Das im Juni vom Parlament verabschiedete Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen erlaubt Bund, Kantonen und Gemeinden endlich, sozial und ökologisch verantwortungsvoll einzukaufen. Das ist ein Erfolg für die NGO-Koalition Öffentliche Beschaffung, die sich seit langem für diesen Paradigmenwechsel eingesetzt hat. Nun ist Wachsamkeit bei der Umsetzung des Gesetzes gefragt.
Zehn Jahre lang wurde über die Revision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) beraten und gestritten. Ende Juni endlich einigten sich National- und Ständerat auf einen Kompromiss und zogen damit einen Schlussstrich unter das Geschäft. Die zehn Jahre stehen für einen zähen und langwierigen Aushandlungsprozess. Tatsächlich erwies sich die Revision als weitaus komplizierter als anfänglich erwartet. Angesicht der Bedeutsamkeit der Materie kann das aber nicht erstaunen. Schliesslich legt das BöB die Grundregeln fest, nach denen Bund, Kantone und Gemeinden Güter und Dienstleistungen einzukaufen haben. Dabei geht es um ein jährliches Einkaufsvolumen von rund 40 Milliarden Schweizer Franken. Viele dieser Güter werden im Ausland hergestellt, vor allem auch in Entwicklungsländern: Textilien für Armee, Polizei oder Spitäler stammen oft aus Bangladesch oder Vietnam, IT-Produkte für die Verwaltung aus Fernost, Steine für Strassen und Plätze aus Indien oder China.
Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen bei der Produktion
In der Vergangenheit kam es in den Produktionsketten solcher Güter immer wieder zu gravierenden Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen und massiven Umweltschäden: Mangelnder Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, Beschäftigung weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn, Kinder- und Zwangsarbeit. Das bisherige Bundesgesetz begünstigte solche Fälle insofern, als dass es die Vergabe öffentlicher Aufträge zumeist am Preis festmachte und somit Billigstlohnfirmen explizit begünstigte. Dadurch stand das Gesetz in direktem Widerspruch zu den Zielen der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und nachhaltige Wertschöpfungsketten. Ebenso wenig entsprach es der Selbstverpflichtung der Schweiz im Rahmen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, das öffentliche Beschaffungswesen nachhaltig zu gestalten (Ziel 12.7).
Zudem führte der Preiswettbewerb zu einer systematischen Benachteiligung innovativer, sozial verantwortungsvoller Schweizer kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) – gerade auch solcher Firmen, die etwa Textilien oder Natursteine unter fairen Bedingungen im Ausland produzieren und sich dafür regelmässig unabhängigen Kontrollen unterziehen lassen. Diese stossende Praxis veranlasste Helvetas vor zehn Jahren, sich mit sechs weiteren Organisationen zur «NGO-Koalition Öffentliche Beschaffung» zusammenzuschliessen. Ihr Ziel: Die öffentliche Hand an ihre Verpflichtungen als verantwortungsvolle Konsumentin erinnern und eine sozial und ökologisch nachhaltige Beschaffung gesetzlich verankern.
Bemerkenswerter Paradigmenwechsel
Während des zehnjährigen Revisionsprozesses setzte sich bei allen Beteiligten ein bemerkenswerter Paradigmenwechsel zugunsten von Nachhaltigkeit und Qualität durch. Anfänglich verteidigten Bundesverwaltung und Wirtschaftsverbände vor allem den Preiswettbewerb und verwahrten sich gegen neue Auflagen, welche die Produktionsbedingungen betrafen. Schrittweise setzte sich aber doch die Einsicht durch, dass mehr Qualität und Nachhaltigkeit im Einkauf nicht nur zu langfristigen Einsparungen führen kann, sondern auch einen faireren Wettbewerb zwischen Schweizer und ausländischen Anbietern begünstigt. Wenn bei Beschaffungen im Ausland strengere soziale und ökologische Kriterien vorgegeben werden, erhöht dies die Chancen der Schweizer Produzenten, welche diese Auflagen aufgrund der Schweizer Gesetzgebung ohnehin einhalten müssen. Diese Annährung an das Prinzip der gleich langen Spiesse im Wettbewerb um öffentliche Aufträge hat schliesslich auch bürgerliche Kreise überzeugt und eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete BöB-Revision im Parlament mehrheitsfähig gemacht.
Verankerung der Nachhaltigkeit, aber Wermutstropfen Preisniveaus
So bezweckt das nun beschlossene Gesetz gemäss Artikel 2 nicht mehr nur den wirtschaftlichen, sondern auch den «ökologisch und sozial nachhaltigen Einsatz der öffentlichen Mittel». Die Forcierung des Qualitätswettbewerbs sowie die Vorgabe, dass in Zukunft das «vorteilhafteste» Angebot den Zuschlag erhalten soll und nicht mehr einfach das «günstigste», belegt den breiten Konsens zugunsten von mehr Nachhaltigkeit. Mit einem neuen, auch international fortschrittlichen Zusatz (Art. 12.2) wurde zudem verankert, dass bei Produktion im Ausland mindestens die Kernübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) eingehalten werden müssen, und die Auftraggeberin «darüber hinaus die Einhaltung weiterer wesentlicher internationaler Arbeitsstandards fordern und entsprechende Nachweise verlangen sowie Kontrollen vereinbaren» kann.
Wermutstropfen ist jedoch, dass neu bei gewissen Beschaffungen unterschiedliche Preisniveaus in den Produktionsländern berücksichtigt werden sollen. Konkret bedeutet dies, dass Offerten ausländischer Anbieter auf dem Papier verteuert werden sollen, um die hohen Schweizer Lohnkosten rechnerisch zu eliminieren. Dieser Entscheid widerspricht dem Nachhaltigkeits-Anspruch des Zweckartikels, denn er lässt ausländischen Anbietern nur dann eine Chance, wenn sie Preise weiter drücken und auf Anstrengungen zugunsten von mehr Nachhaltigkeit – zum Beispiel zur Einhaltung der Arbeits- und Menschenrechte – verzichten. Die Akzentuierung auf den Preiswettbewerb ist gerade bei der Beschaffung von arbeitsintensiven Konsumgütern wie etwa Textilien äusserst schädlich.
Spielraum muss nun konsequent genutzt werden
Insgesamt aber schafft das revidierte Gesetz endlich die nötige Rechtssicherheit, damit fortschrittliche Beschaffungsstellen in Zukunft sozial nachhaltig einkaufen können, ohne gleich Rekurse durch unterlegene Anbieter befürchten zu müssen. Doch damit ist es nicht getan. Nun gilt es, den neu geschaffenen Handlungsspielraum konsequent zu nutzen. So werden die Mitglieder der NGO-Koalition ein Auge darauf werfen, wie das zuständige Department die dem Gesetz folgende Verordnung ausgestaltet, damit die Errungenschaften des BöB nicht verwässert werden. Danach geht es darum, gemeinsam mit fortschrittlichen Beschaffungsstellen bei Bund, Kantonen und Gemeinden möglichst rasch Präzedenzfälle zu schaffen – um allen anderen Beschaffungsstellen zu zeigen, dass nachhaltige Beschaffung nicht nur möglich, sondern für alle Beteiligten gewinnbringend sein kann.