigten Krediten, Privatsektor-Kooperationen und Knowhow-Transfers sollte jedoch in Form von internationaler Klimafinanzierung geleistet werden. Dadurch werden die dort erzielten CO2-Minderungen richtigerweise den nationalen Klimaschutzplänen der entsprechenden Entwicklungsländer angerechnet.
Energiewende als Chance für eine bessere Regulierung kritischer Rohstoffe
Zentral für die erneuerbare Transformation mittels Photovoltaik, Windkraft und Elektromobilität sind kritische Rohstoffe wie Kupfer, Lithium, Kobalt und Seltene Erden. Als «kritisch» gelten diese Rohstoffe nicht nur wegen geopolitischen Abhängigkeiten, möglichen Lieferunterbrüchen und steigenden Preisen, sondern auch, weil sie kaum durch andere Materialien zu ersetzen sind – und weil ihr Abbau häufig mit sozialen und ökologischen Problemen einhergeht. Die Gewinnung der Mineralien findet häufig in Konfliktregionen und Gebieten indigener Völker statt. Unbedingt gilt es dafür zu sorgen, dass der Rohstoffbedarf keine Kriege finanziert und in die Länge zieht. Ebenfalls müssen stets die Rechte und Interessen der indigenen Völker gewahrt und deren freie, vorherige und informierte Zustimmung zur Rohstoffförderung eingehalten werden.
Auf der Grundlage der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) sollten die Konzerne im Rohstoffabbau ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in den Abbaugebieten und ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht entlang der Wertschöpfungsketten gerecht werden. Ergänzend zur freiwilligen Selbstverpflichtung der Unternehmen ist staatliche Regulierung sinnvoll, z.B. im Rahmen eines neuen Gesetzes für mehr Konzernverantwortung, wie es das EU-Parlament am 24. April in Form einer für alle Mitgliedsstaaten verbindlichen Direktive beschlossen hat.
Die weltweite Nachfrage nach kritischen Rohstoffen führt heute zu ökologischen und sozialen Problemen im Süden. Damit die negativen Auswirkungen minimal gehalten werden, braucht es nicht nur saubere und faire Bedingungen im Abbau von kritischen Rohstoffen. Ebenfalls zentral ist es, hierzulande elektrische Geräte noch konsequenter zu rezyklieren und die Kreislaufwirtschaft voranzubringen, damit nur so viel abgebaut und importiert wird, wie für die klimaneutrale Transformation tatsächlich notwendig ist.
Ein entscheidender energie- und klimapolitischer Schritt
Das Stromgesetz ist ein entscheidender energie- und klimapolitischer Schritt in die richtige Richtung. Wird das Gesetz abgelehnt, müssten fossile Gaskraftwerke gebaut, und Strom aus dem Ausland zugekauft werden. Die Stromversorgungssicherheit käme stärker unter Druck und die an der Urne abgesegneten Klimaziele bis 2050 gerieten ausser Reichweite. Dass ausgerechnet eines der wohlhabendsten Länder den international vereinbarten Pfad in Richtung Klimaneutralität mit einem Nein am 9. Juni verlassen würde, könnte Keinem erklärt werden – ganz besonders nicht jenen Menschen im Globalen Süden, die schon heute jeden Tag mit den Folgen der Erderhitzung kämpfen.